Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Die letzten schwarzen Tage
Für den Historiker Gerd Krumeich bleibt die Weimarer Republik ein „Kind des Krieges“
Dieses Buch liest sich interessant und zügig, es ist leicht verständlich. Auf den zweiten Blick häufen sich die Schwierigkeiten. So startet es mit einem Widerspruch. „Das Trauma des Ersten Weltkriegs und die Weimarer Republik“heißt der Untertitel. Und der erste Satz lautet: „Dies ist kein Buch über die Weimarer Republik“. Also was nun?
Gerd Krumeich, bis 2010 Lehrstuhlinhaber für Neuere Geschichte in Düsseldorf, hat viel über den Ersten Weltkrieg geschrieben, auch in vergleichender Sicht mit Kollegen aus Frankreich. Nun vermittelt er den Eindruck, dass er am liebsten noch einmal von vorne anfangen möchte. Sein neues Buch bekundet Interesse an mentalitätsgeschichtlichen Ansätzen, er selber hantiert mit psychologischen Begriffen, die er mit historischen Fakten anreichert. Der Effekt ist eine anregende Lektüre bei argumentativer Unschärfe.
Streitpunkt „Dolchstoßlegende“
Was Krumeich an Mentalitätsgeschichte interessiert, ist offenbar ein methodischer Pluralismus, auch das Überwinden von Epochengrenzen. So bringt er Weltkrieg und Weimarer Republik zusammen. Sie ist für ihn „ein Kind des Krieges“, das diesem Schicksal nicht mehr entrinnen konnte. Zur Brücke zwischen beiden Epochen macht er die „Dolchstoßlegende“.
Der Veröffentlichung des Buches ging ein ausführlicher Beitrag Krumeichs zum selben Thema in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“voraus. Dem folgte eine heftige Gegenrede. Das liegt daran, dass die „Dolchstoßlegende“ein schillernder Begriff ist. Sie besagt, das deutsche Heer sei 1918 „im Felde unbesiegt“geblieben, die Heimat sei ihm in den Rücken gefallen. Die „Dolchstoßlegende“wurde zur Wunderwaffe der nationalsozialistischen Propaganda.
Natürlich befeuert Krumeich diese Legende nicht. Er sucht wie ein wohlmeinender Bibelforscher die Wahrheiten hinter der Legende. Dazu zählt er all die schwarzen Tage der letzten Kriegsjahre auf, die die Zivilgesellschaft kriegsmüde machten. Den Hunger im Reich und in der Donaumonarchie, die Streikwelle der Arbeiter und vor allem der Arbeiterinnen, die in Wien losbrach und nach Süddeutschland rollte. Und die Friedensforderungen. In einen Exkurs berichtet er vom Streik französischer Soldaten, die einen Wechsel der Militärstrategie erzwangen. In Deutschland mochte man die Durchhalteparolen nicht länger hören, man machte sich über die „Harret aus“Plakate lustig, die für Kriegsanleihen warben. Der Waffenstillstand war eine Vereinbarung und keine Kapitulation. Als die Soldaten von der Westfront zurückkehrten, versuchte auch niemand, ihnen eine Schuld in Sdie chuhe schieben. In dieser Situation flüchteten sich Politiker, auch wenn sie nicht zu den Rechten gehörten, in Erklärungen, die der „Dolchstoßlegende“recht nahe kamen, auch wenn dieses Wort noch nicht fiel.
Krumeich ist sich der Problematik dieser Begriffsverwendung bewusst. Er schreibt im Vorwort, er befinde sich auf „vermintem Gelände“. Die Reaktionen auf seinen Zeitungsartikel haben das gezeigt. Aber er hat nicht die Konsequenz gezogen, im Buch anders zu argumentieren. Statt „Dolchstoßlegende“schreibt er nun „Dolchstoßlegenden“und setzt Anführungszeichen.
Nebulöse Begriffe
Der zweite Teil zur Weimarer Zeit liest sich so interessant und flüssig wie der erste. Und hat doch wieder ein Begriffsproblem. Die Erfahrung von Krieg und Niederlage bezeichnet Krumeich als „Trauma“, das die junge Republik belastete. Auch bei diesem Begriff ist er sich bewusst, dass der als Beschreibung gesellschaftlicher Zustände nebulös ist. Trotzdem arbeitet er damit.
Er argumentiert, die Forschung habe zu lange die Weimarer Republik vom Schwanz her aufgezäumt. Es komme darauf an, ihre Geschichte vom Ursprung her zu lesen, vom Kriegsende 1918. Und nicht von ihrem Scheitern 1933. Wo soll der Unterschied sein? Krumeich selber packt der Republik ihr „Trauma“auf den Rücken, das ihr keine Chance lässt.
Einige Widersprüche
Und weiter geht’s zum nächsten Widerspruch. Krumeich erwähnt die veränderte Stimmung, die Zeitzeugen bereits 1918 und dann in den Zwanzigerjahre in Berlin beobachteten, das Verschwinden des Militarismus im Alltag, eine neue Lebenslust. Sozusagen den Übergang von der Marschmusik zum Foxtrott. Dann führt er detailliert aus, wie die junge Republik auf Distanz hielt zum „militärischen Firlefanz“der Kaiserzeit. Anschließend argumentiert er andersherum, die Republik habe das Opfergedenken vernachlässigt und so den Nationalsozialisten ein Feld eröffnet, das sie politisch bewirtschaften konnten. Weimar, sagt Krumeich, habe „die Niederlage im Ersten Weltkrieg nicht bewältigt“. Und schon kommt der nächste Problembär: der Begriff „Vergangenheitsbewältigung“.
Gerd Krumeich: Die unbewältigte Niederlage, Herder, Freiburg, 330 Seiten, 25 Euro.