Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Opfer von Klimawandel und Korruption
Italien leidet unter immer mehr Unwetter und Zerstörungen – Brenner teilweise gesperrt
ROM - Es gießt, hagelt und stürmt. In sechs italienischen Regionen wurde der Wetternotstand ausgerufen. Venedig versinkt im Hochwasser aus der Adria und Regengüsse lassen das Wasser in den Gassen der Lagunenstadt noch zusätzlich ansteigen. 70 Prozent des historischen Zentrums der italienischen Lagunenstadt waren am Montag überflutet, wie die Behörden mitteilten. Touristen und Venezianer werden aufgefordert, in ihren Wohnungen und Hotels zu bleiben, der Markusplatz wurde evakuiert.
In Friaul, Venetien und in Ligurien kommt es zu Erdrutschen. Bürger bleiben in ihren Autos in bis zu einem Meter hoch überfluteten Straßen stecken und müssen vom Zivilschutz mit Schlauchbooten gerettet werden. Erdrutsche unterbrechen Verkehrsverbindungen, in Rom zerstören umstürzende Bäume Autos, am Montag blieben sämtliche Schulen geschlossen. In kleineren Ortschaften im Norden der Hauptstadt versuchen die Menschen mit Sandsäcken ihre Wohnhäuser vor den Fluten aus Flüssen sicher zu machen.
Sonntagabend musste auch die Brennerautobahn, eine der wichtigsten Verkehrsadern Norditaliens, in Folge eines Erdrutsches für den Autound Zugverkehr geschlossen werden. Eine Schlammlawine stürzte über die Autobahn und die Bahngleise, zahlreiche Fahrzeuge wurden getroffen. Am Montag konnte die Autobahn wieder freigegeben werden.
Schiffsverkehr eingestellt
Die Wassermassen, die allein am Sonntag auf Südtirol niederfielen, waren extrem. Es regnete an einem Tag so viel wie sonst in einem ganzen Monat. Besonders stark ist Süditalien von den Unwettern betroffen. In der Nähe von Crotone starben vier Personen bei einem Erdrutsch. Im Hafen von Catanzaro entdeckten Polizisten einen Toten, der wahrscheinlich von den Fluten eines Flusses mitgerissen worden war. Der Schiffsverkehr zwischen dem italienischen Festland und Inseln wie Sardinien ist seit Sonntag früh fast komplett eingestellt.
Regierung und Zivilschutz sprechen von außergewöhnlichen Wetterverhältnissen. Das bestätigen auch Wetterforscher des Nationalen Forschungsinstituts CNR. Wetterforscherin Michela Rogora zufolge „belegen sämtliche unserer Studien, dass Italien wie kein anderes EULand den jüngsten Klimaveränderungen ausgesetzt ist“. Das heißt, so die Expertin, „mehr Regen, mehr Hitze, mehr Kälte, mehr Stürme und Blitze“. Der Umweltschutzorganisation Legambiente zufolge starben zwischen 2005 und 2016 schätzungsweise 24 000 Italiener an den Folgen der immer höher werdenden Temperaturen. 157 Bürger kamen in Hochwassern ums Leben.
Diese zunehmend extremen Wetterverhältnisse machen Italien auch aus einem anderen, selbst verschuldeten Grund zu schaffen. Italien ist wie kein anderes Land in Europa in den vergangenen Jahrzehnten, so der Umweltpolitiker Ermete Reallacci, Ehrenpräsident der Umweltorganisation Legambiente, „zubetoniert worden“. Vorsichtigen Hochschätzungen zufolge sind „in den vergangenen 40 Jahren in ganz Italien illegal rund 1,5 Millionen Gebäude errichtet worden“, sagt Realacci. Auch in Gebieten, die geologisch bedenklich seien. Also, so Reallacci, „in der Nähe von Flüssen, an erdrutschgefährdeten Hängen und ähnlichem“. In den meisten Fällen wurden die illegal errichteten Gebäude später legalisiert, mit Hilfe spezieller Gesetze, die es den ständig klammen Regierungen erlaubten, auf diese Weise viel Geld einnehmen zu können. „Doch die Folgen“, so der Experte, „für unsere Umwelt und die Menschen, die dort leben, sind dramatisch“.
Dem Zivilschutz zufolge sind rund 35 Prozent aller Gebäude, die bei den Unwettern der letzten Jahre beschädigt oder zerstört wurden, in Gegenden errichtet worden, wo man nie hätte bauen dürfen.
Vor allem Mittel- und Süditalien werden immer noch illegal zubetoniert. Dem staatlichen Umweltinstitut ISPRA zufolge werden nirgendwo sonst in Europa so viele neue Gebäude errichtet wie in Italien. Einer ISPRA-Statistik zufolge wird alle zwei Stunden ein Gebiet von der Größe der Piazza Navona in Rom zubetoniert. In den meisten Fällen ohne Baugenehmigung.
„Die immer schlimmer werdenden Unwetter in Italien“, so ISPRAPräsident Alessandro Bratti, „werden zu immer mehr Zerstörungen, Überflutungen und Toten führen, weil die verantwortlichen Politiker und Beamten oftmals nicht genau kontrollieren oder sich in nicht seltenen Fällen korrumpieren lassen.“
Eigentlich müssten Zehntausende von Gebäuden „in geologisch gefährdeten Gebieten sofort abgerissen werden, um weitere Katastrophen infolge von Unwettern zu verhindern“, meint Umweltpolitiker Reallacci. Doch er weiß auch, dass „das nie geschehen wird in Italien“.