Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Südstaatenflair in Aitrach
Ignaz Netzer und sein Quartett spielen Blues-Klassiker
AITRACH - Im Spielplan des Kulturprojekts Aitrach ist am Freitag erneut ein Schmankerl auf dem Programm gestanden. Der deutsche Godfather of Blues, Ignaz Netzer, trat mit seiner Band in der Turn- und Festhalle auf und bescherte dem Publikum einen so noch nie dagewesenen einzigartigen Musikgenuss.
Ein verrauchter Jazzclub, die Luft darin whiskeygeschwängert, und draußen knattern die Raddampfer über den Mississippi. Alles das war in der Festhalle Aitrach nur Vision, aber genau in diese Welt entführten Ignaz Netzer und seine Musiker das Publikum bereits bei den ersten Akkorden des Abends. Seine Stimme ist eine Mischung aus Joe Cocker und Fats Domino, und bei seinem Gitarrenspiel wäre vermutlich Jimi Hendrix vor Neid erblasst.
Kehlig und rau, ganz nahe an den Bluessängern der 1940er-Jahre angelehnt, interpretierte er dennoch völlig individuell die Songs seiner Vorbilder aus dieser Zeit. Er quälte förmlich seine Gitarre und gebrauchte sie als unerlässliche Unterstützerin für seine musikalischen Geschichten. Besonders eindrucksvoll war dies bei dem Bessie-Smith-Song, „Backwater Blues“erkennbar. Mit seinem unglaublichen Können und dem unverkennbaren Gefühl für das Instrument spürte das Publikum die drohende Flutkatastrophe förmlich auf sich zukommen. Sanfte Slides und hämmernde Fingerpickings verschmolzen zu Donnerschlägen und strömenden Regengüssen.
Melancholische Balladen wurden ergänzt durch virtuoses Mundharmonika-Spiel und aufsteigende Gitarrenpassagen mit Werner Acker an der E-Gitarre, schenkten den Zuhörern zahlreiche Gänsehautmomente. Die beiden Vollblutmusiker spielten sich förmlich in Ekstase und vereinnahmten damit das Publikum komplett. Ignaz Netzer ist dabei völlig authentisch, er spielt den Blues nicht nur, er lebt ihn und wenn Worte nicht reichen, wird ein entsprechender Song geschrieben. Wie für seine langjährige Wegbegleiterin, seine Katze, die, standesgemäß auf den Namen Bessie Smith-Netzer hörte und nur nach Hause kam, wenn auf dem Balkon das Lied „Bessie, please come home“erklang.
Der Sänger ist nicht nur ein absoluter Meister seines Faches, sondern ein ebenso charmanter und humorvoller Erzähler. Kleine, amüsante Anekdoten, musikalisch unterstrichen, lockerten die schwere, rabenschwarze Melancholie des Abends auf und brachten die Stimmung im Publikum zum Sieden.