Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Gehopft und beschwipst
Allgäuer Käser pflegen die Kunst des Affinierens – eine fruchtbare Liaison von Bio-Heumilch mit Starkbier und Spätburgunder
Die Bio-Schaukäserei in Wiggensbach ist ein beliebtes Ziel für Betriebsausflüge. Neulich waren es fünfzehn Chemiker von der Universität Ulm, die auf einer Wandertour durchs Allgäu hier Station machten und sich in die Geheimnisse der Käseherstellung einweihen ließen. Anschließend durften sie die neuesten Kreationen verkosten wie die beschwipste Anna und den gehopften Max, von denen sie nun wussten, dass sie dafür drei Monate in dem ammoniakgeschwängerten Naturziegelkeller verbracht hatten, mehrmals wöchentlich geschmiert mit einem Spätburgunder (Anna) und einem obergärigen Starkbier (Max).
Diese Tätigkeit verrichtet seit gut einem halben Jahr der Käseschmierroboter, „unser Mitarbeiter des Monats“, wie Betriebsleiter Robert Röhrle seinen Besuchern erklärte. Zuverlässig und präzise fährt er zwischen den deckenhohen Regalen mit den Tausenden Laiben auf und ab. Zum Wohle der Kollegen, die das Schmieren mit der Salzlake vorher von Hand erledigen und dabei täglich mehrere Tonnen an Gewicht stemmen mussten.
Trotzdem hat Röhrle das mit dem Mitarbeiter des Monats natürlich nicht ganz ernst gemeint. Wenn der Betriebsleiter so einen Titel tatsächlich vergeben würde, dann vermutlich zu allererst an seine Mitarbeiterinnen draußen auf der Weide. Die Kühe der 17 Allgäuer Biolandwirte aus der Genossenschaft sind es schließlich, die mit ihrer Milch die Grundlage für die Qualität seiner Produkte liefern. 5000 Liter Blut muss eine Kuh durch ihr Euter pumpen, um einen einzigen Liter Milch zu erzeugen. Die Bio-Schaukäserei Wiggensbach wird nur von Betrieben beliefert, die keine Melkroboter einsetzen.
Robert Röhrle hat in Österreich und in der Schweiz gearbeitet und als Senn auf der Alp, und er weiß, wie es in Betrieben zugeht, die an einem Tag ein Vielfaches der Menge brauchen, die ihm seine Kühe hier in einem ganzen Jahr liefern können. Obwohl er jetzt seit 17 Jahren käst und längst Staatlich geprüfter Techniker in Milchwirtschaft und Molkereiwesen ist, sagt er: „Ich lerne immer noch.“Die Milch ist eine Wissenschaft für sich. Von welcher Rasse eine Kuh ist, ob sie Heu gefressen hat oder Gras, zu welcher Jahreszeit und wo – das alles macht einen Unterschied. „Das macht einen guten Käser aus, dass er das merkt.“Auf der Alpe über 2000 Meter zum Beispiel, sagt Röhrle, da wächst das
Gras nur einmal im Sommer, aber in einer großen Vielfalt. Damit der typische Geschmack der heimischen Flora in allen Käsesorten erhalten bleibt, wird das Salzbad, in das die Laibe hier gleich nach der Formung kommen, nie gewechselt, nur gefiltert und nachgesalzen.
Ein Käseaffineur ist Robert Röhrle auch. Obwohl er erkennbar ein wenig fremdelt mit dieser trendigen Bezeichnung für die nun allenthalben als Künstler ihres Fachs Gepriesenen. Affiniert haben die Wiggensbacher auch vorher schon, etwa den Allgäuer Rosenblütenkäse, aber erst gegen Ende der Reifezeit. Zum Schluss haben sie die Laibe dann noch mit einer Blütenmischung ummantelt. „Wir können den Käse natürlich nicht neu erfinden“, sagt Geschäftsführer Franz Berchthold. Aber vielleicht doch aus der Liaison zweier hochwertiger biologischer Produkte etwas Neues entstehen lassen. Bewährte Partner hätten dies möglich gemacht: das Bio-Weingut Rinklin in Eichstetten am Kaiserstuhl, das seit 1955 kontrolliert ökologisch bewirtschaftet wird, das 1866 gegründete Riedenburger Brauhaus im Altmühltal, das seit über 20 Jahren ökologische Bierspezialitäten braut – und vor Ort die genossenschaftlichen Milchlieferanten, die ihre Äpfel von Illerwinkler Streuobstwiesen für den Most beisteuern.
Nun ist Geschmack bekanntlich immer auch eine Frage der Zeit. Und der Affineur, der sich an einer neuen Kreation versucht, kann trotz regelmäßiger „Probebohrungen“erst nach Wochen oder Monaten wissen, ob der Käse tatsächlich schmeckt. Auf jeden Fall liefert das Raumklima im Naturziegelkeller, den sie im vergangenen Jahr gebaut haben, mit seinen „guten Keimen“auch hier die allerbesten Voraussetzungen, erklärt Röhrle. Denn ein guter Käse reift wie ein guter Wein am liebsten bei hoher Luftfeuchtigkeit und gleichbleibend niedrigen Temperaturen.
Was den gehopften Max angeht, so hat er bereits mit einem außergewöhnlichen, aromatisch-kräftigen Geschmack überzeugt. Nach zwölf Wochen im Gewölbe, in denen seine Naturrinde von Anfang an mit dem obergärigen Starkbier geschmiert wurde, bis sie schließlich ins Dunkelbraun changierte. Der Schnittkäse mit seiner im Vergleich zum Hartkäse kürzeren Reifezeit ist für diese Form der Affinage bestens geeignet, sagt Franz Berchthold. Denn wenn die Reife länger als drei Monate dauert, setzt sich unweigerlich wieder das Käsearoma durch.
Bei der beschwipsten Anna rot war das Timing offenkundig perfekt, denn sie besticht durch eine fruchtig harmonische, leicht süßliche Note und optisch durch ein tiefes Dunkelrot. Beides hat sie, wie gesagt, dem Spätburgunder zu verdanken, der ihr während ihrer dreimonatigen Reifezeit zweimal wöchentlich verabreicht wurde – exklusiv und von Hand. Zum Schmieren wird hier nämlich der geschmacklich intensivere Sud verwendet, der sich unten im Weinfass absetzt. Dem waren die feinen Düsen des Roboters nicht gewachsen. Auch den Most fürs fruchtige Fränzle haben die Kollegen vorsichtshalber selber geschmiert. Das Fränzle ist freilich noch ein Jungspund, von dem sie erst in einigen Wochen wissen können, was aus ihm geworden ist. Affineure (französisch für Verfeinerer) veredeln den Käse durch spezielle Techniken der Reifung und Pflege, etwa durch regelmäßiges Schmieren mit Wein, Sud oder Kräutern. Durch die Affinage wird das sortentypische Aroma eines hochwertigen Naturprodukts vollendet und abgerundet. Mittlerweile liegt die kreative Käseverfeinerung international im Trend. Hervorragende Künstler ihres Fachs dürfen sich „Maître fromager affineur“nennen, eine Bezeichnung, die nur durch eine Gilde verliehen wird.