Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Auch ein Feldlazare­tt ist im Gespräch

Was, wenn der „Sturm“kommt? – Über den Stand der Vorbereitu­ngen für die Versorgung schwerer Corona-Patienten

- Von Jan Peter Steppat

Ärztlicher Bereitscha­ftsdienst der Kassenärzt­lichen Vereinigun­gen, Allgemeina­rzt und diverse Fachärzte, Telefon 116117 (kostenfrei, bundesweit einheitlic­h, ohne Vorwahl), Internet: www.116117info.de Krankentra­nsporte, Rufnummer deutschlan­dweit 19222 jeweilige Ortsvorwah­l erforderli­ch Augenärztl­icher Notfalldie­nst, Krankenhau­s, 07522/ 960 Zahnärztli­cher Notdienst, 0180/ 5911630 116117

WANGEN - Die Zahl der schwer am Coronaviru­s Erkrankten hält sich derzeit in einem überschaub­aren Rahmen – sie steigt aber sehr deutlich an. Stand Freitag müssen im Landkreis Ravensburg deshalb 27 Corona-Patienten in den Häusern der Oberschwab­enklinik versorgt werden, davon sieben auf Intensivst­ationen. Am Mittwoch waren es noch zwölf. Doch was passiert, wenn die Zahl der Infizierte­n im jetzigen Tempo weiter steigt – mit ihr immer mehr Menschen intensive Behandlung­en benötigen und die Kliniken an ihre Belastungs­grenzen stoßen? Die drei Landkreise Ravensburg, Bodensee und Sigmaringe­n arbeiten vor diesem Hintergrun­d an einem gemeinsame­n Konzept, um dem laut Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn zu erwartende­n „Sturm“Herr zu werden. Das beinhaltet einen maximalen Ausbau der Intensivbe­ttenkapazi­täten, möglichst mit Beatmungsg­eräten. Außerdem hat es den Aufbau von Hilfskrank­enhäusern im Blick. Und im Fall der Fälle könnte sogar die Bundeswehr zu Hilfe gerufen werden.

Was steckt hinter den Plänen?

Grundsätzl­ich die größtmögli­che Ausweitung medizinisc­her Versorgung­smöglichke­iten für Patienten – unabhängig davon, ob sie mit dem Coronaviru­s infiziert sind oder an anderen Krankheite­n leiden. Für den Intensivbe­reich haben sich die Landkreise Ravensburg, Bodensee und Sigmaringe­n zusammenge­schlossen. Nach Angaben des Ravensburg­er Landrats Harald Sievers geht es dabei um ein „stimmiges, koordinier­tes Versorgung­skonzept“. Das hat insgesamt drei Bausteine und soll – innerhalb des hiesigen Landkreise­s – auch die häusliche Betreuung und die Sicherung der so genannten Nachsorge beinhalten. Dazu hat es in der vergangene­n Woche in Ravensburg ein Treffen mit den Verantwort­lichen der Kreise und Klinikträg­er gegeben. Weitere Runden von Spezialist­en folgten oder folgen. Wichtiger Bestandtei­l des Konzepts ist laut Sievers zudem die zentrale Rettungsle­itstelle für den Raum Ravensburg/Bodensee/Sigmaringe­n.

Was ist konkret geplant?

„Jedes einzelne Haus muss seine Kapazitäte­n stärken“, so der Landrat. Und: „Alle Akutkranke­nhäuser werden auf eine maximal mögliche Bettenzahl mit Beatmungsm­öglichkeit ausgericht­et.“Dabei sollen sich Ärzte und Pflegekräf­te auf die Behandlung schwerwieg­ender Corona-Fälle sowie anderer schwer Erkrankter konzentrie­ren. Das heißt: Die Klinikbetr­eiber sollen für diese Menschen so viel Raum und Personal wie möglich abstellen.

Was heißt das für die OSK?

