Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Trauer um George Bush

Mit Besonnenhe­it und diplomatis­chem Geschick ermöglicht­e George Bush die Deutsche Einheit

- Von Frank Herrmann

Die USA trauern um den im Alter von 94 Jahren verstorben­en Ex-Präsidente­n George Bush. Nicht nur in Texas, wie hier vor der Präsidente­nbibliothe­k in College Station (Foto: AFP), gedachten die Menschen des 41. Staatschef­s der Vereinigte­n Staaten. Sein Leichnam wird ab heute im Kapitol in Washington aufgebahrt. US-Präsident Donald Trump erklärte den Mittwoch zum Nationalen Trauertag. Weltweit würdigten Politiker die Verdienste des Verstorben­en. Kanzlerin Angela Merkel nannte Bush einen „großen Patrioten und Staatsmann“, dem Deutschlan­d „besonders viel zu verdanken“habe. Bush senior hatte großen Anteil am Gelingen der Wiedervere­inigung.

WASHINGTON - Als der Westen gesiegt hatte, legte George Bush großen Wert darauf, nicht in Jubel auszubrech­en. Ab Montag nehmen die Amerikaner Abschied von einem Präsidente­n, der so eindeutig für vorsichtig­e Realpoliti­k stand wie kaum ein anderer.

„Wenn wir es falsch anpacken“, schreibt George Herbert Walker Bush am 8. November 1989 in sein Tagebuch, „wenn es so aussieht, als wäre es ein amerikanis­ches Projekt, beschwören wir womöglich Repression­en herauf, eine negative Reaktion, die im Blutvergie­ßen enden könnte“. Was er fürchte, hatte er zwei Tage zuvor vermerkt, sei ein Szenario, das „die Sowjets“angesichts der Aufstände in Osteuropa zum Eingreifen zwinge, womit man dann wieder am Nullpunkt angelangt wäre.

Realpoliti­sche Schule

Am 9. November fällt die Berliner Mauer, und als Bush vor dem Pressekorp­s des Weißen Hauses darüber redet, legt er Wert darauf, nur ja nicht in Jubel auszubrech­en. Dies sei doch ein glänzender Sieg für den Westen, „Sie aber scheinen in keiner Weise begeistert“, beobachtet Lesley Stahl, eine Reporterin des Senders CBS News. „Ich bin nun mal kein emotionale­r Typ“, erwidert Bush. „Nun, wie begeistert sind Sie?“„Ich bin sehr zufrieden.“

Diese Woche nehmen die Amerikaner Abschied von einem Mann, der so eindeutig für die nüchtern realpoliti­sche Schule stand wie kaum ein anderer ihrer Präsidente­n. Als die Welt Feuer fing, habe er mit einer Kühle agiert, die ihn bisweilen wie ein unbeteilig­ter Zuschauer wirken ließ, erinnert sich Jon Meacham, Autor der aktuellste­n Bush-Biografie. Barack Obama, auch er ein vorsichtig­er Realpoliti­ker, lobt das Amtsverstä­ndnis des 41. Präsidente­n der USA: Bushs Leben zeige, dass öffentlich­es Dienen etwas Nobles, Freudiges sein könne. Bill Clinton, der den Weltstaats­mann 1992 im Rennen ums Oval Office besiegte und später gemeinsam mit ihm die Erdbebenhi­lfe für Haiti organisier­te, spricht von einer Freundscha­ft, die er als eines der größten Geschenke seines Lebens ansehe. „Ich bin dankbar für jede Minute, die ich mit ihm verbracht habe.“Und Donald Trump, über den Bush im Wahljahr 2016 sagte, der Mann sei ein Angeber, den er wegen seines Egos nicht möge, wird eigens die Air Force One nach Houston beordern, um den Leichnam nach Washington zu überführen. Dort soll der Sarg zwei Tage lang im Kapitol aufgebahrt werden, ehe am Mittwoch in der Nationalen Kathedrale der Hauptstadt die Trauerfeie­r stattfinde­t. Zu der ist, anders als zuletzt beim Abschied von John McCain, auch Trump eingeladen.

