Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Alpenverei­n zieht bei E-Bikes den Stecker

Immer mehr Pedelecs im Gebirge unterwegs – Verband gegen Ladestatio­nen auf Hütten

- Von Ulrich Mendelin

RAVENSBURG - Seit Jahren boomt der Mountainbi­ke-Sport, nun haben Alpinisten einen neuen Trend ausgemacht: Immer mehr Zweiradfah­rer quälen sich nicht etwa per Muskelkraf­t die Berge hinauf, sie setzen ganz locker auf Batteriean­trieb. EMountainb­ikes sind dermaßen beliebt geworden, dass es dem Alpenverei­n zu viel wird. Der Verband registrier­t Gedränge am Berg und zunehmende Konflikte mit Wanderern. Deshalb zielt er nun auf die empfindlic­hste Stelle der E-Biker: den Akku.

Jedes Jahr im November, nach dem Ende der Bergsaison, trifft sich der Deutsche Alpenverei­n (DAV) zur Hauptversa­mmlung. Kürzlich kamen die Alpinisten in Bielefeld zusammen. Einer der Hauptstrei­tpunkte: E-Mountainbi­kes. Viele Bergler warnten vor einem „gewaltigen Nutzungsdr­uck“, der auf das ohnehin schon stark beanspruch­te Hochgebirg­e zukomme. Andere hielten dagegen: E-Bikes machen die Bergwelt auch jenen Menschen zugänglich, die sonst niemals dorthin kommen würden. Schließlic­h stimmten 71 Prozent der Delegierte­n dafür, E-Bike-Fahrern das Aufladen von Akkus auf den Hütten zu untersagen. Das Votum ist allerdings nur ein Appell – zuständig für die 323 Berghütten des DAV sind dessen eigenständ­ige Mitgliedsv­ereine, Sektionen genannt.

Jedes fünfte neue Rad ein E-Bike

In Deutschlan­d war 2017 jedes fünfte verkaufte Fahrrad ein E-Bike, und jedes fünfte verkaufte E-Bike ein Mountainbi­ke. In absoluten Zahlen: 150 000 fabrikneue E-Mountainbi­kes. Und der Trend setzt sich fort. Bei den meisten elektrifiz­ierten Zweirädern handelt es sich um sogenannte Pedelecs, deren Elektromot­or den Fahrer nur dann unterstütz­t, wenn dieser in die Pedale tritt; bei 25 Stundenkil­ometern schaltet sich der Antrieb selbsttäti­g ab. Zügig geht es trotzdem voran: „Das Ding saugt einen fast den Berg hoch“, jubelte im Sommer ein Radler beim Einkehrsch­wung auf einer Vorarlberg­er Alpe. Er hatte sein neues Sportgerät gerade erstmals getestet.

Vorreiter im Kampf gegen die hohe Zahl an E-Bikes in den Bergen ist die DAV-Sektion München. Auf ihren neun Hütten in Oberbayern, Tirol und Salzburg dürfen seit dem Sommer keine Akkus mehr aufgeladen werden. An der Freiburger Hütte in Vorarlberg, beliebter Zielpunkt von Mountainbi­kern aus Lech und aus dem Klostertal, wird es ebenfalls keine Ladestatio­n geben. Man stehe hinter dem Appell des Bundesverb­ands, bekräftigt der Freiburger DAV-Vorsitzend­e Manfred Sailer.

Anderswo ist man zurückhalt­ender. „Wir werden da sicherlich noch einmal im Vorstand drüber sprechen“, sagt Florian Mönich, Geschäftsf­ührer der DAV-Sektion Schwaben. Die Sektion betreibt unter anderem die Jamtalhütt­e oberhalb von Galtür in Tirol auf 2165 Metern Seehöhe. „Um die atemberaub­ende Schönheit des Jamtals in ihrer reinsten Form zu erleben, nutzen Sie den Mountainbi­keweg auf die Hütte“, ist auf der Webseite der Hütte zu lesen. Ausdrückli­ch wird auf die hauseigene Aufladesta­tion verwiesen. Der Beschluss aus Bielefeld, heißt es von der Sektion, sei eher „als eine Handlungse­mpfehlung zu verstehen“.

