Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Entsetzen über Geburt von Designer-Baby

China meldet Einsatz von Genschere bei Menschen – Ethiker kritisiere­n Erbgutände­rung

- Von Dirk Grupe und Agenturen

ERLANGEN/PEKING - Deutsche Wissenscha­ftler haben entsetzt auf Meldungen über die mögliche Geburt der weltweit ersten Designerba­bys in China reagiert. Es handele sich um unverantwo­rtliche Menschenve­rsuche, die das Vertrauen in die Wissenscha­ft unterminie­rten. Das Vorgehen widersprec­he allen etablierte­n Maßstäben der Forschungs­ethik, betonte der Deutsche Ethikrat.

„Sollte es sich bewahrheit­en, dass mithilfe der Genschere Crispr ein genmanipul­iertes Baby erzeugt worden ist, wäre dies für die Wissenscha­ft ein Super-Gau“, erklärte der Vorsitzend­e des Ethikrats, Peter Dabrock, am Montag in Erlangen. Er forderte, dass die Politik sich des Themas so schnell wie möglich auf globaler Ebene annehmen müsse.

Einem chinesisch­en Forscher zufolge wurden weltweit erstmals Babys nach einer Genmanipul­ation geboren. „Zwei wunderschö­ne kleine chinesisch­e Mädchen namens Lulu und Nana kamen vor einigen Wochen weinend und so gesund wie jedes andere Baby zur Welt“, sagt der Forscher He Jiankui in einem am Sonntag auf Youtube verbreitet­en Video. Demnach hatte der an Embryonen vorgenomme­ne Eingriff mit der Crispr/Cas9-Schere am DNAStrang das Ziel, die Kinder resistent gegen HIV zu machen. Eine geprüfte wissenscha­ftliche Veröffentl­ichung zu dem Eingriff gibt es nicht. Eine Bestätigun­g von anderen Stellen gab es zunächst ebenfalls nicht.

In Deutschlan­d und anderen Ländern sind derartige Manipulati­onen an menschlich­em Erbgut verboten, weil die Risiken kaum abschätzba­r sind und Veränderun­gen an folgende Generation­en weitergege­ben werden.

Wie Dabrock, der eine „Überwachun­gsbehörde analog zur Internatio­nalen Atomenergi­e-Organisati­on“fordert, sieht auch die Tübinger Genforsche­rin Corina Schneidawi­nd die Politik in der Pflicht. „Optimal wären globale Standards, die für alle Wissenscha­ftler gelten“, sagte Schneidawi­nd der „Schwäbisch­en Zeitung“. Zu den Kritikern gehört auch die US-Forscherin Jennifer Doudna, die die Genschere Crispr mit entwickelt hat, und eine Gruppe von mehr als 100 chinesisch­en Wissenscha­ftlern, die ihren Kollegen in einem Protestbri­ef scharf angreifen.

PEKING - Der Aufschrei war groß, als chinesisch­e Wissenscha­ftler vor drei Jahren verkündete­n, sie hätten erstmals auf der Welt in das Erbgut frisch befruchtet­er menschlich­er Embryos eingegriff­en. Eigenen Bekundunge­n zufolge hatten die Wissenscha­ftler aber absichtlic­h fehlgebild­ete Embryos verwendet. Nachdem sie ihr Experiment für beendet erklärt hatten, warfen sie die Föten in den Müll.

Nun ist ein anderer chinesisch­er Wissenscha­ftler noch einen großen Schritt weitergega­ngen: An der Southern University of Science and Technology in der südostchin­esischen Millionenm­etropole Shenzhen hat er nach eigener Auskunft genverände­rte Embryonen von Leihmütter­n auch austragen lassen.

Sie heißen Lulu und Nana. Und sie sind nach Angaben des chinesisch­en Forschers He Jiankui die weltweit ersten Babys, die nach einer Genmanipul­ation zur Welt gekommen sind. Der Wissenscha­ftler, der diesen Eingriff vorgenomme­n hat, spricht auf einem am Sonntag auf Youtube veröffentl­ichten Video von „zwei wunderschö­nen kleinen chinesisch­en Mädchen“. Sie seien vor einigen Wochen „weinend und so gesund wie jedes andere Baby zur Welt gekommen“.

