Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Warum viele Älpler das Internet ablehnen
Und trotzdem halten neue Medien nach und nach Einzug auf Allgäuer Hütten
OBERALLGÄU - Schweißperlen stehen dem Hirten – raue Hände, grauer Bart, moosgrüner Trachtenhut – auf der Stirn, als er beim Oberstdorfer Viehscheid mit großem Kraftaufwand ein Rind nach dem anderen in die schmale Scheidstelle lenkt. Als wäre das nicht schon Anstrengung genug, ist der Mann von unzähligen Smartphones und Kameras umzingelt, die jede noch so kleine Bewegung festhalten. Laut Veranstalter sind heuer etwa 20 000 Zuschauer angereist, um das Spektakel zu verfolgen. Die Szene könnte auf den ersten Blick skurriler nicht sein: Der Allgäuer Alphirte, der den Sommer auf einer abgelegenen Hütte in den Bergen verbracht hat, und der nun mit voller Wucht auf die digitale Welt im Tal trifft. Doch sind die Hütten überhaupt noch so abgeschnitten von der Außenwelt wie früher, oder hat auch hier die Digitalisierung Einzug gehalten?
„Es gibt mittlerweile Alpen mit Internetempfang, gerade in den Hochalpen ist das aber meist noch kein Thema“, sagt Theresia Schwarz, stellvertretende Vorsitzende des Vereins „Allgäuer Alpgenuss“. Dieser unterstützt 64 Alpen im Oberallgäu und Kleinwalsertal (Österreich) bei der Vermarktung selbst hergestellter Produkte – unter anderem auf seiner Internetseite. Viele höher gelegene Alpen seien auf Solaranlagen angewiesen, um überhaupt Strom zu haben. An Internet denke da niemand. „Und das ist auch gut so!“, sagt Schwarz. Ohne sei es dort einfach erholsamer – das würden auch die Gäste schnell einsehen. Denn: „Offline zu sein, ist echter Luxus.“
Die Älpler und Hirten denken laut Schwarz meist ähnlich. „Es geht dort schließlich um die Tiere, für deren Pflege braucht man weder Laptop noch Handy.“Dennoch hätten mittlerweile einige Alpbewohner ihr Smartphone mit dabei, um Kontakt zur Familie im Tal und dem Landwirt zu halten oder falls nötig einen Notruf abzusetzen – wenn es der Empfang zulässt.
Michael und Christiane Jäckle bewirtschaften die Siedelalpe oberhalb des Großen Alpsees bei ImmenstadtZaumberg. Internet spielt dort für die beiden durchaus eine Rolle: sie nutzen Facebook, um Werbung für ihre Gastronomie zu machen und nehmen Reservierungen per E-Mail entgegen. Es gibt zwar Internet auf der Alpe – aber kein WLAN für Gäste. „Das wollen wir auch gar nicht“, sagt Jäckle. Viele Alpen in der Gegend würden das ähnlich handhaben. Leute gingen ja schließlich in die Berge, um dort dem Alltag und der digitalen Welt zu entfliehen.
Dennoch werben mittlerweile viele Alpen auf eigenen Websites für sich und ihr Angebot. Sie haben sich an ihre Zielgruppe angepasst. Die Dienste werden aber meist im Tal mit Informationen befüllt. Viele Alpen sind nach wie vor internetfreie Zone. Zum Beispiel in Balderschwang und Bolsterlang. Dort gibt es keine Hütte mit Internetanschluss. Ein Hirte beim Oberstdorfer Viehscheid bringt es lachend auf den Punkt: „WLAN auf der Alpe? Das hat mir gerade noch gefehlt!“