Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Hundertschaft stürmt „Shoppingmall“
Verfremdete Einkaufswagen bei Isnyer Kunstausstellung zum Konsum.
ISNY - Die Städtische Galerie im Schloss Isny ist für ihre aktuelle Ausstellung sehr einladend herausgeputzt worden: In leuchtfarbigen Lettern prangt „Shoppingmall“über dem Eingang im Innenhof. Die Buchstaben halten, was sie versprechen – eine witzige, ironische und vor allem künstlerische Schau, die am Sonntag unter großem Besucherandrang eröffnet wurde. Karin Konrad, Leiterin des Büros für Kultur, schätzte die Zahl der Vernissagen-Gäste auf rund einhundert.
Zahlen: 48 Werke von 46 Künstlern aus München, dem Allgäu und Isny sind in der Galerie platziert, dazu im öffentlichen Raum in der Stadt, die sich lustvoll der Verfremdung des „Einkaufswagens“annehmen.
Alle kennen ihn, den drahtigen Gefährten auf vier Rädern, die meisten benutzen ihn, schieben ihn entlang der Supermarktregale. Beiläufig. Denn der suchende Blick ist stets eher darauf gerichtet, Gewünschtes zu finden, um es in dem Wagen zu legen. Genau dieses Gefährt ist Mittelpunkt der Ausstellung „Shoppingmall“, die Torsten Mühlbach und Bruno Wank kuratiert haben und die nun in Isny angekommen ist.
Einkaufswagen in neuem Gewand Wagen, deren Körbe mit Zement oder Teer gefüllt sind. Deren Räder zur Unbeweglichkeit verdammt auf Blöcken stehen. Solche, die zur Hälfte im Boden feststecken, und solche, die randvoll gepackt sind mit ineinander verschlungenen Lichterketten. Die auseinander gefaltet eine Wandfläche bespielen oder so zusammen gepresst sind, dass nichts mehr hinein passt. „Ist für ’nen Single-Haushalt“, lautete der humorvolle Kommentar eines Vernissagenbesuchers. Ein anderer: „Ist ’ne echt starke Aussage“– beim Blick auf einen großen Pappkarton im Wagen, der von innen verführerisch blinkt.
Die Künstler titeln „Letztes Mal zu Penny“, wenn statt des Korbes ein Skelett montiert ist; „Sicher ist sicher“, wenn der Wagen unter einem Kettenhemd verschwindet; oder „Rescueeurope“, wenn der Wagen vor lauter gebrauchten, orangefarbenen Westen von Müllmännern überquillt. Endgültig zur Ikone abgestempelt dreht er sich als „Disko“silbrig glitzernd auf einem Rundpodest. Mitten unter ihnen ragt ein überdimensionales Kreuz empor, auf dem all die Konsum-Ikonen prangen – Lidl, Visa, Samsung, Ikea, Coca Cola, Amazon, Aldi Süd.
Hoch erfreut über den großen Besucherandrang zeigten sich die Isnyer Organisatoren mit Kulturchefin Karin Konrad, Werner Mayer, dem Vorsitzenden von Isny Aktiv, und Marktmeister Markus Fischer, der die Ausstellung andernorts gesehen hatte und zum Ideengeber wurde. Schnell waren dann die Isnyer Händler mit im Boot und die Ausstellung in und um deren Läden ausgedehnt: bei „Pura“-Modehändlerin Tanja Mendler und „Gea“der Familie Zwerger, in der Buchhandlung von Diemut Mayer und Monka Raabes Wollladen, auch gegenüber vor Elmar Hermantz’ „Schmuckwerkstatt“, bei Foto Bucher, in der „Allgäuerin“von Daniela Fischbeck; ideele Unterstützer sind Radio Durach und das Immobilienbüro Igel und Kaufmann; ausrangierte Einkaufswagen stifteten Samuel Schönles „Rewe“und „Feneberg“.
Bei den genannen Einzelhändlern finden sich vor allem die von Isnyer Künstler konzipierten Werke: Ein Wagen angefüllt mit frischem Waldboden neben einem mit „dem Himmel abgekaufter“Watte. In der Espantorstraße „Ach du dickes Ei!“ und „Die große Mutter“, die à la Rattenfängerin ihre Kinderschar in Gestalt kleiner Einkaufswagen hinter sich herzieht.
Idee in Läden getragen
Konrad habe keine großen Überredungskünste gebraucht, dass Handel und Kunst Hand in Hand gehen, die Idee in die Läden zu tragen, sei sofort gut angekommen, sagte Werner Mayer. Das Thema passe in die heutige Zeit angesichts eines unreflektierten Konsums. Womit er auf die Einzelhandels-Initiative „Wer weiter denkt, kauft näher ein!“verwies, mit der die Ausstellung kooperiert.
Kunstwissenschaftlerin AnnaCathérine Koch erinnerte in ihrer Einführung an den Beginn der „Shoppingmall“in den 1930er-Jahren in Amerika, die 1948 in Deutschland ankam. Die fensterlosen Konsumtempel mit ihrer permanenten Verfügbarkeit seien Sinnbilder moderner Gesellschaften. Eine zentrale Rolle spiele der „Einkaufswagen“, der in Isny seiner eigentlichen Funktion des Konsumierens enthoben ist. Zu einem „objet trouvé“, einer Fundsache, sei er geworden und biete damit neue Möglichkeitsräume, vor allem bildhauerische, die mehr seien als die Summe der Waren.
Viel mehr, wie die Ausstellung in ihrem Ideenreichtum zeigt. Hinzu kommen Fragen nach den Konsequenzen des globalisierten Konsums, ob Shoppen längst zur neuen Religion geworden ist. Schaue man in die Zukunft des Online-Handels mit seinen gigantischen Auslieferungslagern, sei die Shoppingmall out, stellte Koch in Aussicht. Nur: Wo bleibe das Sinnliche des Einkaufens? Am Ende doch im Einzelhandel in Städten wie Isny?
Apropos Öffnungszeiten: Am Rande der Gemeinderatssitzung am Montag wurde als unglücklich bezeichnet, dass das städtische Büro für Kultur die Vernissage nahezu zeitgleich terminiert hatte mit der Gedenkfeier zum Volkstrauertag, zu der die Stadtverwaltung eingeladen hatte. Hier wie dort wären mehr Besucher möglich gewesen, hieß es – eine noch größere „Hundertschaft“bei der Kunst, oder aber ein paar mehr „Geistesmenschen“beim Totengedenken.
Die Ausstellung „Shoppingmall“in der Städtischen Galerie im Schloss Isny läuft bis 24. Februar 2019. Sie ist von Mittwoch bis Freitag von 14 bis 18 Uhr, Samstag, Sonntag und an Feiertagen von 11 bis 18 Uhr geöffnet. Ab 11. Januar 2019 ist mittwochs geschlossen, sonst wie oben.