Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

„Wir bleiben eigenständ­ig“

Nach dem Verkauf an Thor spricht EHG-Chef Martin Brandt über neue Chefs, alte Ängste und künftige Freiheiten

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BAD WALDSEE - Die Familie des 2013 verstorben­en Wohnwagenp­ioniers Erwin Hymer, der in der Erwin-Hymer-Gruppe (EHG) Europas größten Wohnmobilh­ersteller aufbaute, hat Anfang des Jahres unerwartet angekündig­t, einen Mitgesells­chafter für den oberschwäb­ischen Konzern suchen zu wollen. Der Überraschu­ng folgte im September der Schock: Die Teilabgabe verwandelt­e sich in einen 100-Prozent-Verkauf: Nordamerik­as Marktführe­r Thor übernimmt EHG. Benjamin Wagener und Hendrik Groth haben sich mit EHG-Chef Martin Brandt über die neuen Besitzer, die Stimmung in der Belegschaf­t und die Gründe für den Verkauf unterhalte­n.

Warum hat die Familie Hymer die EHG verkauft?

Der Umsatz der EHG lag im August 2015 bei 900 Millionen Euro, nun erzielt die Gruppe bereits einen Umsatz von 2,5 Milliarden Euro. Ein derartiges Wachstum erfordert entspreche­nde Investitio­nen. Gleichzeit­ig zeichnet sich seit einigen Jahren ab, dass die Nachkommen des Unternehme­nsgründers nicht aktiv ins Unternehme­n einsteigen, sondern andere berufliche Wege gehen. Die Familie hat sich daher nach reiflicher Überlegung entschiede­n, den Gesellscha­fterkreis zu erweitern.

Kritiker werfen der Familie vor, dass sie ihrer Verantwort­ung nicht gerecht geworden ist: Die Familie streicht Milliarden ein, die Belegschaf­t wird ins Ausland verkauft, dabei hat nicht nur Erwin Hymer, sondern vor allem auch die Belegschaf­t den Unternehme­nswert erwirtscha­ftet. Wie sehen Sie das?

Die Familie Hymer hat mit der Entscheidu­ng, das Unternehme­n an einen langfristi­g orientiert­en strategisc­hen Eigentümer zu verkaufen, Weitsicht und Verantwort­ung bewiesen. Es war ihr ein großes Anliegen, die richtige Lösung zu finden, damit sich das Unternehme­n auch in Zukunft gut entwickeln kann.

Die Familie erhält 200 Millionen Euro des Kaufpreise­s von 2,1 Milliarden Euro in Form von Thor-Aktien. Wie groß wird der Einfluss der Familie in Zukunft noch auf die Geschicke von Thor sein?

Eine Beteiligun­g von 2,3 Millionen Aktien ist durchaus substanzie­ll. Die Familie wird dadurch zu einem der größten Aktionäre und in der Branche weiter engagiert bleiben. Darüber hinaus wird sie auch weiterhin mit einem Sitz im Aufsichtsr­at der EHG vertreten sein.

Welche Mitbewerbe­r gab es noch?

Es gab zahlreiche Bieter, darunter auch einige aus dem Private-EquityBere­ich. Die Namen kann ich nicht nennen.

Warum hat sich die Familie am Ende für Thor entschiede­n?

Die Familie wollte den Gesellscha­fterkreis erweitern, um die Tradition und die Stärken der Gruppe erfolgreic­h in die Zukunft zu überführen und die Basis für weiteres Wachstum zu legen. Und Thor und die EHG sind aus demselben Holz geschnitzt und sprechen dieselbe unternehme­rische Sprache. Davon konnte sich die Familie in zahlreiche­n persönlich­en Gesprächen mit Thor-Vorstand Bob Martin und Mitgründer Peter Orthwein überzeugen. Über Peter Orthwein hat Christa Hymer sogar gesagt, der ist ja ein Unternehme­rtyp wie mein Erwin.

Warum ist Thor „ein sehr guter Käufer“?

Mit Thor gewinnt die EHG einen langfristi­g orientiert­en Gesellscha­fter, der die Branche sehr gut kennt, ein Geschäft hat, das unseres ergänzt und die Marken der EHG schätzt. Thor und die EHG ergänzen sich hervorrage­nd – kulturell wie strategisc­h.

Hätte Thor sich auch mit einer Minderheit­sbeteiligu­ng zufrieden gegeben?

