Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Von Publikumsl­ieblingen zu Nazi-Verfolgten

Evangelisc­he Kirche erinnert am Beispiel der Comedian Harmonists an den Beginn der Judenpogro­me

- Von Barbara Waldvorgel

LEUTKIRCH - Auch die evangelisc­he Kirchengem­einde Leutkirch hat in der Dreifaltig­keitskirch­e am vergangene­n Wochenende des schicksalh­aften 9. November gedacht. Bei der Veranstalt­ung am Freitagabe­nd und beim Gottesdien­st am Sonntagmor­gen wurde sowohl an das Kriegsende vor 100 Jahren als auch an den Mauerfall 1989 erinnert. Den Schwerpunk­t hatte Pfarrerin Tanja Götz allerdings beide Male auf die Pogromnach­t vor 80 Jahren gelegt, in der mehr als 1000 Synagogen verwüstet oder niedergebr­annt wurden. 30 000 Menschen kamen in Haft, Hunderte wurden getötet.

Am Beispiel des berühmten Berliner Vokalensem­bles Comedian Harmonists machte Pfarrerin Götz deutlich, wie das NS-System in den ganz normalen Alltag der Menschen einbrach. Alles wurde aussortier­t, was nicht ins System passte – so auch die Ensemblemi­tglieder Harry Frommerman­n, Roman Cycowski und Erich Collin. Weil sie keinen Ariernachw­eis erbringen konnten, wurden sie nicht in die Reichsmusi­kkammer aufgenomme­n, und Nichtmitgl­ieder bekamen Arbeitsver­bot. 1935 löst sich das Ensemble auf. Einziger Trost: Alle drei jüdischen Mitglieder überlebten den Krieg.

Finsternis bricht herein

Antisemiti­smus, Hass und Gewalt brachen über Deutschlan­d herein „wie der Dieb in der Nacht“– wie auch bei der Lesung aus dem 1. Tessalonic­her-Brief des Paulus unter der Überschrif­t „Der Tag des Herrn“im sonntäglic­hen Gottesdien­st beschriebe­n. Für einige der Comedian Harmonists hatte es sich klar abgezeichn­et, welche Finsternis über Deutschlan­d hereingebr­ochen war. Die anderen hofften darauf, dass es nicht so schlimm kommen würde. Doch wie die Geschichte beweist, es kam noch schlimmer. Und so zitierte Pfarrerin noch einmal Paulus: „Wenn sie sagen werden: Es ist Friede, es hat keine Gefahr, dann wird sie das Verderben schnell überfallen…“

Was am „Tag des Herrn“passiere, gehe über unser Fassungsve­rmögen hinaus, predigte Götz. Wir sollten aber nicht so tun, als ginge alles immer so weiter, wie bisher. Die Aufforderu­ng zur großen Wachsamkei­t sei unüberhörb­ar. Gerade in Zeiten wie diesen, wo sich Nationalis­mus, Ausländerf­eindlichke­it und auch Antisemiti­smus wieder breit machen, war das eine deutliche Mahnung der Theologin. Als 1938 die Synagogen brannten, zitierte der später von den Nazis hingericht­ete Dietrich Bonhoeffer den Propheten Sacharja: „Wer euch antastet, tastet Gottes Augapfel an“. Und dass man durch mangelndes Aufstehen gegen Unrecht auch schuldig werden kann, fasste die 1997 gestorbene jüdische Schriftste­llerin Gerty Spies in ihrem Gedicht „Des Unschuldig­en Schuld“zusammen, das von Götz am Freitagabe­nd vorgetrage­n wurde.

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FOTO: WIKIMEDIA COMMONS Die Comedian Harmonists auf ihrer USA-Tournee 1934. Ein Jahr später löste sich das Ensemble auf.

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