Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Von Publikumslieblingen zu Nazi-Verfolgten
Evangelische Kirche erinnert am Beispiel der Comedian Harmonists an den Beginn der Judenpogrome
LEUTKIRCH - Auch die evangelische Kirchengemeinde Leutkirch hat in der Dreifaltigkeitskirche am vergangenen Wochenende des schicksalhaften 9. November gedacht. Bei der Veranstaltung am Freitagabend und beim Gottesdienst am Sonntagmorgen wurde sowohl an das Kriegsende vor 100 Jahren als auch an den Mauerfall 1989 erinnert. Den Schwerpunkt hatte Pfarrerin Tanja Götz allerdings beide Male auf die Pogromnacht vor 80 Jahren gelegt, in der mehr als 1000 Synagogen verwüstet oder niedergebrannt wurden. 30 000 Menschen kamen in Haft, Hunderte wurden getötet.
Am Beispiel des berühmten Berliner Vokalensembles Comedian Harmonists machte Pfarrerin Götz deutlich, wie das NS-System in den ganz normalen Alltag der Menschen einbrach. Alles wurde aussortiert, was nicht ins System passte – so auch die Ensemblemitglieder Harry Frommermann, Roman Cycowski und Erich Collin. Weil sie keinen Ariernachweis erbringen konnten, wurden sie nicht in die Reichsmusikkammer aufgenommen, und Nichtmitglieder bekamen Arbeitsverbot. 1935 löst sich das Ensemble auf. Einziger Trost: Alle drei jüdischen Mitglieder überlebten den Krieg.
Finsternis bricht herein
Antisemitismus, Hass und Gewalt brachen über Deutschland herein „wie der Dieb in der Nacht“– wie auch bei der Lesung aus dem 1. Tessalonicher-Brief des Paulus unter der Überschrift „Der Tag des Herrn“im sonntäglichen Gottesdienst beschrieben. Für einige der Comedian Harmonists hatte es sich klar abgezeichnet, welche Finsternis über Deutschland hereingebrochen war. Die anderen hofften darauf, dass es nicht so schlimm kommen würde. Doch wie die Geschichte beweist, es kam noch schlimmer. Und so zitierte Pfarrerin noch einmal Paulus: „Wenn sie sagen werden: Es ist Friede, es hat keine Gefahr, dann wird sie das Verderben schnell überfallen…“
Was am „Tag des Herrn“passiere, gehe über unser Fassungsvermögen hinaus, predigte Götz. Wir sollten aber nicht so tun, als ginge alles immer so weiter, wie bisher. Die Aufforderung zur großen Wachsamkeit sei unüberhörbar. Gerade in Zeiten wie diesen, wo sich Nationalismus, Ausländerfeindlichkeit und auch Antisemitismus wieder breit machen, war das eine deutliche Mahnung der Theologin. Als 1938 die Synagogen brannten, zitierte der später von den Nazis hingerichtete Dietrich Bonhoeffer den Propheten Sacharja: „Wer euch antastet, tastet Gottes Augapfel an“. Und dass man durch mangelndes Aufstehen gegen Unrecht auch schuldig werden kann, fasste die 1997 gestorbene jüdische Schriftstellerin Gerty Spies in ihrem Gedicht „Des Unschuldigen Schuld“zusammen, das von Götz am Freitagabend vorgetragen wurde.