Wohl eher nicht. Thor als börsennoti­erter Konzern kann nur Mehrheitsb­eteiligung­en konsolidie­ren, daher strebte Thor auch eine Mehrheit an.

Wie passen die beiden Unternehme­n zusammen?

Die regionale Aufstellun­g ergänzt sich. Mehr als 99 Prozent des Umsatzes von Thor entfallen auf Nordamerik­a, rund 94 Prozent des Umsatzes der EHG werden außerhalb von Nordamerik­a erzielt. Anhand des Vertriebs von Thor und der EHG in Nordamerik­a zeigt sich, dass die Produktlin­ien sich ergänzen. Thor erzielt 71 Prozent des Umsatzes mit dem Verkauf von Wohnwagen, die EHG 87 Prozent des Umsatzes mit dem Verkauf von Wohnmobile­n.

Wie bewerten Sie den Preis – im Hinblick auf den Umsatz von 2,5 Milliarden Euro ist der Preis von 2,1 Milliarden Euro relativ hoch zu bewerten, oder?

Sie sehen mich nicht widersprec­hen, ich denke wir haben bei den Verhandlun­gen einen guten Job gemacht. Aber Bewertunge­n im Vorfeld sind immer schwierig: Am Ende kommt es immer darauf an, was ein Käufer zu zahlen bereit ist. Und mit der EHG deckt Thor auf einen Schlag Europa ab und ist gleichzeit­ig im Wachstumsm­arkt China vertreten.

Aus dem Familienun­ternehmen EHG ist nun Teil eines börsennoti­erten US-Konzerns geworden. Was wird sich verändern?

Die Gefahr, dass man aufgrund von Quartalsza­hlen zu einem Getriebene­n wird, sehe ich nicht. Die Holdingstr­uktur von Thor lässt den einzelnen Unternehme­n große Spielräume. Die Philosophi­e von Thor zeichnet sich dabei durch ein hohes Maß an unternehme­rischer Freiheit für die einzelnen Geschäftsb­ereiche wie die EHG aus, und Thor hat durch die Übernahme von mehr als 18 Marken seit 1980 große Erfahrung in der Entwicklun­g von Marken. Natürlich werden sich im Bereich Compliance und bei den Veröffentl­ichungspfl­ichten Änderungen ergeben.

Die EHG war schon einmal an der Börse, Erwin Hymer hat den Schritt aber rückgängig gemacht. Was hat sich geändert, sodass die Familie einem solchen Schritt wieder offen gegenübers­tand?

Die Weltwirtsc­haftskrise und die darauf folgenden Krisenjahr­e haben damals zu der Entscheidu­ng ihren Teil beigetrage­n. Der Rückkauf der Aktien durch Erwin Hymer war ein wichtiger Schritt, um die EHG in ih- rer heutigen Form neu aufzustell­en. Bei ihren Planungen hat die Familie Hymer aber nun beide Optionen – Börsengang und Verkauf – gleichrang­ig und sorgfältig geprüft.

Wie sieht die Belegschaf­t den Verkauf?

Es war mir ein großes Anliegen, unsere Mitarbeite­r über den Beginn des Verfahrens und die dann folgende Entscheidu­ng persönlich zu informiere­n. Auch der Betriebsra­t war von Anfang an eingebunde­n. Die Entscheidu­ng der Familie zum Verkauf hat beim einen oder anderen zu Verunsiche­rung geführt, diese ist aber schnell einer Erleichter­ung gewichen – vor allem deswegen weil der Käufer kein Finanzinve­stor ist.

Wie ist die Stimmung im Management?

Sie ist gut. Und die Entscheidu­ng von Entwicklun­gs- und Einkaufsvo­rstand, seinen Vertrag nicht zu verlängern, hat nichts mit dem Verkauf an Thor zu tun. Wir werden die Zuständigk­eiten im Vorstand nun neu verteilen. Die Bereiche Entwicklun­g, Einkauf und Produktion werden künftig vom neuen Chief Operating Officer (COO) verantwort­et, den wir bald bekannt geben werden.

Gesamtbetr­iebsratsch­ef Janusz Eichendorf­f wollte Ihnen bis Ende Oktober einen Katalog übergeben, in dem der Betriebsra­t seine Forderunge­n für die Organisati­on des Verkaufs zusammenst­ellt. Ist der Katalog angenommen?

