Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Patrick Kraicker wollte angeblich nur wandern in der Türkei

Der 29-jährige Deutsche soll sich laut türkischen Medien einer Kurdenmili­z als Kämpfer angeboten haben – Urteil erschwert Wiederannä­herung

- Von Susanne Güsten, AFP und dpa

ISTANBUL - Eine lange Haftstrafe für einen Deutschen in der Türkei wirft neue Probleme für die geplante Normalisie­rung der Beziehunge­n zwischen beiden Staaten auf. Ein Gericht in Anatolien verurteilt­e am Freitag den 29-jährigen Gießener Patrick Kraicker wegen Mitgliedsc­haft in einer verbotenen Kurdenmili­z zu mehr als sechs Jahren Gefängnis.

Das Urteil erging während eines Besuches von Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier in Ankara und einen Tag vor der Reise von Bundeskanz­lerin Angela Merkel zu einem Syrien-Gipfel nach Istanbul. Mit den Visiten von Altmaier und Merkel unterstrei­cht Berlin das Interesse an engen wirtschaft­lichen und politische­n Kontakten zur Türkei – doch der Fall Kraicker zeigt, dass die Wiederannä­herung nach Jahren der Krise schwierig ist.

In Südostanat­olien aufgegriff­en

Kraicker war im Frühjahr in Silopi an der syrischen Grenze in Südostanat­olien aufgegriff­en worden. Türkischen Regierungs­medien zufolge gab er in ersten Vernehmung­en zu, er habe sich in Syrien der Kurdenmili­z YPG anschließe­n wollen, einer Schwestero­rganisatio­n der auch in Deutschlan­d verbotenen kurdischen Terrororga­nisation PKK. Er soll sich per E-Mail der YPG in Nordsyrien als Kämpfer angeboten haben. Kraicker weist die Vorwürfe zurück und will das Urteil anfechten.

Familie und Unterstütz­er des Gießeners sagen, der nach ihren Angaben unpolitisc­he junge Mann habe in Südostanat­olien wandern und Verwandte eines Jugendfreu­ndes besuchen wollen. Dazu flog er ins südtürkisc­he Gaziantep und machte sich auf den Weg nach Nusaybin, fast 400 Kilometer weiter östlich. Was er in dem noch einmal 130 Kilometer weiter östlich von Nusaybin gelegenen Silopi wollte, ist unbekannt. Die Gegend, in der der Deutsche im März festgenomm­en wurde, ist keine friedliche Region für Wanderer: In Nusaybin und Silopi gab es in den vergangene­n Jahren Gefechte zwischen der türkischen Armee und der PKK; in dem Grenzgebie­t gibt es noch viele Straßenspe­rren der Militärs.

Das Urteil gegen Kraicker lässt die innerdeuts­che Kritik am Normalisie­rungskurs der Bundesregi­erung gegenüber der Türkei einen Monat nach dem Staatsbesu­ch von Präsident Recep Tayyip Erdogan wieder lauter werden. Es sei „unsäglich“, dass Altmaier in Ankara der türkischen Regierung „mit einem gigantisch­en Rettungspa­ket“helfe und gleichzeit­ig ein Bundesbürg­er wegen des türkischen „Verfolgung­swahns“verurteilt werde, schrieb die Vorsitzend­e der Linksfrakt­ion im Bundestag, Sahra Wagenknech­t, auf Twitter.

Altmaier hob dagegen zum Abschluss seines Besuchs das deutsche Interesse an guten Beziehunge­n zu Ankara hervor. „Das ist im Interesse unserer Bürgerinne­n und Bürger und der Arbeitsplä­tze in Deutschlan­d“, sagte der Wirtschaft­sminister. Nach seiner Einschätzu­ng sei es gelungen, „einen Dialog in Gang zu setzen und die deutschen Positionen zu erklären“. „Selbstvers­tändlich“habe er dabei auch die Lage der Menschenre­chte in der Türkei angesproch­en.

Mehrere Festnahmen

Im vergangene­n Jahr hatte eine Serie von Festnahmen deutscher Staatsbürg­er zu einer schweren Krise zwischen Berlin und Ankara geführt. Bekannt ist der Fall von Ilhami A. aus Hamburg, der im September wegen über Facebook verbreitet­er angebliche­r Terrorprop­aganda für die PKK zu einer mehrjährig­en Haftstrafe verurteilt wurde. Außerdem wurde nach Angaben des Auswärtige­n Amtes schon im vergangene­n Jahr ein weiterer Deutscher verurteilt – Name und Anklagepun­kte unbekannt. Mehrere andere Untersuchu­ngshäftlin­ge – darunter der „Welt“-Reporter Deniz Yücel und die Übersetzer­in und Journalist­in Mesale Tolu – wurden ab Ende 2017 freigelass­en und durften ausreisen.

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FOTO: DPA Mitglieder der kurdischen Volksschut­zeinheiten YPG in Nordsyrien. Ihnen soll sich Patrick Kraicker als Kämpfer angeboten haben.

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