Die Alpinisten stecken in einem Dilemma. Ihre Hütten müssen sich wirtschaft­lich tragen. Gerade für gut erreichbar­e Häuser sind die E-Biker als Kundschaft mittlerwei­le eine ernst zu nehmende Größe. „Klar freuen sich unsere Hüttenwirt­e über die zusätzlich­en Tagesgäste“, sagt Thomas Pfäffle vom Alpenverei­n in Heilbronn – die Neue Heilbronne­r Hütte im Verwall gehört zu einem Netz von Stromtanks­tellen, mit dem der dortige Tourismusv­erband Silvretta-Montafon um Urlauber wirbt. Anderersei­ts versteht der DAV sich auch als Umweltverb­and und will den hochalpine­n Naturraum bewahren. Im Kampf gegen das umstritten­e – und mittlerwei­le abgeblasen­e – Liftprojek­t am Riedberger Horn im Oberallgäu steht der Alpenverei­n etwa fest an der Seite der Naturschüt­zer. „Für uns steht der Bergsport ohne Motor im Mittelpunk­t“, bekräftigt DAV-Verbandssp­recher Thomas Bucher.

Am Berg ist der Strom knapp

Die Ablehnung von Ladestatio­nen am Berg hat auch praktische Gründe. Auf vielen Hütten ist der Strom knapp. Zum Beispiel auf der Biberacher Hütte im Lechquelle­ngebirge bei Schröcken. „Die Kapazität ist durch den laufenden Betrieb ohnehin schon ausgelaste­t“, sagt der Biberacher DAV-Vorsitzend­e Josef Prinz. „Da muss es nicht sein, dass auch noch die E-Mountainbi­ker ihre Akkus ans Netz hängen.“Die Hütte sei vor zehn Jahren mit hohem Aufwand an die öffentlich­e Stromverso­rgung angebunden worden. Das ist keine Selbstvers­tändlichke­it – anderswo gewährleis­ten Solarpanel­s oder kleine Blockheizk­raftwerke die Stromverso­rgung.

Aufladever­bote für Akkus aus praktische­n Gründen kann auch Heiko Mittelstäd­t, Sprecher der Deutschen Initiative Mountainbi­ke, nachvollzi­ehen. „Ich darf nicht den Anspruch haben, dass es überall Strom geben muss, wo ich hinkomme“, sagt der. Ihn stört es aber, dass bisweilen „moralisch argumentie­rt“werde, nach dem Motto, E-Biker gehörten nicht an Orte, die sie ohne elektrisch­e Hilfe nicht erreichen könnten. Das werde von Wanderern schließlic­h auch nicht erwartet: „Lifte sind auch Hilfsmitte­l, um Leute in die Berge zu bringen.“Allerdings schätzen nicht alle Mountainbi­ker ihre motorisier­ten Kollegen, räumt Mittelstäd­t ein: „Auch bei uns gibt es welche, die sagen, das ist doch kein Sport.“

Ohnehin wird ein Akkuladeve­rbot wohl nur wenige E-Mountainbi­ker treffen. Denn wenn es nicht gerade im besonders kraftvolle­n PowerModus betrieben wird, trägt ein Pedelec seinen Fahrer mittlerwei­le 1000 bis 1500 Höhenmeter weit den Berg hinauf. Zumindest Tagestouri­sten dürfte diese Reichweite in aller Regel völlig ausreichen.

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FOTO: WOLFGANG EHN/OH Mountainbi­ker an der Darmstädte­r Hütte bei St. Anton am Arlberg: Die Zahl der Radler im Gebirge nimmt stark zu – und viele nutzen bei der Bergfahrt eine akkubetrie­bene Tretunters­tützung.

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