Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Der letzte Kaiser
Zum Tod des großen italienischen Filmregisseurs Bernardo Bertolucci
Er war einer der größten Filmregisseure seiner Generation, in den 1970er-Jahren galt er als Skandalregisseur und Bürgerschreck. Doch sein Kino ist erfüllt von Sehnsucht, Jugendlichkeit und Neugier – jetzt ist der italienische Filmemacher Bernardo Bertolucci in seiner Heimatstadt Rom im Alter von 77 Jahren gestorben.
Er hatte eine Brummbärstimme und einen massigen Körper, und doch strahlte Bernardo Bertolucci etwas Feines, Zartes, fast Schüchternes aus, eine Sensibilität und Intelligenz, die auch seine Filme prägt.
1941 in Parma zur Welt gekommen, wurde Rom zu seiner eigentlichen Heimatstadt. Es war eine bürgerliche Kindheit, der Vater war Dichter und Journalist, und Bertolucci wuchs früh hinein in die kulturelle Elite des Italien des Postfaschismus, das vom Antifaschismus und dem „historischen Kompromiss“zwischen Katholizismus und Sozialismus geprägt war. In der römischen Kulturszene lernte er unter anderem die Schriftsteller Alberto Moravia und Pier Paolo Pasolini kennen. Die Regieassistenz bei Pasolinis „Accatone“öffnete ihm den Weg ins Kino, später verfilmte er Moravias Roman „Der Konformist“.
Als Filmemacher repräsentierte Bertolucci die Generation nach dem Neorealismus. In seinem opulenten, manchmal epischen, immer die Oberflächen schätzenden Stil war er einem Visconti und Pasolini mehr verpflichtet als einem Rosselini oder de Sica. Dafür wurde der Einfluss der Nouvelle Vague für ihn wichtig, wie auch das amerikanische Kino, das Hollywood der 1950er-Jahre. So arbeitete Bertolucci mit Marlon Brando, Burt Lancaster und Robert de Niro.
Trotz mehrerer wichtiger Filme vor 1970 – etwa „Vor der Revolution“und der Borges-Verfilmung „Strategie der Spinne“– steht Bertolucci vor allem für das Post-68er-Kino und die politische Gemengelage im Italien der Siebziger. In seinen Filmen verschmelzen Marxismus und Psychoanalyse, Individualismus und die Lust auf die Entdeckung der Welt außerhalb Europas.
Die wird in seinem berühmtesten Film deutlich: „Der letzte Kaiser“wurde 1987 ein Welterfolg und gewann unter anderem neun Oscars. Als erster westlicher Regisseur durfte Bertolucci in Pekings „Verbotener Stadt“drehen, dem alten Kaiserpalast. Seine Bilder, wie immer gestaltet von Vittorio Storaro, hielten auch ein China fest, das nach den Roten Garden dann der kapitalistischen Hypermodernisierung seit 1989 zum Opfer fiel.
Vertreibung aus dem Paradies
Die Verfilmung der Autobiografie „Ich war Kaiser von China“entdeckte den Fernen Osten für das europäische Kinopublikum, und zeigte die Verbannung des 18-jährigen Kaisers aus der „Verbotenen Stadt“als Vertreibung aus dem Paradies. Versteckt richtete sich der Film auch an die Freunde und Weggefährten: Als eine sehr differenzierte Betrachtung der Revolution, die in eine Abrechnung mit dem Maoismus der Linken mündete und ihrer naiven Begeisterung für die Kulturrevolution. Damit nahm Bertolucci auch das neue Kino der fünften Generation Chinas vorweg: Erst 1989 erlebte es mit Zhang Yimou und Chen Kaige seinen Durchbruch.
Vorausgegangen waren zwei andere Meisterwerke: „Der letzte Tango von Paris“, der weit mehr ist als ein Skandalfilm zur sexuellen Revolution, sondern ein großes, missverstandenes Werk der Filmgeschichte: eine Reflexion über entfremdetes, deformiertes, todessehnsüchtiges Leben, ein Reigen über Sex und Tod.
Hommage ans ländliche Italien
Noch viel wichtiger und wohl sein bester Film: „1900“, ein Gesellschaftsporträt seiner Heimat zwischen 1900 und 1945, voller Liebe für das ländliche Italien der Po-Ebene. Es geht darin um das Verhältnis von Oberklasse und Unterklasse. Wie in Viscontis „Der Leopard“spielt Burt Lancaster einen Großgrundbesitzer – die Besetzung macht „1900“zu einer Art Fortsetzung dieses Films, und zugleich zu dessen Antithese. Denn Bertolucci erzählt hier vom Wandel der Geschichte, nicht von Beständigkeit. Und er erzählt vom Faschismus, der Ober- wie Unterklasse an die Träume wild gewordener Kleinbürger verrät.
2003 entstand noch einmal ein Meisterwerk: Mit „Dreamers“träumte sich Bertolucci ins Paris des Mai ’68 und damit in seine eigene Jugend zurück. Die Jugend entdeckte dort zwar nicht den neuen Menschen, aber das Kino. Noch einmal sah man hier eine Erzählung vom Paradies und der Vertreibung aus ihm.
Was bleibt neben diesen Werken von Bertolucci? Die Würde der Melancholie, die Lust an Intellektualität und den Gaben der Welt, die Sehnsucht nach Jugend.