Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Hilfspfleger soll sechs Senioren mit Insulin ermordet haben – Opfer aus Tuttlingen
Der 36-jährige Verdächtige war seit Mai 2015 an 68 Orten in ganz Deutschland beschäftigt – Damit er weiterziehen konnte, verabreichte er Spritzen
TUTTLINGEN/MÜNCHEN (lsw/lby) - Ein Hilfspfleger soll an verschiedenen Orten in Deutschland, darunter auch im Landkreis Tuttlingen, sechs alte Männer und Frauen ermordet haben. Dies ergaben die Ermittlungen gegen den 36 Jahre alten Polen, der seit Februar in Untersuchungshaft sitzt, wie Polizei und Staatsanwaltschaft am Dienstag in München mitteilten. Der Mann habe seinen Opfern tödliche Dosen von Insulin verabreicht. Drei Morde soll er zudem in Bayern, außerdem je einen in Schleswig-Holstein und Niedersachsen begangen haben. Im Landkreis Tuttlingen wurde dabei den Angaben zufolge Ende Juli vergangenen Jahres eine 88-Jährige umgebracht.
Die Ermittler werfen dem Mann auch drei versuchte Morde vor – unter anderem an einem 90-Jährigen in Esslingen im Juni 2017. Hinzu kommen drei Fälle der gefährlichen Körperverletzung, darunter bei einem 82-Jährigen im Rems-Murr-Kreis im vergangenen Dezember. Zudem soll der Verdächtige etliche Klienten bestohlen haben. Anfang des Jahres war er unter Verdacht geraten, einen 87Jährigen in Ottobrunn bei München mit Insulin getötet zu haben. Daraufhin wurde auch an seinen vorigen Einsatzorten nachgeforscht.
Dem selbst an Diabetes erkrankten Hilfspfleger wurde im Januar 2017 Insulin verschrieben. Mit einem sogenannten Insulin-Pen spritzte er seit April 2017 auch zwölf betreuten Senioren im Alter zwischen 66 und 91 Jahren das Medikament, obwohl diese es gar nicht brauchten – in den sechs Fällen war es eine tödliche Dosis. Der Beschuldigte gestand die Taten, bestritt aber eine Tötungsabsicht.
Seit Mai 2015 hatte der Hilfspfleger sich nach den Erkenntnissen der Ermittler in Deutschland um pflegebedürftige Personen gekümmert, zur 24-Stunden-Pflege zog er bei den Patienten auch ein. Insgesamt war er an 68 Orten beschäftigt. In der Regel habe er nach kurzer Zeit festgestellt, dass ihm „dieser Arbeitsplatz nicht so liegt“, sagte Oberstaatsanwältin Anne Leiding. Die Gründe dafür seien unterschiedlich, beispielsweise „dass die Gepflegten häufig Besuch empfangen, und er sich dadurch kontrolliert fühlt“, sagte Leiding. Andere Gründe: fehlendes WLAN, Essen, das ihm nicht schmeckte, dass er mehrfach in der Nacht aufstehen musste. Manchmal habe er sich überlastet gefühlt mit den Anforderungen und den Aufgaben, die an ihn gestellt wurden, sagte Josef Wimmer von der Mordkommission.
Der 36-Jährige wollte demnach weg von den Arbeitsstellen, die ihm nicht gefielen. Im Fall einer Kündigung hätte er jedoch teilweise mit vertraglichen Strafen rechnen müssen. Um diesen zu entgehen, habe er das Insulin verabreicht. So wurden die Patienten zum Notfall, wurden ins Krankenhaus gebracht und er konnte von einem außerordentlichen Kündigungsrecht Gebrauch machen. „Nach unserem Stand der Ermittlungen nahm er den Tod der Betreuten durchaus billigend in Kauf“, sagte Wimmer.
Ans Tageslicht kam alles durch den mutmaßlichen Insulinmord an einem 87-Jährigen in Ottobrunn im Februar. Daraufhin wurde an den vorigen Einsatzorten des Hilfspflegers nachgeforscht, die Polizei wandte sich an die Öffentlichkeit. 23 Beschäftigungen des Hilfspflegers seien so bekannt geworden, vier davon kosteten einen Menschen das Leben.