Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Zoff in der Buchbranche
Börsenverein ist Amazon-Projekt mit Märchenbüchern zum Weltkindertag ein Dorn im Auge – Geschenk oder Marketingaktion?
FRANKFURT (KNA) - Es war einmal eine auf den ersten Blick sympathisch anmutende Aktion zur Leseförderung. Zum Weltkindertag am heutigen Freitag wollen die „Stiftung Lesen“und der Internethändler Amazon eine Million Exemplare des Märchenbuchs „Es war einmal – Neue und klassische Märchen“in gedruckter oder elektronischer Form an Kinder in Deutschland verschenken. Darin: elf Märchen der Brüder Grimm von Schneewittchen bis Dornröschen und eine Handvoll neu geschriebener Geschichten. Elf Lesebotschafter der „Stiftung Lesen“wie Nazan Eckes, Annette Frier und Steffen Henssler haben jeweils ein persönliches Vorwort beigesteuert.
„Lesen ist ein Geschenk“, heißt das Motto. Doch wie in manchem Märchen können Geschenke auch vergiftet sein. Die Aktion jedenfalls hat für heftigen Streit in der Buchbranche gesorgt. Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels sah die Buchhandlungen vor Ort ausgegrenzt und stößt sich insbesondere an der Rolle von Amazon. Hauptgeschäftsführer Alexander Skipis drohte, dass der Börsenverein aus dem Stifterrat der „Stiftung Lesen“aussteigen und damit auch die finanzielle Unterstützung einstellen könnte. Ende September will der Vorstand darüber beraten. Die Verlagsgruppe Beltz, Mitglied im Stiftungsrat der „Stiftung Lesen“, ist unter Protest dort bereits ausgestiegen.
Für Skipis ist Amazon ein rotes Tuch. Denn schließlich versucht der deutsche Buchhandel seit Langem, ein Gegengewicht gegen den übermächtig erscheinenden Internethändler aufzubauen – beispielsweise durch den E-Book-Reader Tolino. Die Geschenkaktion sei eine „verkappte Marketingaktion vor allen Dingen des großen Internetbuchhändlers Amazon, um an Daten von Kunden zu kommen“, kritisierte der Hauptgeschäftsführer. Die „Stiftung Lesen“mache sich zum Steigbügelhalter der Strategie von Amazon, als einziger Vermittler zwischen Leser und Autor aufzutreten. „Sie möchten gerne die Verlage und natürlich auch die Buchhandlungen vom Markt verschwinden sehen.“Für den Börsenverein heiße das: Amazon ist ein Player in diesem Markt, „den wir mit allen Mitteln bekämpfen“.
Dass mit Thalia, Mayerscher und Hugendubel von Anfang an große Buchhandelsketten mit Amazon kooperierten, sorgte in der Branche für zusätzlichen Verdruss. Skipis kritisierte, dass kleinere und mittlere Buchhandlungen gar nicht erst angefragt worden seien. Dabei seien sie es vor allem, „die ein hohes Beratungsgeschäft leisten und vor allem Leseförderung“. Inzwischen sieht die Sache allerdings etwas anders aus. „Wir haben auch den unabhängigen Buchhandel mit an Bord“, betont Pedro Huerta, Country Manager Books Deutschland bei Amazon. „Über 20 Prozent aller Buchhandlungen in Deutschland werden dieses Buch ab dem 20. September kostenlos für alle deutschen Familien zur Verfügung stellen.“
Die in Mainz ansässige Stiftung Lesen reagierte auf den Konflikt mit deutlicher Zurückhaltung. Hauptgeschäftsführer Jörg F. Maas verteidigte die Aktion, bot dem Börsenverein aber Gespräche über gemeinsame Projekte an und betonte die gemeinsamen Interessen. Wichtigstes Ziel der Stiftung sei es, insbesondere Familien für das Lesen und Vorlesen zu begeistern, die bislang keinen Zugang zu Büchern hätten, sagte Maas. Dazu gebe es eine Zusammenarbeit mit ganz unterschiedlichen Bündnispartnern, darunter etwa Kinderärzte, Medien, Leseclubs und eben auch Amazon.