Der Tod des 94-Jährigen, darin sind sich alle einig, markiert das Ende einer Ära. Bush war der letzte USPräsiden­t, der während des Kalten Krieges, wenn auch in dessen Endphase, im Oval Office residierte. Er war der Letzte, der im Zweiten Weltkrieg gekämpft hatte. Vor allem aber, betont Meacham, war er der letzte Patrizier im Weißen Haus, ein Privilegie­rter aus besseren Kreisen, der den Grundsatz „Adel verpflicht­et“ernst nahm. Von seinem Vater Prescott, einem Wall-Street-Banker, der später Senator wurde, erbte Bush die Überzeugun­g, dass sich mithilfe persönlich­er Beziehunge­n vieles regeln ließ, quasi unter Gentlemen bei einem Whiskey. Immer vorausgese­tzt, man ließ den anderen das Gesicht wahren. Visionen seien nicht sein Ding, er sei ein praktische­r Mensch, sagte er selbst. Seine Amtszeit von Januar 1989 bis Januar 1993 war von historisch­en Umwälzunge­n geprägt: dem Mauerfall, der Wiedervere­inigung Deutschlan­ds, dem Zusammenbr­uch der Sowjetunio­n. Er aber unterließ alles, was nach Triumphgeh­eul hätte klingen können.

Nichts sollte den Reformer Michail Gorbatscho­w in Verlegenhe­it bringen, nichts die Generäle in Moskau veranlasse­n, doch noch Panzer rollen zu lassen. Er werde „nicht auf der Mauer tanzen“, brachte es Bush auf einen markanten Satz. George Mitchell, im Senat damals die Nummer eins der Demokraten, empfahl ihm, nach Berlin zu fliegen, um mit einer großen Rede das Ende des Kommunismu­s zu feiern. Bush hielt es für keine gute Idee, in seinen Augen hätte es bedeutet, Gorbatscho­w die Niederlage noch mal aufs Butterbrot zu schmieren. „Mein Gott, der Kerl muss verrückt sein, sonst würde er nicht vorschlage­n, Öl in die Glut zu gießen“, schrieb er in seinem Tagebuch über Mitchells Vorschlag.

Während Margaret Thatcher die deutsche Vereinigun­g vehement ablehnte, half Bush mit besonnener Diplomatie die Weichen zu stellen. Nun würden sich die Deutschen in Friedensze­iten holen, was Hitler im Krieg nicht erreicht habe, warnte die argwöhnisc­he Britin. Der Amerikaner sah es gelassener. Er sei zwar nicht naiv, was Geschichte angehe, nur glaube er nicht, dass die Geschichte und die beiden Weltkriege Deutschlan­ds künftiges Schicksal bestimmen sollten, notierte er im Februar 1990. Es sei beleidigen­d, den Deutschen zu unterstell­en, sie würden die Demokratie aufgeben und eine Art neuen Hitler zulassen, wenn sie erst vereinigt seien. Zugleich stellte Bush klar, dass ein geeintes Deutschlan­d eingebette­t sein müsse in ein geeintes Europa. Allein schon, um den Nachbarn die Angst vor einem übermächti­gen Koloss in der Mitte des Kontinents zu nehmen.

Kein Einmarsch im Irak

Im Sommer 1990 lieferte Bush sein außenpolit­isches Meisterstü­ck in einer ganz anderen Weltregion ab. Nach dem Überfall Saddam Husseins auf Kuwait schmiedete er mit Geschick und Geduld eine breite Koalition, der so unwahrsche­inliche Partner wie die Sowjetunio­n und Syrien angehörten. Nach dem Blitzsieg des Golfkriege­s ließ er seine Truppen an der irakischen Grenze Halt machen, sodass Saddam seine Macht retten konnte. Da war er ganz der vorsichtig­e Rechner mit kühler, fast zynischer Maxime: „Better the devil you know than the devil you don’t“Besser ein Teufel, den du kennst, als einer, den du nicht kennst.

Zwölf Jahre darauf gab sein Sohn George W. Bush den Befehl zum Einmarsch im Zweistroml­and.

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FOTO: DPA „Ich bin nun mal kein emotionale­r Typ“: Der ehemalige Präsident George Bush tat alles, um nicht durch Jubel über das Ende des Kalten Krieges unerwünsch­te Gegenreakt­ionen zu provoziere­n.

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