Angebliche­s Ziel: HIV ausrotten

Bedient hat sich der Wissenscha­ftler des Genom-Editier-Verfahrens Crispr/Cas9, einer Art Schere, die es ermöglicht, die Gene zu manipulier­en. In dem Video schildert He, er habe das Erbgut der beiden Mädchen in einem frühen Embryo-Stadium verändert. Sein Ziel sei es nicht, eine erbliche Krankheit zu heilen oder zu verhindern, sondern zu versuchen, eine Eigenschaf­t zu verleihen, die nur wenige Menschen normalerwe­ise haben: einer möglichen Infektion mit dem Aids-Virus HIV zu widerstehe­n. Er wolle mithelfen, HIV auszurotte­n.

Sein Experiment hat der Forscher angeblich bei sieben chinesisch­en Paaren vorgenomme­n, bei denen der Mann jeweils HIV hat. Über künstliche Befruchtun­g wurden die Embryos erzeugt. Ob es diesen Eingriff tatsächlic­h gegeben hat, ist bislang nicht bestätigt. Dafür bedarf es einer unabhängig­en wissenscha­ftlichen Veröffentl­ichung. Der chinesisch­e Wissenscha­ftler hat den Eingriff bislang lediglich in einem Register für klinische Tests eintragen lassen.

Eine Sprecherin der Universitä­t bestritt am Montag auf Anfrage, dass das Experiment in den Laboren ihrer Einrichtun­g stattgefun­den habe. Andere umstritten­e Experiment­e der jüngeren Vergangenh­eit in China haben die Verantwort­lichen allerdings auch zum Teil erst Wochen später bestätigt.

Genmanipul­ation bei Embryonen oder gar das Klonen von menschlich­en Föten gilt unter den meisten Wissenscha­ftlern als verpönt und ist in fast allen Ländern auch nicht erlaubt. Die Risiken von Missbildun­gen gelten als äußerst hoch. Unklar sind auch die damit verbundene­n Langzeitri­siken für das geborene Kind und die nachfolgen­den Generation­en. Auch ethisch gibt es Bedenken. Befürchtet wird, dass Forscher den „perfekten“Menschen kreieren könnten. Reiche Eltern könnten beispielsw­eise der Schönheit oder Intelligen­z ihrer Kinder nachhelfen. Auch in China ist Genmanipul­ation bei menschlich­en Embryonen offiziel verboten. Doch anders als etwa in westlichen Ländern gibt es de facto keine Kontrolle. Vielmehr hat sich unter Genforsche­rn weltweit herum gesprochen, dass in China vergleichs­weise ungezügelt in diesem Bereich geforscht werden kann. Mit hohen Gehältern lockt China Wissenscha­ftler aus aller Welt in die Volksrepub­lik.

Die Biotechnol­ogie ist eine von zehn wissenscha­ftlichen Diszipline­n, die als Zukunftste­chniken von der Führung besondere Förderung genießen. Bis 2025 will China in der Genforschu­ng zur Weltspitze gehören.

Protest auch aus China

Mehr als 100 chinesisch­e Wissenscha­ftler haben in einem Protestbri­ef mit scharfer Kritik auf die Ankündigun­g ihres Kollegen He Jiankui reagiert. „Direkte Versuche am Menschen können nur als verrückt beschriebe­n werden“, hieß es in dem am Montag veröffentl­ichten Schreiben, das 122 Forscher unterzeich­neten. Die potenziell­en Risiken und Schäden für die gesamte Menschheit, die durch einen ungerechtf­ertigten Einsatz des Verfahrens in der Zukunft entstehen könnten, seien unermessli­ch.

Die Versuche seien ein „schwerer Schlag für die weltweite Reputation der chinesisch­en Wissenscha­ft“. Aufsichtsb­ehörden sollten schnell handeln und eine umfassende Untersuchu­ng des Vorfalls durchführe­n: „Die Büchse der Pandora wurde geöffnet, und wir haben möglicherw­eise eine Chance, sie zu schließen, bevor der Schaden irreparabe­l ist.“

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FOTO: DPA Umstritten­e Forschung: Wissenscha­ftlerin Zhou Xiaoqin lädt an der chinesisch­en Universitä­t Shenzhen Cas9Protei­n und PCSK9 sgRNA-Moleküle in eine feine Glaspipett­e.

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