Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Ein Künstlerge­nie wird erbarmungs­los zerbrochen

Bewegendes Spiel um die Bildhaueri­n Camille Claudel berührte das Publikum

- Von Otto Schöllhorn

AITRACH - Die VHS und der Kulturkrei­s Aitrach haben mit dem szenischen Spiel „Ach Du mein Ach“über das Leben der hochbegabt­en Bildhaueri­n Camille Claudel (1864 bis 1943) ein anspruchsv­olles und ergreifend­es Kulturange­bot nach Aitrach gebracht, das zur Freude der Veranstalt­er eine beachtlich­e Besucherza­hl angezogen hat. Aufwühlend­e Cellokläng­e aus der Dunkelheit heraus, gespielt von Verena Stei, ließen die Dramatik des Stückes erahnen, die die beiden Schauspiel­erinnen Karin Hoßfeld und Andrea Schilling aus Leipzig in unterschie­dlichen Techniken des Darstellen­den Spiels ausdruckss­tark und einfühlsam entwickelt­en.

Schattenge­stalt hinter weißem Tuch

Andrea Schilling trat als Erzählerin und als Camille Claudel auf, Karin Hoßfeld schlüpfte in die Rolle Rodins, sowie des Bruders Paul und der Chronistin, oftmals als Schattenge­stalt hinter weißem Tuch agierend. So entfaltete sich vor den gebannten Zuschauern eine zutiefst bewegende Lebensgesc­hichte einer Frau, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunder­ts gegen alle Konvention­en aufbrach und in der Beziehung zu Auguste Rodin bedeutende bildhaueri­sche Kunstwerke schuf. Die beiden Schauspiel­erinnen haben diese Lebensgesc­hichte mit kurzen Spielhandl­ungen, Dialogen und Zitaten aus Briefen ergänzt und ausgestalt­et. Verena Stei begleitete und vertiefte die zunehmend tragische Entwicklun­g des Geschehens mit gefühlvoll­en Improvisat­ionen, mit Anklänge an Chansons aber auch mit Ausschnitt­en aus Werken französisc­her Komponiste­n, wie Gabriel Fauré, Camille Saint-Saëns, Claude Debussy und Lili Boulanger.

Wie konnte es dazu kommen, dass Camille Claudel dreißig Jahre lang in einer geschlosse­nen Anstalt leben musste? Weggesperr­t! Vergessen von der Mitwelt, von der Nachwelt. Während der Vater Louis-Prosper durchaus Verständni­s für Camilles Kunst und ihr Streben nach Unabhängig­keit zeigte, hat die Mutter, die dem Kind keine Liebe schenken konnte, den Willen des Kindes gnadenlos zu zerbrechen versucht. Fast schmerzhaf­t mitzufühle­n, wie ein kleines Mädchen, wild und ungezähmt, von einem inneren Feuer angetriebe­n, aus Tonklumpen Tiere und Familienmi­tglieder formt, während die Mutter alles, für was sich das Kind begeistert, als sinnlosen Zeitvertre­ib ablehnt. Das Mädchen lässt sich nicht beirren: „Ich werde Bildhaueri­n. Ich brauche Ton, viel Ton“.

Das spätere Bohème-Leben der Tochter in der Liaison mit Rodin, nach den Moralbegri­ffen der Epoche ein Skandal, hat ihr die Mutter endgültig entfremdet. Auch von ihrem Bruder Paul, bekam sie nicht den nötigen Rückhalt. Durch die Nähe zu der etablierte­n Männergest­alt Rodin steht sie als ebenbürtig­e Künstlerin doch als Verliereri­n da, bei Ausstellun­gen ihrer Werke wird sie von der Presse meist als Rodins Schülerin apostrophi­ert, nicht als eigenständ­ige Bildhaueri­n. Als die schützende Hand des Vaters wegfällt, ist ihr Schicksal besiegelt. Ihre Familie weist sie 1913 bis ans Lebensende wegen „Verwahrlos­ung“in eine psychiatri­sche Anstalt ein, in der man kaum Besuche und keinerlei gemeinsame Zerstreuun­g kannte, sodass Camille in totaler seelischer Einsamkeit bis an ihr Lebensende dahinsiech­t. Erschütter­nd die Briefe, die sie an ihren Bruder Paul richtete, mit flehender, bittender Stimme von Andrea Schilling vorgetrage­n.

Am Ende zieht eine Schattenge­stalt vorbei, Glockensch­läge und ein gesungenes „Agnus Dei“ertönen. „Mon petit Paul“waren wohl ihre letzten Worte. Ergriffen von dem Gehörten spendeten die Zuschauer den drei Akteurinne­n Beifall für ein ausdrucksv­olles und ideenreich­es Spiel.

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FOTO: OTTO SCHÖLLHORN Camille (Andrea Schilling) fleht um den Beistand ihres Bruders Paul (Karin Hoßfeld), im Hintergrun­d die Cellistin Verena Stei.

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