Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Luftreinhalteplan: Was das für die Stadt heißen würde
Fragen und Antworten rund um ein Thema, das in Ravensburg für Riesenwirbel sorgt
RAVENSBURG - Bekommt die Stadt Ravensburg doch noch einen Luftreinhalteplan vom Regierungspräsidium Tübingen (RP) verordnet? Eventuell in einer abgeschwächten Form? Das hängt im Wesentlichen davon ab, wie sich die Schadstoffwerte bis Ende des Jahres entwickeln. Die „Schwäbische Zeitung“beantwortet heute die wichtigsten Fragen zum Thema.
Wie ist die Rechtslage?
Im Jahr 2016 sind an der Schussenstraße, also der meistbefahrenen Verkehrsachse in der Ravensburger Innenstadt, an der zudem viele Menschen wohnen, deutlich überhöhte Stickstoffdioxidwerte gemessen worden. Der Jahresmittelwert lag bei 49 Mikrogramm pro Kubikmeter ( g/m3) Luft. Damit war der Grenzwert zum Schutz der menschlichen Gesundheit von 40 g/m3 überschritten. Somit greift zum einen das Bundesimmissionsschutzgesetz und zum anderen die aktuelle Bundesimmissionsschutzverordnung: Sie besagen, dass die zuständige Behörde, in dem Fall das RP, einen Luftreinhalteplan erstellen muss, der Maßnahmen enthält, die dazu geeignet sind, die Schadstoffwerte wieder auf ein akzeptables Maß zu reduzieren. Ein solcher Plan muss gemäß einer EU-Richtlinie spätestens zwei Jahre nach Ende des Jahres, in dem die erste Überschreitung festgestellt wurde, an die EU-Kommission übermittelt werden. Also Ende 2018. Als Hauptverursacher von Stickstoffdioxid gilt der Straßenverkehr, gefolgt von kleinen und mittleren Feuerungsanlagen (Heizungen).
Warum hat dann das RP wieder einen Rückzieher gemacht?
Bei aktuellen Messungen im Jahr 2018 an zwei Punkten in der Schussenstraße kamen bessere Ergebnisse heraus. Sie wurden nicht auf Wunsch der Stadt Ravensburg vorgenommen, sondern in allen Städten durchgeführt, in denen Luftreinhaltepläne ein Thema sind. Die Konzentration an Stickstoffdioxid in Ravensburg sank im Jahresmittel auf 38 beziehungsweise 41 g/m3 und liegt damit um den Grenzwert herum. Allerdings räumte die zuständige Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg (LUBW) ein, durch ein Versehen am eigentlich entscheidenden Messpunkt in der Schussenstraße 9 erst im Mai mit den Untersuchungen begonnen zu haben. Dort lag der Wert bei 38 g/m3, am unwichtigeren Referenzpunkt in der Schussenstraße 5, wo schon im Januar mit den erneuten Messungen angefangen wurde, bei 41 g/m3. Die Punkte wurden schlicht verwechselt. Es wäre aber laut RP nicht verhältnismäßig, der Stadt Ravensburg restriktive Maßnahmen aufzubürden, wenn der Grenzwert hier wie dort nur minimal überschritten ist. Zudem rechnet das RP damit, dass die Fertigstellung der B 30 Süd im Herbst 2019 den Verkehr und damit die Schadstoffbelastung in der Innenstadt enorm reduzieren wird. Bis Ende des Jahres wird weiter gemessen und dann auf Basis der Datenlage entschieden, ob es doch noch einen Luftreinhalteplan geben wird – aber mit hoher Wahrscheinlichkeit ohne Fahrverbote für ältere Diesel wie etwa in Stuttgart. Auf Wunsch der Stadt wird auch im Jahr 2019 weiter gemessen, um zu sehen, wie sich die Situation entwickelt.
Wie kommt es, dass sich die Werte von 2016 auf 2018 überhaupt verbessern konnten?
