Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

„Man muss aufpassen, das Leben nicht zu versäumen“

Kinderbuch­autor Helme Heine ist auch ein politisch kritischer Weltbürger – Das zeigt eine Ausstellun­g in München

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Nach Deutschlan­d zieht es Helme Heine nur, wenn etwas Wichtiges ansteht wie jetzt eine Ausstellun­g im Museum Fünf Kontinente in München. Sie zeigt die Kunst der Maori und – so kennt man ihn tatsächlic­h nicht – Heines Blick auf seine Wahlheimat im Südpazifik. Der 77-Jährige lebt schon seit den 90ern in Neuseeland. Christa Sigg hat sich mit dem Kinderbuch­autor unterhalte­n.

Herr Heine, mögen Sie eigentlich Kinder?

Mit ganz kleinen tue ich mich schwer. Ab drei, vier finde ich sie interessan­t. Ich hatte das Glück, dass ich durch meine zweite Frau gleich wunderbare ältere Kinder bekam. Man muss Kinder aber nicht lieben, um für sie zu schreiben.

Ist ein gewisser Abstand besser?

Das gilt für vieles, über das man schreibt. Ich bin nicht so extrem wie Beatrix Potter, eine der großen englischsp­rachigen Kiwis liegen zwar nicht herum, dafür dominiert frisches Grün die Wände. Und man fühlt sich in der Ausstellun­g „Spiegelbil­der“im Museum Fünf Kontinente in München (www.museum-fuenf-kontinente.de), als würde man durch ein Bilderbuch von Helme Heine spazieren. Sein Blick auf Neuseeland ist kritisch-humorvoll, immer wieder treten Maori mit Gesichtstä­towierung und blässliche Pa keha (Neuseeländ­er mit europäisch­er Abstammung) in Beziehung. Die traditione­llen Gegenständ­e, die auf Heines Bildern auftauchen, kann das Museum im Original zeigen: von kunstvoll geschnitzt­en Langkeulen bis zu Angelhaken mit Spitzen aus Walknochen. (cis) Kinderbuch­autorinnen um 1900. Die war so allergisch gegen Kinder, dass sie die Straßensei­te gewechselt hat, wenn ihr eins entgegenka­m. Oder denken Sie an Maurice Sendak, der mit den wilden Kerlen berühmt wurde. Er hat Kinder gehasst, sie hätten ja seine wertvolle Mickey-Mouse-Sammlung kaputt machen können.

Warum sind Sie ausgerechn­et Kinderbuch­autor geworden?

Schuld daran ist eine Wette. Ich habe ja zwölf Jahre in Südafrika gelebt, hatte dort ein eigenes Kabarett, das hieß „Sauerkraut“. Dafür hatte ich schon viele Texte geschriebe­n und auch viel gezeichnet und gemalt. Als ich einmal ein Kinderbuch kaufen wollte, fand ich nur banale Geschichte­n. Ich sagte mir, das kann ich besser. Zwei Freunde, die dabei waren, meinten „Na dann mach mal!“.

Aus dieser Nummer kamen Sie nicht mehr raus.

Nein, da wollte ich nicht kneifen. Mir war allerdings sofort klar, dass ich ein Buch mit einer ganz elementare­n Thematik machen möchte, eines, das ab etwa vier Jahren verstanden wird, und dann auch Geschwiste­r, Eltern und Großeltern interessie­rt. So ist 1975 das „Elefantene­inmaleins“entstanden.

Mit dem Altwerden und dem Tod geht das Buch wirklich ans Grundsätzl­iche.

Das bewegt uns alle. Heute wird das Buch übrigens in Kindergärt­en und Altenheime­n gelesen.

Stört es Sie, dass Sie trotzdem durch die Kinderbuch­brille gesehen werden?

Durch die Kinderbüch­er bin ich unabhängig geworden, sie geben mir Freiheit und sichern meine Rente. Warum sollte ich mich daran stören? Die deutsche Einteilung in U und E ist mir fremd, dazu habe ich einfach zu lange in angelsächs­ischen Ländern gelebt. Friedrich Dürrenmatt hat mir mal erzählt, er könne schon deshalb nie den Literaturn­obelpreis bekommen, weil er zwei Krimis geschriebe­n habe.

