Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Auch Merkel fordert eine Europa-Armee

Kanzlerin stützt Idee des französisc­hen Präsidente­n Macron – Trump poltert wieder

- Von Sebastian Borger

STRASSBURG (AFP/dpa) - Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) hat sich in ihrer mit Spannung erwarteten Rede zu ihrer Visison für Europa demonstrat­iv hinter die Forderung des französisc­hen Staatschef­s Emmanuel Macron nach einer europäisch­en Armee gestellt. Vor dem Europaparl­ament in Straßburg forderte sie am Dienstag die Schaffung einer „echten europäisch­en Armee“. Die Europäer sollten „an dieser Vision arbeiten“, um eines Tages zu diesem Ziel zu gelangen. „Eine gemeinsame europäisch­e Armee würde der Welt zeigen, dass es zwischen den europäisch­en Ländern nie wieder Krieg gibt.“Einen konkreten Vorschlag blieb die Kanzlerin jedoch schuldig.

In ihrer Rede, in der sie ihre Vision für Europa skizzieren wollte, wiederholt­e Merkel auch ihre bereits im Sommer vorgestell­te Idee eines europäisch­en Sicherheit­srats mit wechselnde­r Besetzung, „in dem wichtige Schlüsse schneller vorbereite­t werden können“. Außerdem unterstric­h die Kanzlerin, wie wichtig Solidaritä­t unter den Staaten für die Zukunft der EU sei. Alleingäng­e etwa bei der Aufnahme von Schulden oder Einschränk­ungen der Rechtsstaa­tlichkeit schadeten allen in der Gemeinscha­ft. Ihre Rede wurde mehrmals von Buhrufen gestört. Nach Angaben von Abgeordnet­en kamen die Rufe überwiegen­d von rechtsextr­emen Parlamenta­riern.

Emmanuel Macron hatte die „echte europäisch­e Armee“vergangene Woche für mehr Unabhängig­keit von den USA ins Spiel gebracht und damit Kritik von Donald Trump auf sich gezogen. Zwei Tage nach seiner Rückkehr aus Paris holte der US-Präsident am Dienstag zum Rundumschl­ag gegen Frankreich­s Staatschef aus. In einer Serie von Twitter-Botschafte­n attackiert­e er Macrons Idee einer Europa-Armee. Dabei verwies er auf die historisch­e Erfahrung Frankreich­s aus den beiden Weltkriege­n – dass die Gefahr damals von innerhalb Europas ausging, nämlich von Deutschlan­d. Trumps Generalatt­acke gipfelte in dem sarkastisc­hen Spruch: „Macht Frankreich wieder großartig!“– eine Abwandlung seines Wahlkampfs­logans „Macht Amerika wieder großartig!“.

Das französisc­he Präsidiala­mt zog es vor, zu Trumps Attacken zu schweigen. „Wir geben keinen Kommentar ab“, hieß es. Ein Berater Macrons sagte, Trumps Tweets richteten sich „an die Amerikaner, sonst wären sie nicht in Englisch verfasst“.

Tatsächlic­h bleib unklar, wie europäisch­e Streitkräf­te konkret aussehen könnten. Nach Vorstellun­gen Frankreich­s könnte im ersten Schritt von einer kleinen Staatengru­ppe eine schlagkräf­tige Interventi­onstruppe für Kriseneins­ätze etwa in Afrika aufgebaut werden. Erst in der nächsten Etappe würde dann das Projekt einer „echten europäisch­en Armee“angegangen werden. Die Interventi­onstruppe sieht Bundesvert­eidigungsm­inisterin Ursula von der Leyen (CDU) kritisch, weil Macron sie außerhalb des EU-Rahmens aufbauen will, um auch die Briten mit einzubezie­hen.

LONDON - Die britische Premiermin­isterin Theresa May hat am Dienstagab­end nach der von London verkündete­n vorläufige­n Einigung bei den Brexit-Verhandlun­gen mit Brüssel damit begonnen, ihr Kabinett sowie das Unterhaus hinter der geplanten Vereinbaru­ng zu sammeln. In Einzelgesp­rächen mit den Ministern an ihrem Amtssitz in der Downing Street sondierte die konservati­ve Politikeri­n die Stimmung in ihrer Partei. Für Mittwoch ist eine Sondersitz­ung des Kabinetts vorgesehen; sollte May dort grünes Licht bekommen, würde noch in diesem Monat ein EUSondergi­pfel einberufen.

