Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Schon Zehnjährige stehen unter Stress
Für Viertklässler kommt bald auf, wie es nach der Grundschule weitergeht – Viele Eltern bauen Druck auf
ALLGÄU - „Die Eltern wollen immer das Beste für ihr Kind. Aber was das Beste ist, da gibt es oft unterschiedliche Ansichten“, sagt Martin Liebau, stellvertretender Schulleiter des Jakob-Brucker-Gymnasiums in Kaufbeuren. Für Grundschüler gibt es im Frühjahr die Übertrittszeugnisse. Dann entscheidet sich, welche Schule sie künftig besuchen. Fachkräfte sind sich einig: Viele Grundschüler stehen zurzeit unter Druck, der nicht selten aus dem Elternhaus kommt. Aufs Gymnasium soll es der Nachwuchs schaffen, die Realschule wäre auch noch in Ordnung. Die Mittelschule wollten die meisten vermeiden, dabei sei diese besser als ihr Ruf.
Etwa 70 Prozent ihrer Schüler schaffen es aufs Gymnasium oder die Realschule, sagt Silvia Turnwald, Rektorin der Grundschule Lindenberg (Westallgäu). Bei manch einem Kind hätten die Lehrer aber „Bauchweh“, ob diese Schultypen wirklich das Richtige für den Schüler sind. Dann heißt es: reden. Mit den Eltern und den Kindern, um für alle eine gute Lösung zu finden. „Die meisten Eltern sind offen, manche sind aber auch beratungsresistent.“Die Eltern zu überzeugen, dass ihr Kind auf der Realschule besser aufgehoben wäre als auf dem Gymnasium, sei dabei wesentlich leichter, als ihnen die Mittelschule schmackhaft zu machen. Viele Eltern fürchteten, dass ihre Kinder dort keinen vernünftigen Umgang hätten und einen schlechten Abschluss bekämen. „Das ist schade, denn die Schulen haben gute Ansätze und sind besser als ihr Ruf“, sagt Silvia Turnwald. Der Wunsch nach einer akademischen Laufbahn sei ausgeprägt, dabei habe gerade das Handwerk „einen goldenen Boden“.
Auch Katharina Schrader, Elternbeiratsvorsitzende an der Kemptener Konrad-Adenauer-Grundschule, weiß um den Druck, der auf den Kindern lastet – und der nicht selten hausgemacht sei. Schon in der ersten oder zweiten Klasse überlegten manche Eltern, auf welche Schule ihr Kind einmal gehen sollte. Die eigentliche Übertrittsphase sei mit den vielen Proben eine zusätzliche Herausforderung. „Da ist schon eine Anspannung da“, sagt sie. Der Satz „wir müssen heute noch Hausaufgaben machen“sei öfter schon gefallen. Und zwar vonseiten der Eltern. Hilfe und Unterstützung seien natürlich wichtig, sagt Schrader. Aber die Kinder müssten auch etwas allein schaffen. Sonst liefen sie Gefahr, in ihrem weiteren Schulleben große Probleme zu bekommen.
Deswegen gibt es die Übertrittszeugnisse samt Empfehlung, auf welcher Schule es weitergehen soll. Entscheidend sind dabei die Noten in den Fächern Deutsch, Mathematik sowie Heimat- und Sachunterricht. Aber auch auf das Arbeitsverhalten komme es an, sagt die Unterallgäuer Schulamtsdirektorin Elisabeth Fuß. Und dann gibt es noch den Willen der Eltern. Schüler, die nicht die entsprechende Empfehlung haben, können an einem Probeunterricht auf der Realschule oder dem Gymnasium teilnehmen.
Stellvertretender Schulleiter Liebau kennt das Prozedere. Drei Tage, sagt er, werden die Kinder beobachtet, müssen schriftliche Arbeiten abgeben und mündliche Leistungen erbringen. Für manch einen Schüler sei das emotional schwer zu bewältigen. Im Schnitt könnten 30 Prozent der Schüler danach ihre Wunschschule besuchen, der Rest schaffe es nicht. „Die Kinder sollen nicht unglücklich werden und zu viele negative Erlebnisse haben“, sagt Liebau. Im Zweifel empfehle es sich, erst mal mit dem vermeintlich niedrigeren Schultypen anzufangen und dann gegebenenfalls auf eine höhere Schule zu wechseln. Denn in einem sind sich alle Experten einig: Das bayerische Schulsystem ist durchlässig. „Auch in kleinen Schritten kann es zum Studium gehen“, sagt Schulamtsdirektorin Elisabeth Fuß.