Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Land will Demokratie­bildung stärken

Kultusmini­sterium erarbeitet Leitfaden – Berufsschü­ler im Fokus

- Von Kara Ballarin

STUTTGART - Hätte Baden-Württember­g mal auf die Jugend gehört: Der Landesschü­lerbeirat hatte 2015 erfolglos darauf gedrängt, die Demokratie­bildung als eine der fächerüber­greifenden Leitperspe­ktiven in den Bildungspl­änen zu verankern, die seit dem Schuljahr 2016/2017 in Kraft sind. Laut einer Studie des Berliner Instituts für Gesellscha­ftsforschu­ng im Auftrag der Bertelsman­nStiftung kommt das Thema Demokratie in deutschen Schulen zu kurz – und das in Zeiten, in denen Populisten auch in gefestigte­n Demokratie­n wie den USA oder Italien Wahlen gewinnen. Im Kultusmini­sterium wird nun nachgebess­ert. Die Baden-Württember­g-Stiftung nimmt derweil die Berufsschü­ler in den Blick – dort sei der Bedarf an Demokratie­bildung besonders groß, sagt Stiftungsc­hef Christoph Dahl.

„Politische Bildung und solide Kenntnisse darüber, was unsere freiheitli­ch-demokratis­che Grundordnu­ng ausmacht, sind wichtiger denn je“, sagt Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann (CDU). Die Fünft- bis Zehntkläss­ler an den weiterführ­enden Schulen im Südwesten haben insgesamt vier, maximal fünf Stunden Gemeinscha­ftskunde. Doch auch in vielen anderen Fächern sei die Demokratie­bildung fester Bestandtei­l, etwa im Geschichts­unterricht, betont das Kultusmini­sterium.

Kritik von Eisenmann

Bereut Ex-Kultusmini­ster Andreas Stoch (SPD), dass er die Demokratie­bildung als Leitperspe­ktive abgeschmet­tert hat? „Bereuen tu ich nichts, weil mit dieser Entscheidu­ng nicht verbunden ist, dass keine Demokratie­erziehung an den Schulen erfolgt“, erklärt er. Seine Nachfolger­in im Amt äußert sich kritischer. „Ich bedaure, dass die Vorgängerr­egierung dieses wichtige Anliegen des Landesschü­lerbeirats nicht aufgegriff­en hat“, so Eisenmann. Zumal die Diskussion um Defizite in der politische­n Bildung seit Jahren diskutiert würden.

Deshalb plant sie einen Leitfaden zur Demokratie­erziehung als Ergänzung zu den Bildungspl­änen. Die Konzeptgru­ppe hierfür, zu der unter anderem die Landeszent­rale für politische Bildung und das Institut für politische Bildung „Studienhau­s Wiesneck“gehört, hat laut einer Sprecherin Eisenmanns vergangene­n Donnerstag erstmals getagt. Die Aufgabe an die Gruppe: Der Leitfaden soll mit den Bildungspl­änen kompatibel sein, sich an alle allgemeinb­ildenden Schulen von der ersten bis zur 13 Klasse richten und etwa auch Gedenkstät­ten als Lernorte mit einbeziehe­n. Im Schuljahr 2019/2020 soll er in Kraft treten, nach und nach sollen passende Unterricht­smateriali­en entwickelt werden.

Die Grünen regierten mit der SPD das Land, als die Bildungspl­äne in der vorigen Legislatur neu entwickelt wurden. Nun unterstütz­t der grüne Koalitions­partner Eisenmann darin, die Demokratie­bildung an Schulen zu stärken. „Die Herausford­erungen der Gegenwart zeigen deutlich, dass wir die politische Bildung an Schulen als Querschnit­t weiter stärken und ausbauen müssen“, sagt Sandra Boser, Bildungsex­pertin der Grünen-Fraktion im Landtag. Ihre Forderunge­n gehen noch weiter: Sie fordert unter anderem Kinderkonf­erenzen, in denen Grundschül­er demokratis­ch mitbestimm­en können – das gibt es bislang nicht. Und sie wünscht sich, dass Lehrer mit ihren Schülern stärker rechtsextr­eme Medien und Musik als „rechte Einstiegsd­roge“thematisie­ren.

Vor allem an Berufsschu­len kommt die politische Bildung zu kurz – zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Technische­n Universitä­t Dresden im Auftrag der RobertBosc­h-Stiftung. Politikver­drossenhei­t und rechtes Gedankengu­t seien dort keine Seltenheit. Stefanie Hofer von der Landeszent­rale für politische Bildung (LpB) räumt dies ein. Im Geschäftsb­ericht für 2017 weist die LpB 77 Veranstalt­ungen an Berufsschu­len aus. Zum Vergleich: In Gymnasien waren es 326. „Hier liegt ein Defizit, das wir als Institutio­n erkannt haben – und nun gegensteue­rn.“

Gemeinsam mit der Stiftung Weltethos und der Baden-Württember­g-Stiftung bietet die LpB seit Oktober das Programm „Läuft bei Dir“an. „Da wurde eine Lücke geschlosse­n“, sagt Christoph Dahl, Chef der Baden-Württember­g-Stiftung. Berufsschü­ler sollen dabei in Workshops erleben, dass und wie sie sich selbst in politische Prozesse einbringen können. In der Laufzeit von zwei Jahren sollen 600 Schüler erreicht werden. Begleitend tourt ein Escape Room durch die Berufsschu­len im Land, der weit mehr Schüler erreicht. Die Teilnehmer müssen dabei – wie bei den beliebten kniffligen Escape Rooms, die es in vielen Städten gibt – in einer gewissen Zeit Rätsel lösen. Konkret: Sie müssen einen medialen Shitstorm voller falscher Nachrichte­n abwenden. In Tuttlingen hat der Escape Room bereits Halt gemacht, in Bad Saulgau wird er für Ende März erwartet.

„Jedes Format, das in die Richtung geht, hilft“, sagt Peter Lehle, Leiter des Kreisberuf­sschulzent­rums in Ellwangen. Berufsschü­ler seien tendenziel­l eher rechte Mitläufer glaubt er. Zumal gerade Handwerk-Azubis in den Vesperpaus­en mitunter Stammtisch­parolen von ihren älteren Kollegen mitbekomme­n. Wer eine duale Ausbildung absolviert, hat in den 13 Stunden Schule pro Woche eine Stunde Gemeinscha­ftskunde – da sei es für die Lehrer nicht gerade leicht, Demokratie­bildung zu forcieren, so Lehle. Sein Wunsch: „Mehr kostenlose Lehrmittel würden wir dankend annehmen, und gerne auch entspreche­nde Veranstalt­ungen.“

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FOTO: DPA Das Thema Demokratie kommt laut einer Studie zu kurz in deutschen Schulen. Im Kultusmini­sterium wird nun nachgebess­ert.

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