Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Amtsgericht hat versagt
Klage gegen Notariatsbeschluss hat wenig Aussicht auf Erfolg
BAD WURZACH/WEINGARTEN Die Verfassungsbeschwerde des Bad Wurzacher Rechtsanwalts Günter Beer gegen die Notariatsreform (die SZ berichtete) hat wenig Aussicht auf Erfolg. Das teilte der Verfassungsgerichtshof des Landes BadenWürttemberg in einem Schreiben an den Rechtsanwalt mit. Die Klage dürfte „unzulässig sein“, heißt es dort .
Beer hatte seit über einem halben Jahr auf den Erbschein für seine verstorbene Mutter beim Amtsgericht Ravensburg gewartet. Der Rechtsanwalt ist kein Einzelfall. Zuvor hatte sich Andreas D. aus Weingarten bei der „Schwäbischen Zeitung“gemeldet. Die Erbengemeinschaft seines verstorbenen Schwiegervaters wartet seit über einem Jahr auf den Erbschein (SZ berichtete).
Amtsgericht überfordert
Hintergrund der langen Wartezeit ist der sogenannte Notariatsbeschluss, der seit dem 1. Januar 2018 in Kraft ist. Zu diesem Stichtag löste der Gesetzgeber die staatlichen Notariate auf, die bislang für Erbschaftsangelegenheiten zuständig waren. Zuständig sind seitdem die Amtsgerichte.
Doch die sind mit der Aktenflut völlig überfordert. Allein beim Amtsgericht Ravensburg schlugen nach der Reform rund 500 Akten aus Nachlass- und 3000 aus Betreuungssachen auf, die die Mitarbeiter neu erfassen müssen, da eine elektronische Übermittlung an der Inkompatibilität der Computerprogramme scheiterte. Die Folgen bekommen die Bürger mit unabsehbaren Wartezeiten bei Nachlasssachen zu spüren, was zu massiven Protesten führt. Wie der Ravensburger Amtsgerichtsdirektor im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“sagte, sei es unmöglich, alle Beschwerden zu bearbeiten. Inzwischen hat das Land Baden-Württemberg laut Justizministerium eine eigene Arbeitsgruppe eingerichtet, um Problemfälle zu lösen. Am Oberlandesgericht Stuttgart kümmern sich Mitarbeiter gezielt um Beschwerden von Bürgern, die auf ihre Dokumente warten.
Beer wollte sich mit dieser Situation nicht abfinden und reichte vor Weihnachten beim Verfassungsgerichtshof des Landes Baden-Württemberg Verfassungsbeschwerde ein. In seinen Augen habe der Gesetzgeber die Folgen durch eine angemessene Übergangsregelung abzumildern, wenn er wie im vorliegenden Fall ein Recht aufhebe. Schließlich seien die Erben mit dem Tod eines Verwandten für die entstandenen Nachlassverbindlichkeiten haftbar. Gleichzeitig können sie ohne Erbschein nicht über Nachlasswerte, wie ein Grundstück, verfügen. Die Landesverfassung garantiere aber den Rechtsweg und den Zugang zu den Gerichten.
Anspruch auf Haftung
Dieser Argumentation folgt der Landesgerichtshof nicht. Ein Gesetz sei nur dann verfassungswidrig, „wenn die Defizite durch die Struktur der Norm determiniert sind“, wie es wörtlich in dem Antwortschreiben heißt. Es liege auf der Hand, dass es sich hier um ein „Vollzugsdefizit“handele. Das bedeutet, das Gesetz an sich verstößt nicht gegen die Verfassung. Vielmehr hat das Amtsgericht versagt, nicht der Staat. Deshalb habe eine Klage mit aller Voraussicht keinen Erfolg.
Gleichzeitig macht der Landesgerichtshof darauf aufmerksam, dass Bürger eventuell einen Anspruch auf Schadenersatz haben, wenn der Staat seinen gesetzlichen Aufgaben nicht nachkomme.
Auch wenn die Klage keinen Erfolg haben sollte. Sie hat zumindest im Fall des Rechtsanwalts eines bewirkt. Kurz nach dem Schreiben des Landesgerichtshofs erhielt Beer einen Termin beim Amtsgericht und hat inzwischen seinen Erbschein bekommen.
Er vermutet, dass dies so schnell nicht zuletzt aufgrund der Klage und einer eventuellen Schadensersatzforderung gegen das Amtsgericht möglich wurde. Anders sieht es bei der Weingartener Erbengemeinschaft aus. Auf Nachfrage der „Schwäbischen Zeitung“wartet sie immer noch auf den Erbschein für den im November 2017 verstorbenen Vater, dessen Haus seitdem leer stehe.
Beer selbst kann die Klage nicht mehr aufrechterhalten, da er nicht mehr „rechtsschutzbedürftig“sei. Bedeutet, sein Fall ist mit dem Erhalt des Erbscheins erledigt. Jedoch können sich alle anderen, die noch keinen Erbschein haben, der Klage anschließen. Diese Überlegung macht derzeit die Weingartener Erbengemeinschaft.