Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Zerbrochene Bierflasche ins Gesicht geschlagen
31-jähriger Alkoholiker muss dreieinhalb Jahre hinter Gitter – Warum er nicht in eine Entziehungsanstalt kommt
KEMPTEN - Mit elf Jahren begann er zu trinken, mit zwölf der erste Marihuana-Konsum. Die Schule verließ er ohne Abschluss, einen Beruf lernte er nie. Mit Gelegenheitsjobs hielt er sich über Wasser. Dann wurde er erstmals straffällig, schließlich landete er im Gefängnis. Er trank weiter und rauchte Cannabis. Dann wieder Knast und ein Entzug, weil er seine Freundin mit einem Messer bedroht und verletzt hatte. Gestern stand der heute 31-Jährige wieder vor dem Kemptener Landgericht, weil er im Streit in einer Kemptener Obdachlosenunterkunft einen 34 Jahre alten Zimmerkameraden schwer verletzt hatte.
Aggression und Eifersucht
Die Tat geschah am Abend des 28. Mai 2018: Wieder einmal stritt der Angeklagte mit seiner 39 Jahre alten Freundin, sein Zimmerkamerad wollte ihn besänftigen. In einer Gefühlslage aus Aggression und Eifersucht griff der Mann zu einer Bierflasche, brach über einer Kommode den Flaschenhals ab und schlug dem 34-Jährigen damit ins Gesicht. Dieser erlitt im linken Backenbereich zahlreiche Schnittwunden, die später im Krankenhaus mit 30 Stichen genäht werden mussten.
Noch heute leide er durch die Verletzungen an einem Taubheitsgefühl, schilderte das Opfer als Zeuge. Wie genau die Einzelheiten des Streits abliefen, war nicht mehr zu klären. Das ist auch kein Wunder: Die Frau war nach eigenen Angaben alkoholisiert, beim Opfer wurden nach der Attacke 3,4 Promille gemessen, beim Täter waren es nach Aussagen eines Gutachters zur Tatzeit vermutlich knapp drei Promille – oder noch erheblich mehr. Vor der Tat waren in dem Zimmer flaschenweise Wodka, Williams und Bier getrunken worden.
Die Gretchenfrage lautete gestern: Soll dem Angeklagten neben einer Strafe wegen Körperverletzung erneut die Möglichkeit gegeben werden, einen Großteil des Strafmaßes als Alkoholentzug in einem Bezirkskrankenhaus zu verbringen? Eine richterlich angeordnete Entzugstherapie hatte er bereits hinter sich, war aber einige Monate nach der Entlassung erneut straffällig geworden – wieder im betrunkenen Zustand. Psychiatrie-Facharzt Professor Markus Jäger sagte als Sachverständiger, zur Tatzeit sei die Steuerungsfähigkeiten bei dem Angeklagten erheblich eingeschränkt gewesen. Der Mediziner sprach sich aber gegen eine zweite Alkoholtherapie für den Mann aus. Er sehe bei ihm dafür „keine wirkliche Motivation“.
Verteidiger Klaus Dieter Maier sah das vollkommen anders: „Wir müssen es probieren.“Es gebe auch ein Interesse der Allgemeinheit, das Alkoholproblem des 31-Jährigen zu lösen. „Allein die Verwahrung im Gefängnis wird keinen Erfolg haben“. Während die Staatsanwältin drei Jahre und zehn Monate Haft ohne Therapie forderte, hielt Maier drei Jahre mit Therapieauflage für ausreichend. Das Urteil der Strafkammer lautete: dreieinhalb Jahre Haft wegen gefährlicher Körperverletzung. Eine Therapie wurde nicht angeordnet, wegen derzeit fehlender Erfolgsaussicht, so das Gericht. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.