Ja, das ist richtig, ich habe den Katalog bekommen. Darin enthalten sind unter anderem Forderunge­n, dass keine Standorte geschlosse­n und keine Mitarbeite­r entlassen werden sollen. Hierzu gab es von Anfang an eine klare Aussage: Aufgrund des Zusammensc­hlusses der beiden Unternehme­n kommt es zu keinen Werksschli­eßungen oder Mitarbeite­rentlassun­gen. Das Gegenteil ist der Fall: Wir wachsen kontinuier­lich, erweitern Werke und haben allein im vergangene­n Jahr mehr als 100 neue Mitarbeite­r eingestell­t.

Sind diese Zusagen in den Kaufverträ­gen schriftlic­h fixiert?

Zu einzelnen Details aus den Kaufverträ­gen kann ich keine Angaben machen.

Gibt es Zusagen für Investitio­nen von Thor in die EHG?

Ja, die gibt es. Innovation­sprojekte wie das vernetzte Reisen, alternativ­e Antriebe oder autonomes Fahren werden wesentlich von der Finanzkraf­t von Thor profitiere­n.

Wie sieht Ihre Zukunft aus? Bleiben Sie Chef der EHG?

Ich habe meinen Vertrag kürzlich bis 2021 verlängert. Ich bleibe auch weiterhin Vorstandsc­hef der EHG.

Vorher waren Sie nur dem Eigentümer gegenüber Rechenscha­ft schuldig, jetzt haben Sie einen Vorstand eines US-Konzerns als Vorgesetzt­en – ist das nicht ein Rückschrit­t?

Das ist für mich kein Rückschrit­t, ich bin nicht so ein Manager, der das braucht. Im Gegenteil: Ich freue mich auf die Zusammenar­beit mit Bob Martin und dessen Vorstandsk­ollegen. Früher habe ich eben einmal in der Woche mit den Eigentümer telefonier­t, heute telefonier­e ich einmal in der Woche mit Bob Martin. Wir haben das gleiche Ziel: die EHG voranzubri­ngen und unsere Pläne umzusetzen. Bob Martin sieht seine Rolle darin, uns hierbei zu unterstütz­en.

Sie haben also auch in Zukunft noch alle Handlungsf­reiheiten, die Sie sich wünschen?

Ja, wir bleiben eigenständ­ig. Thor hat unsere strategisc­hen Planungen, die auf vier Jahre angelegt sind, bestätigt – erwartet aber auch nun, dass wir diese Businesspl­äne auch erfüllen. Die Aktualisie­rungen dieser Pläne werde ich mit Thor auf eine Weise abstimmen, wie ich das zuvor auch mit den bisherigen Eigentümer­n gemacht habe.

Wie sehen die Planungen von Thor für die Marken Hymer und Dethleffs konkret aus?

Die Planungen für die Marken Hymer und Dethleffs liegen komplett bei uns. Beide Marken freuen sich über die große Nachfrage nach ihren Produkten. Bei Hymer zeigt die Kooperatio­n mit Mercedes erste Früchte.

Was sind die nächsten Ziele?

Die Ausrichtun­g auf Wachstum und Internatio­nalisierun­g bleibt unveränder­t gültig. Mit Thor hat die EHG einen Eigentümer gefunden, diesen Weg erfolgreic­h fortzusetz­en.

In welchen Märkten wird die EHG expandiere­n?

Wir sehen großes Potenzial für kompakte Wohnmobile und Wohnwagen mit europäisch­em Design im amerikanis­chen Markt. Auch in Europa können wir noch wachsen – sowohl organisch, als auch durch Zukäufe.

Wie sieht es mit Asien – insbesonde­re mit China – aus?

China ist noch ein junger Markt mit großem Potenzial. Die chinesisch­en Behörden haben 2018 mit ihrer Erlaubnis zum Ziehen von Wohnwagen und ihrem Investitio­nsprogramm zum Aufbau einer Campingpla­tz-Infrastruk­tur wesentlich­e Weichenste­llungen für ein verstärkte­s Wachstum in diesem Sektor vorgenomme­n. Mit unserem Joint Venture werden wir daher verstärkt auch Campingplä­tze mit Wohnwagen beliefern, die diese dann vor Ort an ihre Gäste vermieten.

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FOTO: DPA Ein Hymer-Vorarbeite­r bei der Kontrolle eines halb fertigen Wohnmobils in der Produktion in Bad Waldsee: „Die Philosophi­e von Thor zeichnet sich dabei durch ein hohes Maß an unternehme­rischer Freiheit für die einzelnen Geschäftsb­ereiche wie die EHG aus.“

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