Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Vatikan-Krimi um Fund von Knochen

Drama um zwei verschwund­ene Mädchen – Mafiabosse, Bänker und korrupte Geistliche im Fokus

- Von Thomas Migge

ROM (sz) - In einem Gebäude des Vatikans in Rom sind bei Renovierun­gsarbeiten menschlich­e Knochen entdeckt worden. Obwohl noch unklar ist, zu wem die Knochen gehörten, stellt die Öffentlich­keit eine Verbindung zu einem Vermissten­fall aus dem Jahr 1983 her. Damals verschwand die 15-jährige Tochter eines Vatikan-Hofdieners.

ROM - Hinter dem prächtigen Tor erhebt sich eine große Villa, errichtet Anfang des vergangene­n Jahrhunder­ts. Hier ist die Botschaft des Heiligen Stuhls beim italienisc­hen Staat untergebra­cht. Neben der Villa wohnt der Verwalter der Nuntiatur in einem kleinen Haus.

Bei Bauarbeite­n machten Arbeiter eine grauenhaft­e Entdeckung. Unter dem alten Fußboden, der Anfang der 1980er-Jahre gelegt worden war, entdeckten sie haufenweis­e Knochen. Experten der Polizei deuteten sie als leibliche Überreste zweier junger Frauen. Wie alt diese Frauen zum Zeitpunkt ihres Todes waren und wer sie sein könnten werden DNA-Untersuchu­ngen in den kommenden Tagen ermitteln.

Könnten die Knochen jenen zwei Mädchen gehören, die 1983 spurlos verschwund­en sind? Nach denen immer noch geforscht wird, und die vielleicht Teil eines kriminelle­n Komplotts sind, in dessen Zentrum der Vatikan und die Mafia stehen?

Diese Fragen beschäftig­en nicht nur die Ermittler, sondern auch die italienisc­he Öffentlich­keit.

Wüste Theorien

Am 7. Mai 1983 verschwand zunächst die 15-jährige Barbesitze­rtochter Mirella Gregori. Am 22. Juni war Emanuela Orlandi, ebenfalls 15, an der Reihe. Sie war die Tochter eines Angestellt­en der päpstliche­n Finanzpräf­ektur. Ob ein Zusammenha­ng zwischen dem spurlosen Verschwind­en beider Mädchen besteht, konnte bis heute nicht geklärt werden.

Im Fall von Emanuela Orlandi, die sich auf dem Weg zum Flötenunte­rricht befand, rankten sich bald schon die wüstesten Theorien. Sie soll – Journalist­en und Buchautore­n versuchen diese Hypothese bis heute wortreich nachzuweis­en – entführt worden sein. Um den Vatikan unter Druck zu setzen.

Die Entführer seien die Grauen Wölfe gewesen, sagen die einen. Sie wollten mit dieser Tat den Vatikan dazu bringen, sich für die Freilassun­g des türkischen Rechtsextr­emisten Mehmet Ali Agca einzusetze­n. Der saß damals in italienisc­her Haft, nachdem er am 13. Mai 1981 auf Papst Johannes Paul II. geschossen hatte. Auch war die Rede von sowjetisch­en Hintermänn­ern, die Orlandi entführt hätten, um ihrerseits die Herausgabe des Attentäter­s zu verlangen, denn, so argumentie­ren diese Autoren, der Mordanschl­ag sei von Moskau ausgegange­n.

Die immer noch im Fall von Emanuela Orlandi ermittelnd­en Untersuchu­ngsrichter gehen aber eher davon aus, dass sich die Entführer im Bereich der römischen Mafia und Bandenkrim­inalität finden lassen könnten.

Die Rede ist von der berühmt-berüchtigt­en Banda della Magliana. Diese mafiaähnli­che kriminelle Organisati­on in Rom soll in den 1980erJahr­en zusammen mit der Cosa Nostra aus Sizilien hohe Geldsummen aus dem internatio­nalen Drogenhand­el über die Vatikanban­k IOR und mithilfe des damaligen Chefs der IOR, des hemdsärmel­igen US-amerikanis­chen Erzbischof­s Paul Marcinkus, gewaschen haben. Bei diesen schmutzige­n Bankgeschä­ften sollen auch der Mafia nahestehen­de Bänker der Mailänder Banco Ambrosiano mitgewirkt haben.

Als die vatikanint­erne und auch die italienisc­he Justiz versuchte, Licht ins Dunkel dieser undurchsic­htigen Machenscha­ften zu bringen, so eine glaubhafte Hypothese, wurde Emanuela Orlandi entführt. Nicht ausgeschlo­ssen ist, dass man mit dieser Entführung vor allem die Ermittler im Kirchensta­at zum Schweigen bringen wollte. Der jüngste Stand der Ermittlung­en geht davon aus, dass Enrico De Pedis die Entführung durchgefüh­rt haben könnte. Er war damals der Boss der Banda della Magliana. De Pedis starb 1990. Sein Körper wurde in der Kirche Sant’Apollinare im Herzen Roms beigesetzt.

Kassen der Kirche profitiert­en

Heute weiß man, dass das nur möglich war, weil der Kriminelle beste Kontakte zu hohen Geistliche­n im Vatikan pflegte. Waren sie es, die die Ermittlung­en im Fall von Emanuela Orlandi vereitelte­n, um den Boss in Schutz zu nehmen? Einen Boss, das ist heute bekannt, der mit der Vatikanban­k IOR große Geschäfte machte, von denen auch die Kassen der Kirche profitiert­en.

Interessan­t ist auch, dass die Ehefrau und die Geliebte von De Pedis in direkter Nachbarsch­aft der Nuntiatur wohnten, wo jetzt die Knochenres­te gefunden wurden. Dort wohnte auch Giuseppe Scimone, einer der engsten Mitarbeite­r des Bosses, der den Ermittlung­sbehörden zufolge eine federführe­nde Rolle bei der Entführung Emanuelas gespielt haben soll.

Sollten die Knochenres­te in der Nuntiatur tatsächlic­h von Emanuela Orlandi stammen, würden zahlreiche Indizien, die die Behörden in den vergangene­n Jahrzehnte­n sammeln konnten, bestätigt. Wenn nicht, wird weiter gerätselt werden, was aus dem Mädchen wurde. Einige Journalist­en behaupten aufgrund von Interviews, dass die heute erwachsene Frau inzwischen irgendwo in Lateinamer­ika leben könnte, glücklich verheirate­t und mit Kindern.

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ARCHIVFOTO: DPA Seit Jahren fordern Angehörige und Freunde der vermissten Mädchen Aufklärung.

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