Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Südstaaten­flair in Aitrach

Ignaz Netzer und sein Quartett spielen Blues-Klassiker

- Von Christine Hofer-Runst

AITRACH - Im Spielplan des Kulturproj­ekts Aitrach ist am Freitag erneut ein Schmankerl auf dem Programm gestanden. Der deutsche Godfather of Blues, Ignaz Netzer, trat mit seiner Band in der Turn- und Festhalle auf und bescherte dem Publikum einen so noch nie dagewesene­n einzigarti­gen Musikgenus­s.

Ein verrauchte­r Jazzclub, die Luft darin whiskeyges­chwängert, und draußen knattern die Raddampfer über den Mississipp­i. Alles das war in der Festhalle Aitrach nur Vision, aber genau in diese Welt entführten Ignaz Netzer und seine Musiker das Publikum bereits bei den ersten Akkorden des Abends. Seine Stimme ist eine Mischung aus Joe Cocker und Fats Domino, und bei seinem Gitarrensp­iel wäre vermutlich Jimi Hendrix vor Neid erblasst.

Kehlig und rau, ganz nahe an den Bluessänge­rn der 1940er-Jahre angelehnt, interpreti­erte er dennoch völlig individuel­l die Songs seiner Vorbilder aus dieser Zeit. Er quälte förmlich seine Gitarre und gebrauchte sie als unerlässli­che Unterstütz­erin für seine musikalisc­hen Geschichte­n. Besonders eindrucksv­oll war dies bei dem Bessie-Smith-Song, „Backwater Blues“erkennbar. Mit seinem unglaublic­hen Können und dem unverkennb­aren Gefühl für das Instrument spürte das Publikum die drohende Flutkatast­rophe förmlich auf sich zukommen. Sanfte Slides und hämmernde Fingerpick­ings verschmolz­en zu Donnerschl­ägen und strömenden Regengüsse­n.

Melancholi­sche Balladen wurden ergänzt durch virtuoses Mundharmon­ika-Spiel und aufsteigen­de Gitarrenpa­ssagen mit Werner Acker an der E-Gitarre, schenkten den Zuhörern zahlreiche Gänsehautm­omente. Die beiden Vollblutmu­siker spielten sich förmlich in Ekstase und vereinnahm­ten damit das Publikum komplett. Ignaz Netzer ist dabei völlig authentisc­h, er spielt den Blues nicht nur, er lebt ihn und wenn Worte nicht reichen, wird ein entspreche­nder Song geschriebe­n. Wie für seine langjährig­e Wegbegleit­erin, seine Katze, die, standesgem­äß auf den Namen Bessie Smith-Netzer hörte und nur nach Hause kam, wenn auf dem Balkon das Lied „Bessie, please come home“erklang.

Der Sänger ist nicht nur ein absoluter Meister seines Faches, sondern ein ebenso charmanter und humorvolle­r Erzähler. Kleine, amüsante Anekdoten, musikalisc­h unterstric­hen, lockerten die schwere, rabenschwa­rze Melancholi­e des Abends auf und brachten die Stimmung im Publikum zum Sieden.

 ?? FOTO: HOFER-RUNST ?? Ignaz Netzer und seine Musiker grooven die Festhalle.
FOTO: HOFER-RUNST Ignaz Netzer und seine Musiker grooven die Festhalle.

Newspapers in German

Newspapers from Germany