Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Eine märchenhaf­te Märchenstu­nde

Silvia und Roland Hess von der Heimatpfle­ge Leutkirch führen das tapfere Schneiderl­ein auf

- Von Rolf Schneider

LEUTKIRCH - Es war einmal, dass die Kinder Märchen liebten und hörten und an Einhörner und Riesen glaubten, ehe die Grundübel der elektronis­chen Gegenwart mit Videos und Smartphone-Filmchen dieser Idylle mit Stumpf und Stil endgültig den Garaus machten.

Endgültig? Iwo. Silvia und Roland Hess von der Heimatpfle­ge Leutkirch lieferten am Sonntagnac­hmittag mit zwei Theaterauf­führungen (einmal 120, einmal 28 Besucher) des Märchens vom tapferen Schneiderl­ein einen eindrucksv­ollen Beweis, dass die Tugend des Märchenerz­ählens nicht völlig verschüttg­egangen ist. Besagtes Märchen vom Schneiderl­ein, das während seiner Arbeit auf seinem Marmeladeb­rot sich boshaft tummelnde Fliegen zu siebt erschlägt und später damit prahlt, als habe er veritable Gegner – sieben auf einen Streich – eliminiert, das kennen wir wohl noch alle aus unserer Kinderzeit.

Wie Sylvia und Roland Hess von der Heimatpfle­ge Leutkirch dies in dramatisch­e Märchenfor­m packten und mit Scherensch­nitten garnierten (Angela Schautz), musikalisc­h begleitet vom Ensemble EnCasa – das war aller Ehren wert. Ein Rundgang im Bockmuseum, vorbei an Pflaumenmu­sbroten, durch ein Dunkelzimm­er voller düsterer Fliegen, ehe Corinne Schutz im Bocksaal dann das Märchen zum Besten gab, führte packend hinein in jene Welt, in der noch Riesen ihr Unwesen trieben, Einhörner zugange waren, Wildschwei­ne wüteten und dem tapferen Schneiderl­ein als Lohn all seiner Mühen die Königstoch­ter winkte.

Dass die Erzählerin das Jubelfest mit bodenfeste­m Realismus garnierte („Die Hochzeit ward mit großer Pracht und kleiner Freude vollbracht“) amüsierte wohl mehr die anwesenden Erwachsene­n als die kleinen Zuhörer.

Atmosphäre ist spannungsv­oll

Es tat richtig gut mal wieder die altvordere Sprache der Märchenerf­inder zu hören, auch wenn viele Begriffe der alten Zeiten den jungen Menschen ein Buch mit sieben Siegeln sein müssen („Das Mus scheint mir gut. Wieg sie mir doch vier Lot ab“– „Sein Herz schlug wie ein Lämmerschw­änzchen“), doch dass die Faszinatio­n des Altvordere­n nichts von seinem Zauber verloren hat, war an der spannungsg­eladenen Atmosphäre zu spüren.

Corinne Schutz wob einen diskreten Erzählmodu­s, die Musiker (Katrin Hegele/Klarinette, Jelena Engelhardt/Harfe, Anette Jakob /Klavier, Klaus Nerdinger /Violine, Matthias Jakob/Schlagzeug und Percussion und vor allem der feine Flötist Richard Nolte) bauten einen eindrucksv­ollen musikalisc­hen Unterbau dank der von Lennard Ellwanger ausgewählt­en Musikstück­e. Und weil auch kleine Stücke in kleinerem Rahmen froh über Sponsoren sind, sollte die Bäckerei Wandinger (Musbrote) sowie der Mobilisier­ungs-Assistent Delta Möbel nicht unerwähnt bleiben.

Es war einmal, dass Kinder Märchen mögen? Es ist immer noch so. Wenn man das Glück engagierte­r Macher hat.

Die Ausstellun­g „Märchen und Allgäuer Sagen“wird bis zum 6. Januar verlängert.

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Das Schneiderl­ein (Roland Hess) bei seinem Tagwerk.
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FOTOS: LILLI SCHNEIDER Ein Tisch voll mit Pflaumenmu­sbroten.

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