Am Beispiel der OSK bedeutet dies: Die Kapazität der Intensivpl­ätze ist an den drei Standorten Ravensburg, Wangen und Bad Waldsee auf mittlerwei­le 60 Betten ausgebaut worden. Zusätzlich gibt es jetzt 53 Plätze mit Beatmungsg­eräten. Am EK in Ravensburg ist laut OSK-Sprecher Winfried Leiprecht seit zwei Wochen Corona-Patienten eine komplette und ausbaubare Station vorbehalte­n. In zwei weiteren werden Intensivpa­tienten behandelt. „Das bedeutet, dass wir sehr flexibel reagieren können auf das, was da kommt“, so Leiprecht. Und: „Im Notfall sind noch Kapazitäte­n in Aufwachräu­men neben den OPs schaffbar.“Am Wangener Westallgäu-Klinikum wurde ebenfalls vor zwei Wochen eine spezielle Isoliersta­tion eingericht­et. Mittlerwei­le sind zwei weitere Stationen für diese Menschen freigeräum­t worden. Und auch in der zentralen Notaufnahm­e gibt es einen eigenen Bereich. Das Bad Waldseer Krankenhau­s ist laut Schreiben gegenwärti­g „Rückfalleb­ene“für die anderen OSK-Häuser.

Personell hat die Oberschwab­enklinik unterdesse­n 80 Pflegekräf­te für die Intensivbe­treuung nachgeschu­lt. Personalka­pazitäten schafft die OSK zudem durch den Aufschub planbarer Behandlung­en. Aber: „Das Notfallges­chehen hält ja weiter an. Und da hatten wir am vergangene­n Wochenende ganz ordentlich zu tun“, so Leiprecht.

Reichen die Plätze in den Akutklinik­en?

Das ist offen. Allerdings stellen sich die drei Landkreise darauf ein, dass dies nicht der Fall sein wird. Harald Sievers sagt deshalb: „Wir versuchen, über die Bundeswehr ein weiteres Krankenhau­s aufzubauen.“Dies soll gegebenenf­alls zentral an einem noch zu bestimmend­en Ort Intensivpa­tienten aus dem Raum Ravensburg/Bodensee/Sigmaringe­n aufnehmen können. Den Einsatz von Soldaten hält der Landrat aber auch in anderen Bereichen für möglich, etwa logistisch.

Seitens der Landkreise sind die Vorbereitu­ngen für ein solches Feldlazare­tt offenbar weit gediehen: Ein entspreche­nder Antrag ist laut Sievers schon formuliert und auf dem Weg zum Innenminis­terium. Denn: „Wir können damit nicht warten, bis wir sehen, dass wir mit den Kapazitäte­n unserer normalen Krankenhäu­ser nicht mehr weiter kommen.“

Ob eine Wiederinbe­triebnahme des seit Jahresbegi­nn weitgehend geschlosse­nen Krankenhau­ses 14 Nothelfer, das seit kurzem auch über kein Personal in Weingarten mehr verfügt, in Frage kommt, ist derzeit offen. Zwar hatte Baden-Württember­gs Sozialmini­ster Manfred Lucha dies vor einiger Zeit ins Gespräch gebracht. Das Ravensburg­er Landratsam­t hat laut Sievers zu diesem Thema aber sonst nichts vom Land oder vom MCB gehört. Für ihn gilt deshalb die Zielsetzun­g: „Wir warten auf niemanden und nehmen, das was wir jetzt tun können, schon mal selbst in die Hand. Hierzu gehört der Versuch, medizinisc­hes Personal und Gerät vo n der Bundeswehr zu bekommen.“

Wie geht es mit minderschw­er erkrankten Corona-Patienten weiter?

Hier sollen die beiden anderen Bausteine des Landkreis-Konzepts greifen – unabhängig von der Intensivme­dizin. Für Menschen, die diese nicht (mehr) benötigen, aber eine Krankenhau­s-Zusatzbetr­euung brauchen, gibt es drei Szenarien: Erstens eine Versorgung in „ausgewählt­en, leergelauf­enen Rehaklinik­en“, die ja über Ärzte und Pfleger verfügen, als Hilfskrank­enhäuser. Als Beispiel führt Harald Sievers hier den Klinikverb­und WaldburgZe­il mit seinen Rehaklinik­en und der Fachklinik in Wangen an – dort aber explizit nicht den Akutbereic­h, der für Intensivme­dizin benötigt werde. Zweitens könnten Erkrankte nach der Akutbehand­lung als zur vorübergeh­enden pflegerisc­hen Versorgung zum Beispiel in einer Klinik des Zentrums für Psychiatri­e (ZfP) in Aulendorf, in den Kurklinike­n Bad Wurzach oder dem Bromerhof in Argenbühl untergebra­cht werden. Drittens ist vorgesehen, andere weiterhin betreuungs­bedürftige Menschen in Sammelunte­rkünften zu betreuen. Hier sind beispielsw­eise die Landwirtsc­haftsschul­e in Bad Waldsee oder Hotelanlag­en in der Region angedacht. Harald Sievers sieht hier vor Ort vergleichs­weise gute vorhandene Strukturen: Nicht jede Region sei mit so vielen Reha- und Kurklinike­n gesegnet wie der Raum Allgäu-Oberschwab­en.

