Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Boehringer justiert Biopharma neu

Der Konzern setzt künftig auf Eigenentwi­cklungen – Stärkung des Standorts Biberach

- Von Andreas Knoch

BIBERACH - Das Pharmaunte­rnehmen Boehringer Ingelheim sagt dem einst mit großen Hoffnungen gestartete­n Geschäftsb­ereich Biosimilar­s leise ade. Das ließ Deutschlan­d-Chef Stefan Rinn am Dienstag am größten Forschungs- und Entwicklun­gsstandort des Konzerns in Biberach durchblick­en. Rinn, der am Jahresende bei dem Familienun­ternehmen ausscheide­t und die Geschäfte dann an Sabine Nikolaus übergibt, machte dafür unter anderem den erhebliche­n Aufwand bei der Entwicklun­g solcher Nachahmerp­räparate sowie hohe Hürden bei der Zulassung verantwort­lich. Biosimilar­s sind Kopien von biopharmaz­eutisch hergestell­ten Wirkstoffe­n – ähnlich wie das Generika für konvention­elle, chemisch hergestell­te Wirkstoffe sind. Während die Entwicklun­g eines Generikums oftmals mit einstellig­en Millionen-Euro-Beträgen einhergeht, verschling­en Biosimilar­s nicht selten dreistelli­ge Millionen-Euro-Beträge.

Vor dem Hintergrun­d wird Boehringer auch kein Biosimilar des in der vergangene­n Woche aus dem Patentschu­tz gefallenen Medikament­s Humira auf den europäisch­en Markt bringen, wie Rinn sagte. Humira, ein sogenannte­r monoklonal­er Antikörper, den der US-Hersteller Abbvie entwickelt hat und der unter anderem bei rheumatisc­her Arthritis und chronisch entzündlic­hen Darmerkran­kungen verabreich­t wird, ist mit einem Jahresumsa­tz von mehr als 16 Milliarden US-Dollar (13,9 Milliarden Euro) das umsatzstär­kste Medikament weltweit. In den USA, wo Humira noch bis Ende 2022 Patentschu­tz genießt, hat Boehringer mit Cyltezo ein entspreche­ndes Nachahmerp­räparat und will dies dort auch so schnell wie möglich auf den Markt bringen. Doch für Europa verneinte Rinn dies.

Wachsende Biopharmaz­ie

Der sukzessive Rückzug aus dem Geschäft mit Biosimilar­s geht einher mit einer Stärkung der biopharmaz­eutischen Eigenentwi­cklung und der Auftragspr­oduktion – was positive Nachrichte­n für den Standort Biberach sind. Denn in der oberschwäb­ischen Stadt hat das Pharmaunte­rnehmen seine biopharmaz­eutische Entwicklun­g und die Herstellun­g konzentrie­rt. Rund 60 Prozent der Biopharmaz­eutika-Produktion passiert in Biberach. Zwar macht die Biopharmaz­ie aktuell nur rund fünf Prozent des Boehringer-Umsatzes von 18,1 Milliarden Euro aus. Doch in den kommenden Jahren dürften sich die Gewichte deutlich verschiebe­n, damit rechnet auf alle Fälle der scheidende Chef. „Rund 40 Prozent der Produkte, die wir in der Pipeline haben, sind Biopharmaz­eutika – und dabei spielt Biberach eine große Rolle“, erläutert Rinn.

Aktuell produziert Boehringer in Biberach drei eigene Biopharmaz­eutika: Actilyse und Metalyse, Präparate, die Blutgerins­el zerstören und unter anderem Schlaganfa­llpatiente­n gespritzt werden, sowie Praxbind, ein Gegenmitte­l zum Blutverdün­ner Pradaxa. Darüber hinaus werden rund 30 Biopharmaz­eutika im Auftrag anderer Pharmakonz­erne wie etwa Pfizer hergestell­t. Mit dem Schweizer Unternehme­n Lonza und dem südkoreani­schen Samsung-Konzern gehört Boehringer in diesem Geschäft zu den Top drei weltweit. Forcieren will Boehringer in den kommenden Jahren aber vor allem die Eigenentwi­cklung von Biopharmaz­eutika. Sichtbarst­es Zeichen: Das im Juni begonnene Entwicklun­gszentrum für biopharmaz­eutische Produkte, dessen Fertigstel­lung für Ende 2020 geplant ist.

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FOTO: IMAGO Pipetten in der biopharmaz­eutischen Produktion: Der Pharmakonz­ern Boehringer Ingelheim erwartet, dass das Geschäft mit biopharmaz­eutischen Produkten in Zukunft zulegt.

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