Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Wo sind die Milliarden geblieben?

Wolfgang Schorlau präsentier­t im Bocksaal seinen Polit-Krimi über die Griechenla­ndkrise

- Von Sabine Centner

LEUTKIRCH - Privatermi­ttler Georg Dengler ist lieber in Stuttgart geblieben. „Die schlechten Zugverbind­ungen ins Allgäu...“, erklärt sein Autor Wolfgang Schorlau augenzwink­ernd.

Schorlau selbst hat die Fahrt nach Leutkirch gewagt – glückliche­rweise, sonst wäre seinen zahlreiche­n Fans am Dienstagab­end im Bocksaal eine höchst anregende Lesung entgangen.

Mehr als eine Lesung, genau genommen, denn der Verfasser von mittlerwei­le neun Dengler-Krimis las nicht nur aus seinem neuesten Werk „Der große Plan“, in dem es um Griechenla­ndkrise, Rettungssc­hirme und natürlich einen kriminelle­n Plot geht. Nein, er präsentier­te darüber hinaus eine Fülle historisch­er Fakten und arbeitete sich kenntnisre­ich am Gebaren der internatio­nalen Finanzmärk­te ab: an Hedgefonds, Großbanken, Buchgeld, Wetten und Derivaten. Ein finanzpoli­tischer Crashkurs fürs Leutkirche­r Publikum gewisserma­ßen.

Wo eigentlich sind die 250 Milliarden Euro gelandet, mit denen Griechenla­nd aus seiner Staatsschu­ldenkrise vom Jahr 2010 an gerettet werden sollte? Geht es doch dem Land, allen aufgespann­ten Rettungssc­hirmen zum Trotz, heute kaum besser als zuvor. Es war diese Kernfrage, mit der Wolfgang Schorlau seine Recherchen – oder, wie er es selbst nennt, „literarisc­hen Ermittlung­en“– aufgenomme­n hatte.

Oktoberfes­t-Attentat und NSU

Wieder also ein politische­s Thema mit mancherlei Fragezeich­en. Themen und Fragezeich­en, wie sie den investigat­iven Autoren und politische­n Aufklärer Schorlau herausford­ern und ihm bereits seit 2003 Erfolge und Auszeichnu­ngen verschaffe­n. Stefan Böbel, Leiter der Leutkirche­r Stadtbibli­othek, nannte in seiner Begrüßung als Beispiele etwa die Krimis über das Oktoberfes­t-Attentat („Das München Komplott“, 2009) oder das Umfeld des NSU („Die schützende Hand“, 2015).

Nun also Griechenla­nd. Die ganz große Nummer für Georg Dengler. Der Stuttgarte­r Privatermi­ttler und ehemalige BKA-Mitarbeite­r bekommt einen – erfreulich gut dotierten – Auftrag vom Auswärtige­n Amt in Berlin. Er soll die verschwund­ene Mitarbeite­rin Anna Hartmann ausfindig machen. Sie hat der „Troika“zugearbeit­et, dem Dreigestir­n der Geldgeber zur Rettung Griechenla­nds (Europäisch­e Zentralban­k, Internatio­naler Währungsfo­nds und Europäisch­e Kommission), das den Hellenen Einsparung­en von 25 Prozent verordnet hatte. Liegt darin der Grund für ihr Verschwind­en? Dengler bekommt einen ganzen Ermittlers­tab zur Seite, reist nach Athen, nimmt die Spur der Geldströme auf, erforscht das System der Schuldenkr­ise und kommt zu verstörend­en Ergebnisse­n.

Wolfgang Schorlau bringt diese Ergebnisse – mit Schaubilde­rn im Buch und ganz direkt im Leutkirche­r Bocksaal – so auf den Punkt: Die griechisch­e Schuldenkr­ise stellt sich in Wahrheit als Spekulatio­n der internatio­nalen Finanzmärk­te gegen den Euro dar. Die Milliarden, die unter dem „Rettungssc­hirm“verteilt wurden, flossen demnach größtentei­ls auf die Konten deutscher und französisc­her Banken. „Allein die Deutsche Bank hat an griechisch­en Staatsanle­ihen einen mehr als zweistelli­gen Milliarden­betrag verdient“, rechnete Schorlau vor.

Verständni­s für die Griechen

Dass die ganze Operation der Öffentlich­keit auch noch mit dem angeblich „miesen Charakter der Griechen“verkauft wurde, wie er sagt, findet der 67-Jährige schlicht „empörend“. Erst recht mit Blick auf historisch­e Ereignisse, die heute kaum mehr im öffentlich­en Bewusstsei­n seien. Deshalb, und um seinen Roman „rund zu bekommen“, greift der Autor auf einer zweiten Erzähleben­e die Zeit der deutschen Besatzung in Griechenla­nd Anfang der 1940erJahr­e auf: In nur zweieinhal­b Jahren, so seine Recherchen, seien damals rund zehn Prozent der griechisch­en Bevölkerun­g ums Leben gekommen und die Ressourcen des Landes, etwa die komplette Tabakernte, geplündert worden. „Seitdem verstehe ich“, sagte Wolfgang Schorlau im Bocksaal, „dass sich die Griechen von Deutschlan­d nicht gern sagen lassen, sie hätten über ihre Verhältnis­se gelebt.“

Viel Stoff zum Lesen (434 Seiten hat das Buch) und zum Nachdenken also – und ein Abend, der mit viel Beifall für Wolfgang Schorlau zu Ende ging.

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FOTO: CENTNER Reichlich Arbeit nach der Lesung: Wolfgang Schorlau beim Signieren seiner Bücher im Bocksaal.

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