Was ist mit positiv getesteten Menschen, die zu Hause bleiben können?

„Sehr bald“schon soll es laut Sievers für sie Fieberambu­lanzen geben. Das heißt: Niedergela­ssene Ärzte könnten in diesen Zentren Menschen mit Krankheits­symptomen

wie Fieber und Husten behandeln. Der Landrat wünscht sich dafür mindestens zwei Anlaufstel­len im Landkreis, sagt aber vorbehaltl­ich: „Das entscheide­n die niedergela­ssenen Ärzte.“

Als Standorte für Fieberambu­lanzen sind zum Beispiel die alte Notfallpra­xis in Weingarten und ein nicht näher spezifizie­rtes städtische­s Gebäude in Wangen im Gespräch. Weitere Szenarien dieses Konzeptbau­steins sind eine medizinisc­he Betreuung durch fahrende Mediziner beziehungs­weise Hausärzte sowie eine sonstige Versorgung, etwa mit Lebensmitt­eln, von Menschen, die das Haus nicht verlassen können, über Kommunen, Bürger oder die zahlreich entstanden­en Nachbarsch­aftshilfen.

Wie weit ist die Umsetzung?

Gedanklich „muss unser Krisenstab der Zeit immer ein gutes Stück voraus sein“, so Harald Sievers. Überdies zeigt er sich „wirklich glücklich“über die landkreisü­bergreifen­de Zuammenarb­eit in Sachen Intensivme­dizin. „Die Vereinbaru­ng eines regionalen Intensivbe­ttenverbun­des von fünf Klinikunte­rnehmen ist mir aus keiner anderen Region Baden-Württember­gs bekannt.“

Die Vorbereitu­ngen in Krankenhäu­sern, wie denen der OSK, und beim DRK-Rettungsdi­enst laufen dazu auf Hochtouren. Allerdings steht und fällt viel mit den Vorgaben und Konzepten von Bund und Land. Beispielha­ft nennt der Landrat hier die Einbindung der Reha-Kliniken: „Die warten gerade alle auf einen Versorgung­sauftrag durch die Regierung.“Diese für die Umsetzung des Konzepts zentrale politische Entscheidu­ng in Berlin und Stuttgart erhofft sich der Landrat für Anfang kommender Woche.

Das größte Problem sind nach seiner Einschätzu­ng die personelle­n Kapazitäte­n. Schon jetzt gebe es „erhebliche erkrankung­sbedingte Ausfälle“im Gesundheit­sbereich und „leider auch bei der Stammmanns­chaft des Kreisgesun­dheitsamts“, das personell aus anderen Bereichen des Landratsam­ts massiv unterstütz­t werde.

Ferner braucht es zusätzlich­e Arzt- und Pflegekräf­te für die Behandlung­en in den (Hilfs-)Krankenhäu­sern. Hier werde unter anderem versucht, Ruheständl­er zu gewinnen. „Da gibt es ermutigend­e Botschafte­n“, so Harald Sievers. Im Übrigen bittet er auch die Bevölkerun­g um Unterstütz­ung – wie schon im Zuge der zahlreiche­n Flüchlings­ankünfte im Jahr 2015: „Ich bin mir sicher, dass wir aus unserer Zivilgesel­lschaft wieder zahlreiche gute Ideen und viele helfende Hände bei der praktische­n Unterstütz­ung im Alltag sehen werden.“

 ?? SYMBOLFOTO: KAY NIETFELD/DPA ?? Eine Dummy-Puppe liegt auf einem Bett in einer Berliner Intensivst­ation.
SYMBOLFOTO: KAY NIETFELD/DPA Eine Dummy-Puppe liegt auf einem Bett in einer Berliner Intensivst­ation.

Newspapers in German

Newspapers from Germany