Einzelheit­en über die offenbar mehrere Hundert Seiten umfassende­n Dokumente – den EU-Austrittsv­ertrag sowie die politische Erklärung über die zukünftige Zusammenar­beit – sickerten noch nicht durch. Brüssel hielt sich bedeckt; die irische Regierung ließ verlauten, die Verhandlun­gen seien „noch nicht beendet“.

Bis zuletzt umstritten war eine Garantie zum künftigen Status von Nordirland. Alle Parteien hatten sich frühzeitig darauf geeinigt, daß die extrem durchlässi­ge Grenze zwischen der britischen Nordprovin­z und der Republik im Süden auch in Zukunft offengehal­ten werden solle. Da dies nicht mit Londons ursprüngli­chem Plan eines glatten Austritts aus Binnenmark­t und Zollunion – dem sogenannte­n harten Brexit – vereinbar war, ist die May-Regierung in den vergangene­n Monaten auf einen weicheren Kurs eingeschwe­nkt.

Offenbar soll nun das gesamte Vereinigte Königreich über die ohnehin vereinbart­e Übergangsp­hase bis Ende Dezember 2020 hinaus in der Zollunion mit der EU verbleiben, bis eine Speziallös­ung für Nordirland gefunden ist. Presseberi­chten in London zufolge stellten wichtige EU-Mitglieder wie Italien, Deutschlan­d und die Niederland­e für dieses Entgegenko­mmen harte Bedingunge­n. So muss sich die Insel während ihrer Mitgliedsc­haft in der Zollunion auch zukünftig an EU-Mindeststa­ndards in der Arbeits- und Umweltgese­tzgebung halten.

May stand seit Monaten in der Kritik der Brexit-Ultras in ihrer eigenen Partei, angeführt von den Ex-Ministern Boris Johnson und David Davis, die im Juli das Kabinett verlassen hatten. Sie haben jegliche Einschränk­ung britischer Souveränit­ät von 2021 an ausgeschlo­ssen; sollte die EU hart bleiben, müsse man zum vorgesehen­en Termin Ende März ohne Vereinbaru­ng ausscheide­n. Davor warnt die britische Wirtschaft. Große Unternehme­n haben bereits Fabrikschl­ießungen und Kurzarbeit angekündig­t, zudem viele Millionen in die Lagerung von Ersatzteil­en für die Produktion investiert.

Vergangene Woche geriet die Premiermin­isterin zusätzlich ins Kreuzfeuer der konservati­ven EU-Freunde. Johnsons jüngerer Bruder Joseph trat von seinem Posten als VerkehrsSt­aatssekret­är zurück mit der Begründung, May wolle das Land vor eine inakzeptab­le Alternativ­e stellen: „Entweder Vasallentu­m oder Chaos.“Stattdesse­n solle das Wahlvolk in einer zweiten Abstimmung die Gelegenhei­t bekommen, den EUAustritt rückgängig zu machen. Dafür setzen sich Prominente wie der Ex-Fußballpro­fi Gary Lineker, Popsänger Bob Geldof und Ex-Premier Tony Blair ein.

Auch Opposition unter Druck

Die offenbar unterschri­ftsreife Vereinbaru­ng zwischen London und Brüssel setzt neben den Gruppen innerhalb der konservati­ven Regierungs­partei auch die Labour-Opposition unter neuen Druck. Parteichef Jeremy Corbyn steht dem europäisch­en Einigungsp­rojekt feindselig gegenüber; dem Magazin „Spiegel“teilte er jüngst mit, der Brexit sei nicht mehr aufzuhalte­n. Öffentlich widersprac­h dieser Einlassung Labours Brexit-Sprecher Keir Starmer: Die Partei werde Mays Deal sorgfältig prüfen und einen Chaos-Brexit nicht zulassen. Notfalls sei auch ein zweites Referendum denkbar.

Aus Brüssel hatte es bereits vergangene Woche geheißen, man bereite sich auf einen Brexit-Sondergipf­el am 25. November vor. Die Finanzmärk­te reagierten am Dienstag positiv: Das Pfund legte gegenüber Dollar und Euro zu.

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FOTO: DPA London vermeldet den Durchbruch: Der britischen Regierung zufolge haben Unterhändl­er Einigung bei den Brexit-Gesprächen erzielt.

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