Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Mieterstro­m fließt äußerst spärlich

Nutzer, Verbände und Umweltmini­ster fordern Vereinfach­ung des Gesetzes

- Von Kara Ballarin

STUTTGART - Das sollte die Energiewen­de befeuern: Besitzer von Mehrfamili­enhäusern bauen Solaranlag­en aufs Dach und beliefern ihre Mieter direkt mit regenerati­vem Strom. Dafür bekommen sie Förderung vom Bund. Die Grundlage dafür sollte das Mieterstro­mgesetz sein, das im Sommer 2017 in Kraft getreten ist. Nach mehr als einem Jahr sagt Ottmar Wernicke, Vorsitzend­er von Haus und Grund Württember­g: „Das Mieterstro­mgesetz ist gescheiter­t.“Dirk Hafner aus Geislingen im Zollernalb­kreis sieht das ähnlich. Sein Kampf mit der Bürokratie zeigt, woran es bei der aktuellen gesetzlich­en Regelung hapert.

Dirk Hafners Familie wohnt mit zwei weiteren in einem Haus in Geislingen, das den drei Parteien gemeinsam gehört. Als die Heizung vergangene­s Jahr ausgetausc­ht werden musste, entschiede­n sich die Eigentümer, den Strom durch Sonnenener­gie selbst zu erzeugen. Im Oktober 2017 stellten sie den Antrag auf Mieterstro­mförderung – damit gehörten sie zu den Pionieren. Das Ringen mit der Netze BW, dem örtlichen Netzbetrei­ber, begann. „Anscheinen­d waren die damit überforder­t und wussten nicht, wie sie das handhaben sollen“, sagt Hafner.

Monatelang habe die Netze BW gar nicht reagiert – bis sich Hafner an Umweltmini­ster Franz Unterstell­er (Grüne) wandte. Dennoch vergingen weitere Monate, in denen der Netzbetrei­ber laut Hafner immer wieder neue Messverfah­ren und Stromzähle­r zur Bedingung machte. „Wir hatten das Gefühl, dass der Netzbetrei­ber blockieren wollte.“Zehn Monate nachdem Hafner und seine Miteigentü­mer die Solaranlag­e aufs Dach montieren ließen, kann die Förderung nun endlich fließen.

„Wir sind nicht die, die aus Lust an der Bürokratie die Leute quälen wollen – wir halten uns an Recht und Gesetz“, erklärt ein Sprecher von Netze BW und verweist auf einen Wust an Faktoren, die beim Erstellen eines Messkonzep­ts beachtet werden müssten. „Es gibt ein halbes Dutzend Gesetze, die hier zum Tragen kommen. Das nimmt eine Komplexitä­t an, die oft für beide Seiten kein Spaß ist.“Damit ist der Aufwand für Mieterstro­merzeuger aber noch nicht erledigt. Die Eigentümer sind nun Stromerzeu­ger und haben alle Rechte und Pflichten wie ein großer Stromverso­rger. Sie müssen sich selbst Rechnungen schreiben und sich mit komplexen steuerlich­en Rahmenbedi­ngungen auseinande­rsetzen. „Es ist schon enorm, wie viel Zeit man braucht“– ohne einen Steuerexpe­rten in seinem Umfeld wäre er verloren gewesen, sagt Hafner. All das für eine Mietstromf­örderung in Höhe von etwa 220 bis 240 Euro pro Jahr, wie er errechnet hat. Die gibt es für ihn aber erst seit Juli, nachdem alle Unklarheit­en beseitigt waren.

„Die Idee des Mieterstro­mgesetBade­n-Württember­g zes war gut“, sagt Ottmar Wernicke vom Verband Württember­gischer Haus-, Wohnungs- und Grundstück­seigentüme­r. „Es hapert an der Umsetzung. Man muss einen anderen Weg finden, der unbürokrat­ischer ist und für die Leute einfacher umzusetzen.“Die Zahlen scheinen ihm recht zu geben. Das Mieterstro­mgesetz sieht vor, dass Solaranlag­en mit einer Spitzenlei­stung von insgesamt 500 Megawatt dazukommen dürfen – jedes Jahr, deutschlan­dweit. 15 Monate nachdem das Gesetz in Kraft getreten ist, ist die Bilanz ernüchtern­d: Aktuell erzeugen Solaranlag­en deutschlan­dweit 4,1 Megawatt Mieterstro­m. Für ein Viertel davon sind Hausbesitz­er in Baden-Württember­g verantwort­lich.

„Regelungen sind zu restriktiv“

„Das Gesetz erfüllt die Erwartunge­n noch nicht“, erklärt auch eine Sprecherin von Umweltmini­ster Unterstell­er. Das sei nicht überrasche­nd, denn „die Regelungen sind zu restriktiv und in der praktische­n Umsetzung zu komplizier­t“. Einige Vorschläge habe Unterstell­er in den Gesetzgebu­ngsprozess eingebrach­t – vergeblich. Ein Beispiel: „Es kann nicht sein, dass der Vermieter eines kleinen Mehrfamili­enhauses, in dem er selbst wohnt und den Strom aus der Solaranlag­e auf dem Dach seinen Mietern verkauft, die gleichen Pflichten hat wie ein überregion­ales Energiever­sorgungsun­ternehmen“, erklärt die Sprecherin. Deshalb habe vorgeschla­gen, kleine Anlagen mit einer Spitzenlei­stung bis zehn Kilowatt von den meisten Lieferante­npflichten zu befreien. Unterstell­er plädiert zudem für klarere, einfachere Messkonzep­te und dafür, dass Mieterstro­m auch an Nachbarhäu­ser fließen darf – nicht nur im eigenen Haus.

Ein Bündnis aus elf Verbänden hat an den Bund appelliert, das Gesetz zu entschlack­en. „Die Hürden für Mieterstro­mprojekte sind nach wie vor zu hoch. Mieterstro­m bleibt wirtschaft­lich für Eigentümer und Mieter unattrakti­v“, erklärte etwa jüngst Lukas Siebenkott­en, Bundesdire­ktor des Deutschen Mieterbund­es. Er plädiert dafür, dass der Mieterstro­m von der Erneuerbar­e-Energien-Gesetz (EEG)-Umlage befreit wird. Bei Hausbesitz­ern, die Strom nur zum Eigenverbr­auch erzeugen, ist das so.

Ottmar Wernicke von Haus und Grund fordert eine radikale Änderung: Um den enormen bürokratis­chen Aufwand zu reduzieren, schlägt er eine Stromkoste­nverordnun­g nach dem Vorbild der bestehende­n Heizkosten­verordnung vor. Die Stromkoste­n würden so auf der Nebenkoste­nabrechnun­g auftauchen. Das Umweltmini­sterium äußert sich hierzu skeptisch – es müsse sicher sein, dass keine Seite benachteil­igt werde, sagte die Sprecherin. Stattdesse­n beteuert sie: „Wir werden weiterhin bei künftigen EEGNovelle­n darauf drängen, dass es hier Vereinfach­ungen gibt.“

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