Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
„Überleben für Weingarten wäre schwierig geworden“
Klinikumschef Johannes Weindel über die Angliederung des 14 Nothelfer und 22 Millionen vom Häfler Gemeinderat
FRIEDRICHSHAFEN/WEINGARTEN - Mehr als 22 Millionen Euro steckt der Friedrichshafener Gemeinderat in den Medizin-Campus Bodensee (MCB), zu dem auch das Krankenhaus 14 Nothelfer gehört. Eine Summe, die in Weingarten undenkbar wäre. Das weiß auch MCB-Chef Johannes Weindel. Im Interview mit Martin Hennings spricht er über den Zusammenschluss, frei werdende Räumlichkeiten im 14-Nothelfer und mögliche Kooperationen mit Ravensburg. Besonders in die Pflicht nimmt er die Politik, deren aktuelle Gesetzgebung darauf abziele, dass weitere Kliniken sterben.
Der Friedrichshafener Gemeinderat hat dem Medizin-Campus Bodensee (MCB), also den Krankenhäusern in Friedrichshafen, Tettnang und Weingarten, eine Finanzspritze von über 22 Millionen Euro verpasst. Wird das nun alle zwei Jahre passieren?
Nein. 2022 werden wir nach unseren Planungen die schwarze Null erreichen. Wobei es natürlich nirgendwo auf dieser Welt eine Garantie dafür gibt. Ich möchte jetzt nicht ein schlechtes Ergebnis gutreden, aber schon darauf hinweisen, dass wir viele Jahre lang positive Zahlen erreichten. Wir haben jetzt einen Verlust von 2,5 Prozent unseres Jahresumsatzes von 153 Millionen Euro. Wir haben vor einigen Jahren auch schon sieben Prozent Plus geschrieben – und standen in der Kritik: „Wie kann man heutzutage schwarze Zahlen im Krankenhaus schreiben ...“. Aber eins ist sicher: Was der Gesetzgeber macht, ist nicht dazu geeignet, dass sich Kliniken bereichern oder Gewinnmaximierung betreiben könnten. Eins ist mir aber noch sehr wichtig: Ich bin über die einstimmige Zustimmung des Gemeinderats zum Zuschuss und das einmütige Lob aller Fraktionen für die Arbeit in unseren Häusern sehr dankbar. Eine Unterstützung in dieser Höhe ist eine echte Sensation und wird von allen im MCB als Zeichen der Wertschätzung für unsere Arbeit gesehen. 22,5 Millionen Euro für zwei Jahre, für Anlaufverluste, Investitionen, Instandhaltungen und Betriebskosten sind sensationell.
Sie sprechen den Gesetzgeber an. Nennen Sie mal ein Beispiel für verfehlte Entscheidungen.
Der Fixkostendegressionsabschlag. Schon das Wort ... Diese Regelung besagt, dass wir 25 Prozent der Einnahmen für jede Behandlung zurückzahlen müssen, die die Zahl der mit den Krankenkassen vereinbarten Behandlungen pro Jahr übersteigt. Und es sollen 35 Prozent werden. Über die Zahl der Behandlungen verhandeln wir vorab mit den Kassen – da geht’s zu wie auf einem Basar. Einfacher wäre, die Kassen sagen, was sie zahlen wollen, und fertig. Die aktuelle Gesetzgebung im Krankenhaussektor ist darauf ausgerichtet, dass weitere Kliniken sterben.
Was müsste die Politik Ihrer Meinung nach tun?
Zum einen müsste sie ehrlich und klar sagen: Wir wollen soundso viele Krankenhäuser, diesen und jenen Standort. Und dann muss entschieden werden, ob wir ein staatliches Gesundheitssystem wollen, das über Steuern und Kassenbeiträge finanziert wird, oder einen wirklich freien Markt, in dem sich der Beste durchsetzt. Ein bisschen Planwirtschaft und ein bisschen Marktwirtschaft, das funktioniert nicht. Ein bisschen schwanger geht nicht.
Funktioniert denn der Klinikverbund Friedrichshafen/Weingarten/Tettnang? Also, war das Zusammengehen richtig?
Auf jeden Fall. Allein deshalb, weil der Gesetzgeber Organzentren und Mindestmengen vorschreibt. Ohne MCB wäre das Überleben für Tettnang und Weingarten schwierig geworden. Und ohne MCB könnte Friedrichshafen sein breites medizinisches Angebot auf Dauer nicht aufrechterhalten.
Wie geht es weiter? Wird es neue, größere Kooperationen geben?
Richtung Westen und Osten wird das schwierig. Dort sind große private Klinikketten unterwegs, hinter denen zehntausende Betten stehen. Weitere Zusammenarbeit mit Konstanz und Singen ist nicht ausgeschlossen. Das gemeinsame Brustzentrum ist seit Jahren erfolgreich.
Und Ravensburg?
Ravensburg ist auf Konsolidierungskurs, Friedrichshafen ist auf Konsolidierungskurs. Und zwei Kranke ergeben noch lange keinen Gesunden. Vielleicht müssen wir beide erst mal unsere Hausaufgaben machen. Die Frage einer Kooperation mit Ravensburg stellt sich im Moment nicht. Dennoch finden immer wieder Gespräche auf der fachlichen und der politischen Ebene statt. Wir sind ja auch Geschäftspartner in der Gesundheitsakademie Bodensee-Oberschwaben. Ausschließen kann man da gar nichts. In der Gesundheitspolitik ist so viel Dynamik drin.
