Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

„Leute sind permanent unterforde­rt“

Gert Scobel erklärt, wie ein ideales Fernsehpro­gramm heute aussehen sollte

- Von Laura Bähr

Seit über drei Jahrzehnte­n arbeitet der Kultur- und Wissenscha­ftsjournal­ist Gert Scobel für Rundfunk und Fernsehen. Er moderierte lange das 3sat-Magazin „Kulturzeit“und hat heute seine eigene Sendung „scobel“. Im Interview spricht er über die Rolle von Kultur im Fernsehen, Unterforde­rung der Zuschauer und Journalism­us ohne Internet.

Herr Scobel, Ihr Credo als Journalist war immer, Ihr Publikum zu fordern. Gelingt Ihnen das auch heute noch?

Da müssten Sie eigentlich das Publikum fragen. Meine These ist, dass das Fernsehen oft so niveaulos ist, dass die Leute permanent unterforde­rt sind. Eine gelegentli­che Überforder­ung, die einem zeigt, dass das noch nicht die ganze Wahrheit ist, kann sehr heilsam sein. Natürlich darf die Überforder­ung nicht zu viel werden, sonst schalten die Menschen zu Recht ab. Aber wenn das Publikum nach einer Sendung weiter darüber nachdenkt, etwas nachschläg­t oder unbedingt wissen will, dann haben wir etwas richtig gemacht.

Themen jenseits des Mainstream findet man auf kleinen Spartensen­dern statt auf öffentlich-rechtliche­n. Sind Sie damit zufrieden?

Ich habe zunehmend meinen Frieden damit gemacht, auch weil sich die Fernsehlan­dschaft geändert hat. Durch die Mediatheke­n ist es immer unbedeuten­der, auf welchem Kanal ich sende. Meiner Meinung nach wäre es aber sinnvoll wenn z.B. in den Nachrichte­n des Hauptprogr­amms täglich ein oder zwei Kultur- oder Wissenscha­ftsmeldung­en gesendet würden. Faktisch bestimmen diese Themen unser Leben ganz intensiv mit, in den Nachrichte­n hören wir aber immer nur dann davon, wenn Nobelpreis­e vergeben werden oder jemand gestorben ist. Durch eine Meldung jeden Tag würden Wissenscha­ft und Kultur mehr ins Alltagsbew­usstsein gehoben.

Was würde eigentlich passieren, wenn man die Gebührenza­hler selbst fragen würde, was sie gerne sehen würden?

Wenn man realistisc­h ist, würden glaube ich viele erstmal gar keine Gebühren mehr bezahlen, sei es aus Trotz oder einfach weil sie sagen: Ich gucke nur noch Netflix. Ich glaube, dass es in Hinblick auf Nachrichte­n und Dokumentat­ionen zu einer schlechten Entwicklun­g führen würde. Es würden sich vermutlich nur kleine Interessen­gruppen finden, die eine Finanzieru­ng von Nischensen­dungen jenseits von Sport, Krimis und Unterhaltu­ng fordern würden. Das wird sicher nicht die Mehrheit sein, weil die Mehrheit solche Sendungen nachweisli­ch nicht schaut.

Sie haben Ihre Arbeit als Moderator begonnen als kaum jemand Internet hatte. Waren Sie ein Influencer der 90er?

Ich glaube, dafür war ich zu sehr in der Nische. Influencer sind ja immer Leute, die mindestens mal in den Mainstream reingehen oder aus der Ecke kommend etwas in den Mainstream bringen.

Welche Vorteile hatte die damalige Offline-Welt?

Es ist nicht so, dass ich nostalgisc­h zurückblic­ke. Natürlich ist es toll, schnell etwas im Internet nachzuscha­uen. Aber ich habe mich schon öfter gefragt, wie ich es früher im Hörfunk geschafft habe, aktuelle Sendungen herzustell­en. Wir waren damals nicht unaktuelle­r oder uninformie­rter als heute. Es war schwierige­r, an Informatio­nen zu kommen. Heute habe ich eher das Problem, dass ich in Echtzeit so viele unterschie­dliche Informatio­nen zu einem Thema reinbekomm­e, dass ich gar nicht mehr weiß, wie ich das filtern soll.

Können Sie denn die Faszinatio­n von sozialen Medien wie Twitter, Instagram und Facebook für die junge Generation nachvollzi­ehen?

Natürlich. Die sozialen Medien schaffen eine schnelle Form von Verbindung, die ich haben kann, wenn ich ganz faul dasitze und passiv darauf warte, was passiert und nur gelegentli­ch mit einem Finger darauf reagiere. Das ist etwas Anderes, als wirklich aufzustehe­n und auf jemanden zuzugehen und mit demjenigen zu sprechen. Ich habe es auf Partys erlebt, dass Menschen nebeneinan­dersitzen und nicht mehr miteinande­r sprechen, sondern nur noch tippen.

Sehen Sie darin eine Gefahr?

Im Grunde weiß jeder von uns, dass dadurch eine wesentlich­e Erfahrungs­dimension verloren geht. Ich glaube, es gibt einige Gefahren, die wir nicht im Blick haben, sozial, psychologi­sch oder auch wenn Symptome wie Kurzsichti­gkeit zunehmen. Wir wachsen so schnell in diese Entwicklun­g rein, dass wir die Nebenwirku­ngen überhaupt nicht überblicke­n können. Und ich fürchte, dass uns Manches erst bewusst wird, wenn es zu spät ist. Was ich im Moment sehe, bringt mich dazu, eher von „asozialen Netzwerken“zu sprechen, statt von sozialen Netzwerken.

Was wäre Ihr Ratschlag an die junge Generation?

Ich denke, in manchen Momenten wäre es besser, mal rauszugehe­n, in die Natur, oder Sport zu machen – oder einfach nur still dazusitzen. Ich meditiere seit ich 16 bin, von daher ist mir das sehr vertraut, mal nichts zu tun. Gerade das können junge Leute heute aber immer weniger. Man muss es üben, sich dem Druck entgegenzu­stellen. Nur so erfährt man, was Bestand hat und wertvoll ist.

 ?? FOTO: HORST GALUSCHKA ?? In seiner eigenen Sendung auf 3sat behandelt Journalist Gert Scobel Themen aus Wissenscha­ft, Kultur, Gesellscha­ft und Ethik. Im Interview spricht er davon, welche Gefahren er mit sozialen Netzwerken verbindet und welche Rolle das Fernsehen für die Kultur spielt.
FOTO: HORST GALUSCHKA In seiner eigenen Sendung auf 3sat behandelt Journalist Gert Scobel Themen aus Wissenscha­ft, Kultur, Gesellscha­ft und Ethik. Im Interview spricht er davon, welche Gefahren er mit sozialen Netzwerken verbindet und welche Rolle das Fernsehen für die Kultur spielt.

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