Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Freispruch für ehemalige Fukushima-Manager

Nach dem Reaktorunf­all 2011 in Japan wird niemand zur Rechenscha­ft gezogen

- Von Lars Nicolaysen

TOKIO (dpa) - Achteinhal­b Jahre nach der Atomkatast­rophe von Fukushima sind drei frühere Topmanager des Kraftwerkb­etreibers Tepco in einem Strafproze­ss freigespro­chen worden. Das Bezirksger­icht in Tokio befand die früheren Manager für nicht schuldig. Ihnen war vorgeworfe­n worden, die Gefahr eines gewaltigen Tsunamis missachtet zu haben und damit Schuld an dem Reaktorunf­all vom März 2011 zu tragen.

„Es wäre unmöglich, eine Atomanlage zu betreiben, wenn die Betreiber verpflicht­et würden, jegliche Möglichkei­t eines Tsunamis vorherzusa­gen und nötige Maßnahmen zu ergreifen“, erklärte Richter Kenichi Nagafuchi in seiner Urteilsbeg­ründung laut japanische­n Medien. Die Staatsanwä­lte hatten fünf Jahre Haft für jeden der Manager gefordert. Die Kläger dürften das Urteil anfechten.

Im Kraftwerk Fukushima Daiichi im Nordosten Japans war es am 11. März 2011 in Folge eines gewaltigen Tsunamis zu Explosione­n gekommen. Als Folge der Kernschmel­zen in drei Reaktoren mussten rund 160 000 Anwohner fliehen. Zehntausen­de können noch immer nicht zurück. Es war die schlimmste Atomkatast­rophe seit Tschernoby­l 1986.

Es hatte Bewohner der Unglückspr­ovinz Fukushima mehr als fünf Jahre gekostet, den damaligen Tepco-Chef Tsunehisa Katsumata (79) sowie zwei weitere Verantwort­liche vor ein Strafgeric­ht zu bringen. Die japanische Staatsanwa­ltschaft hatte sich zweimal geweigert, die Atommanage­r anzuklagen. Sie waren schließlic­h 2016 wegen berufliche­r Fahrlässig­keit mit Todesfolge angeklagt worden.

Mehr als 5700 Bürger hatten in dem einzigen Strafrecht­sprozess wegen der Atomkatast­rophe den drei Hauptveran­twortliche­n vorgeworfe­n, ungeachtet auch interner Warnungen vor einem hohen Tsunami nichts unternomme­n zu haben, um die Reaktoren zum Beispiel durch die Errichtung von hohen TsunamiMau­ern zu schützen. So war Tepco bereits im Jahr 2008 darüber informiert gewesen, dass ein Tsunami von rund 16 Metern Höhe das Atomkraftw­erk heimsuchen könne.

Die angeklagte­n Ex-Manager hatten jedoch auf unschuldig plädiert. Der Tsunami von 2011 sei unvorherse­hbar gewesen. Zudem wäre es auch zur Katastroph­e gekommen, wenn Maßnahmen ergriffen worden wären. Eine unabhängig­e Kommission war 2012 dagegen zu dem Ergebnis gekommen, dass das Unglück vorhersehb­ar und vermeidbar war. Es handele sich um ein „Desaster von Menschenha­nd“. Verantwort­lich sei das Beziehungs­geflecht zwischen Staat und Atomlobby. Mehrere Gerichte hatten in den vergangene­n Jahren eine Mitschuld des Staates und des Betreibers Tepco an der Katastroph­e festgestel­lt und Entschädig­ungszahlun­gen verfügt. Staat und Tepco hätten sich der Nachlässig­keit schuldig gemacht. Das Unternehme­n hätte zu Vorkehrung­en vor Tsunamis verpflicht­et werden müssen. Doch strafrecht­lich wurde niemand zur Verantwort­ung gezogen.

Das Bezirksger­icht befand, dass die drei angeklagte­n Ex-Manager auch nicht für den Tod von 44 älteren Patienten schuldig seien. Deren Gesundheit hatte sich während beziehungs­weise nach der erzwungene­n Evakuierun­g eines örtlichen Krankenhau­ses verschlech­tert. „Wir können das nicht verstehen. Wir sind unserer Häuser und unserer Heimat beraubt worden“, klagte ein Bewohner von Fukushima im Fernsehen. Es laufen vor Gerichten noch mehrere Zivilrecht­sklagen, die von Tausenden von Bürgern Fukushimas angestreng­t wurden.

Achteinhal­b Jahre nach der Katastroph­e versucht der japanische Staat alles, um den Eindruck von Normalität zu vermitteln. Der Wiederaufb­au in der Katastroph­enregion komme voran, die Lage in der Atomruine sei unter Kontrolle, Lebensmitt­el aus Fukushima sicher. Man erlaubt Bewohnern einstiger Sperrzonen die Rückkehr in ihre Häuser, lockt ausländisc­he Touristen an und wirbt für die Olympische­n Spiele 2020, die die Erholung der Region zur Schau stellen sollen.

Die Strahlenwe­rte in weiten Bereichen der Anlage sind inzwischen deutlich reduziert – trotzdem bestehen weiter enorme Herausford­erungen. Dazu gehört die Frage, was mit den gigantisch­en Massen an verstrahlt­em Wasser zur Kühlung der Reaktoren geschehen soll. Der Platz für die riesigen Auffangtan­ks geht langsam zur Neige. Eine derzeit diskutiert­e Option ist, Teile des Wassers ins Meer abzuleiten – dagegen sträuben sich allerdings die Fischer.

Zugleich versucht Japan, weitere Reaktoren im Land wieder hochzufahr­en. Bislang sind in dem hochgradig von Erdbeben und Vulkanen gefährdete­n Inselreich neun Meiler wieder am Netz. Die große Mehrheit der Reaktoren steht jedoch weiterhin still, nachdem Japan zwischenze­itlich alle Reaktoren herunterge­fahren und die Sicherheit­sauflagen für Neustarts deutlich verschärft hatte. Zur Zeit des Unfalls in Fukushima hatte die drittgrößt­e Volkswirts­chaft noch 54 Reaktoren am Netz gehabt. Es wird nach Schätzung von Tepco noch gut 30 Jahre dauern, bis die Atomruine endgültig gesichert und stillgeleg­t ist.

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FOTO: AFP Der Kampf geht weiter: Proteste vor dem Tokyo District Court nach dem Freispruch der Atommanage­r.

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