Wie ist der Stand der Dinge beim geplanten Zentralen Versorgungszentrum (ZVZ), das zwischen dem Klinikum Friedrichshafen und dem MVZ entstehen soll?
Die Planung ist abgeschlossen, der definitive Baubeschluss aber noch nicht gefallen. Wir haben Förderzusagen vom Land über zwölf und von der Zeppelin-Stiftung über 9,3 Millionen Euro. Insgesamt rechnen wir mit Baukosten von 28 Millionen Euro. Knapp sieben Millionen müssen wir also selbst finanzieren, über Darlehen, dafür hat die Stadt Friedrichshafen eine Ausfallbürgschaft übernommen. Wir gehen davon aus, dass wir das ZVZ im Jahr 2021 eröffnen.
Wer wird im ZVZ zu finden sein?
Die zentrale Küche für Friedrichshafen, Tettnang und Weingarten, das Zentrallager, Zentralapotheke, die IT für alle drei Häuser und die zentrale Verwaltung.
Da wird also anderswo Platz frei.
Richtig. Derzeit haben wir zum Beispiel in Friedrichshafen 20 Appartements, die eigentlich für Mitarbeiter gedacht sind, mit Verwaltungsbüros belegt. Wie wir die frei werdende Fläche in Tettnang und Weingarten nutzen, ist noch nicht entschieden. In Friedrichshafen wird da, wo jetzt die Küche ist, eine zentrale Notaufnahme entstehen. Heute haben wir zwei Anlaufstellen für Notfälle – der Gesetzgeber schreibt ab 1. Januar 2019 eine bauliche Einheit vor.
Könnte die zentrale Küche nicht auch die Häfler Schulen versorgen? Offenbar gibt es ja Wünsche in diese Richtung aus den Reihen der Eltern.
Man soll ja nie irgendetwas ausschließen. Im Moment ist so etwas aber nicht geplant. Und es hat auch niemand gefragt.
Neue Krankenzimmer sind nicht geplant?
Zumindest wird die Zahl der Betten nicht erhöht. Dafür fehlt uns ehrlich gesagt auch das Personal.
Womit wir bei einem Hauptproblem vieler Kliniken in Deutschland sind: Fachkräftemangel. Wer fehlt Ihnen denn?
Punktuell immer wieder mal Mediziner, vor allem aber Pflegefachkräfte. In ganz Deutschland fehlen mehrere Hunderttausend. Und das Problem wird größer.
Wie viele Stellen im Pflegebereich sind derzeit in den drei Häusern des MCB unbesetzt?
Zwölf Vollzeitstellen bei aktuell 633, wovon 355 Pflegekräfte in Teilzeit arbeiten.
Klingt jetzt nicht so dramatisch ...
Stimmt, zur Wahrheit gehört aber auch, dass wir eigentlich viel mehr als 630 Stellen bräuchten. Wir können nicht expandieren, weil uns die Leute fehlen. Eine von drei Komfortplus-Stationen in Friedrichshafen ist seit einem Jahr geschlossen, weil Pflegekräfte im ganzen Haus fehlen.
Was tun Sie gegen den Fachkräftemangel?
Viel. Wir gucken uns im Ausland um, hatten schon spanische Mitarbeiter im Haus, aktuell rund 25 Filipinos. Wir zahlen nach Tarif, bieten Einspringprämien, betriebliches Gesundheitsmanagement und – nach Möglichkeit – Wunscharbeitszeiten. Alle Mitarbeiter können vergünstigt in der Klinikapotheke und im Lager einkaufen. Hinzu kommen Feste und viele andere Angebote.
Ist am Ende nicht doch das Gehalt entscheidend? Was verdient denn eine 35-jährige verheiratete Krankenschwester im Monat?
Die von Ihnen skizzierte Krankenschwester kommt brutto nach 15 Berufsjahren bei Vollzeitbeschäftigung auf etwa 3560 Euro Gehalt inklusive Zulagen für Nacht-, Schicht- und Sonntagsdienste. Ob das zu viel oder zu wenig ist, dazu möchte ich mich nicht äußern. Ihre Leser können sich selbst ein Bild machen.
Welche Folgen hat der Personalmangel für die Patienten?
Wir können etwa weniger Komfortplus-Einzelzimmer anbieten, als es sich Patienten wünschen. Den durch die Teilschließung bedingten und schmerzhaften finanziellen Verlust tragen wir, damit wir die Patientenversorgung im Haus sicherstellen können. Dafür ist eine stabile Teambesetzung der Stationen mit examinierten Pflegekräften, Auszubildenden und anderen unterstützenden Mitarbeitern nötig. Wir brauchen alle Stationen und Betten, um unsere Patienten adäquat zu versorgen.
Gesundheitsminister Spahn hat ja unlängst Untergrenzen für die Personalstärke im Pflegebereich durchgesetzt. Hilft das?
Ein zweischneidiges Schwert. Die Initiative klingt aus Patientensicht natürlich gut. Aber was machen wir, wenn wir die geforderte Zahl nicht erreichen, weil wir das Personal nicht bekommen? Schließen wir dann Abteilungen, ganze Kliniken? Ein Schelm, der Böses dabei denkt.