Sie passen in keine Schublade. Neben Büchern und Kabarett gibt es noch Musicals, Theater, Skulpturen, Filme, Design. Als was würden Sie sich bezeichnen?

Als Lebensküns­tler. Ich lebe sehr intensiv.

Woher kommt das?

Durch Afrika, das war die schwierigs­te Zeit in meinem Leben. Ich bin achtmal ausgeraubt worden, war manchmal bettelarm. Aber ich war immer von Menschen umgeben, die getanzt und gesungen haben und die aus Kleinigkei­ten etwas kreieren konnten. Das hat mir Kraft gegeben, mein Leben zu meistern. Das Glück hängt ja nicht von der Größe des Geldbeutel­s ab. In Afrika bin ich zum Künstler geworden. In München wäre ich vermutlich nicht zum Theater oder Kabarett gekommen.

Sie sind schon wieder auf dem Sprung nach Neuseeland. Das Land ist auch Thema einer Ausstellun­g mit Kunst der Maori. Wie kam’s dazu?

Das ist eine weitere Seite von mir. Hier blicke ich auf das Land, in dem ich seit 30 Jahren lebe. Die Bilder dieser Ausstellun­g haben einen deutlichen politische­n Unterton mit einer Prise Humor gewürzt. Dennoch sehe ich mich nicht als Tendenzmal­er.

Wie in Ihren Büchern spielt auch in den Bildern das Gemeinsame eine Rolle. In diesem Fall von Maori und Pakeha, den Einwohnern mit überwiegen­d europäisch­en Vorfahren.

Auf diesen zwei kleinen Inseln im Südpazifik sitzen alle in einem Boot. „Wir sind eine Nation“, lautet das Zauberwort dieses Vielvölker­staats. Vor 25 Jahren hat mich die Begegnung mit Dame Whina Cooper politisier­t. Sie war eine hoch geachtete Symbolfigu­r für die Rechte der Maori. Whina hat ihre Sorgen ganz einfach auf den Punkt gebracht: „Alle wollen einen Ford Bronco fahren und ein Aluminiumb­oot mit Außenborde­r – aber noch so leben wie im 19. Jahrhunder­t, bevor die Europäer kamen. Das geht nicht.“

Dame Whina ist 1994 gestorben, im selben Jahr hatte der Film „Die letzte Kriegerin“Premiere. Er zeigt dieRealitä­t der Maori mit Alkohol und Gewalt in den Familien.

Ich empfand den Film als heftig, aber meine Maori-Freunde meinten, ja, so isses eben. Trotzdem ist Neuseeland eines der friedlichs­ten Länder, die ich kenne. Es gibt keine Apartheid, die mich Ende der 1970er-Jahre veranlasst hatte, Südafrika zu verlassen.

Sind Sie ein Abenteurer?

Bis zu einem gewissen Grad schon. 14 Tage im Pazifik mit einer kleinen Jolle sind ein kalkuliert­es Wagnis. Aber nach zwei, drei Tagen spielt Geld keine Rolle mehr, man lässt alles hinter sich, auch die Politik ist weit, weit weg. 360 Grad um einen herum nur endloses Wasser.

Fischen Sie?

Sehr gerne sogar!

Und was fangen Sie?

Kingfish, sie sind etwa einen Meter lang und haben ein thunfischä­hnliches, sehr schmackhaf­tes, festes Fleisch. Wenn man einen am Haken hat, muss man ihn sehr schnell rausziehen, sonst holen ihn die Haie.

Helme Heine und der weiße Hai?

Haie gibt’s wirklich, aber die greifen dort keine Menschen an. Das Meer ist voller Leckerbiss­en für sie. Wenn ich erfolgreic­h war, rufe ich meine Frau an und bitte sie, Freunde einzuladen.

Wir sind schon über der Zeit, und Sie haben kein einziges Mal auf die Uhr geschaut.

Da hat mich Neuseeland geprägt. Die Menschen dort leben im Jetzt, während sich in Europa fast jedes Gespräch um die Zukunft dreht. Dabei muss man aufpassen, das Leben nicht zu versäumen.

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FOTO:HH Zu Hause am anderen Ende der Welt: Helme Heine in seiner Wahlheimat Neuseeland.
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FOTO: NICOLAL KAESTNER Helme Heines „Spiegelbil­der“in München.

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