Das ist laut Christiane Lutz-Holzhauer von der LUBW ein völliges Rätsel. Die verbesserten Werte ließen sich eigentlich nur zu einem ge- ringen Anteil durch die Erneuerung der Fahrzeugflotte erklären. Darunter versteht man, dass nach und nach alte Autos durch neue ersetzt werden, die tatsächlich umweltfreundlicher werden und weniger Schadstoffe ausstoßen als die alten, wenngleich nicht in dem Maße, wie es die Hersteller versprechen. Auch das außergewöhnliche Wetter im Jahr 2018 kann für die Verbesserung der Luftqualität nicht als Begründung herhalten. Zwar sei der Luftaustausch Anfang des Jahres recht positiv gewesen, aber die Hitze und Trockenheit im Sommer hätten eigentlich eine Verschlechterung der Schadstoffwerte ergeben müssen. Fakt ist aber, dass die Werte in allen Städten des Landes, in denen Luftreinhaltepläne anstehen, besser geworden sind: in Esslingen, Heidenheim, Herrenberg, Ilsfeld, Leinfelden-Echterdingen, Tübingen und selbst in Stuttgart, wo die Stickstoffdioxidwerte aber immer noch bedrohlich hoch sind und zudem noch die Feinstaubproblematik besteht, die in Ravensburg keine Rolle spielt.
Welche Vorschläge für einen Luftreinhalteplan kamen aus der Bevölkerung?
Beim RP gingen mehr als 100 Vorschläge aus der Bürgerschaft, den Fraktionen des Gemeinderats und der Stadtverwaltung ein. Sie reichten von absurden Maßnahmen wie einem Flugverbot über Ravensburg und dem Bau einer Gondelbahn in der östlichen Vorstadt bis hin zu autofreien Sonntagen. Alle Vorschläge wurden abgeschätzt und vielversprechende Maßnahmen von Experten untersucht.
Welche Maßnahmen halten Fachleute für sinnvoll, sollte ein Luftreinhalteplan erlassen werden?
Als unverhältnismäßig wird die Einrichtung einer grünen Umweltzone für die Innenstadt erachtet. Es wird also keine Fahrverbote für Autos geben, die keine grüne Plakette haben. Auch die Aufhebung der Einbahnregelung in der Karlstraße und der Georgstraße, die vielen Autofahrern Umwege ersparen würden, weil sie ja direkt nach Norden oder Süden wegfahren könnten, wäre vor Fertigstellung des Molldietetunnels kompliziert und daher verfrüht. Das RP hat folgende Priorisierung vorgenommen: 1.) Die Umrüstung der Stadtbusse auf Euro-6-Diesel oder Erdgas (bereits geplant). 2.) Die sogenannte Pförtnerung der Gartenstraße von Norden. Darunter versteht man längere Rotphasen für Autofahrer, die aus Richtung Weingarten kommen. In Höhe von CHG-Meridian würden sie durch die nervtötenden Rotphasen dazu animiert, über die Ulmer Straße weiterzufahren, wo kein Mensch wohnt und der Verkehr nicht so stört. Dadurch führen weniger Autos durch die Garten- und die Schussenstraße. Um den sich dann anbietenden Schleichweg durch die Schützenstraße unattraktiv zu machen, würde die Grünphase für Linksabbieger von der Ulmer Straße gleichzeitig verkürzt. 3.) Die Förderung des Umweltverbundes. Heißt: Ausbau des Radwegenetzes und des ÖPNV, zum Beispiel eine Taktverdichtung von Bus und BOB-Bahn, Angebote von Car-Sharing und Bike-Sharing, die Stärkung der Fußgängerachsen (etwa durch längere Grünphasen). 4.) Die Förderung der Elektromobilität durch den Aufbau einer entsprechenden Infrastruktur (Stromtankstellen). 5.) Als letztes würde das RP fordern, Parkgebühren zu erhöhen oder gar auf bislang kostenfreien Plätzen auf der Kuppelnau und an der Oberschwabenhalle erstmals zu erheben. Das würde bei der Bevölkerung auch vermutlich sehr schlecht ankommen.