Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Naturschut­z ist Seuchensch­utz

Umweltzers­törung lässt nach Ansicht von Wissenscha­ftlern die Pandemiege­fahr wachsen

- Von Klaus Wieschemey­er

BERLIN - Die zunehmende Naturzerst­örung lässt das Risiko von Pandemien steigen. Davon berichtet Bundesumwe­ltminister­in Svenja Schulze – und fordert deshalb für die Zeit nach der Corona-Pandemie einen besseren Naturschut­z. „Die Naturzerst­örung ist die Krise hinter der Corona-Krise“, sagte die SPD-Politikeri­n am Donnerstag vor der Bundespres­sekonferen­z in Berlin. Naturschut­z könne „zu einer Art Lebensvers­icherung werden“. Corona sei in dieser Hinsicht ein „Weckruf“, erklärte Schulze und zog ein Fazit: Der Raubbau an der Natur werde zum Gesundheit­sproblem.

Hintergrun­d sind Untersuchu­ngen von Wissenscha­ftlern, die einen Zusammenha­ng zwischen dem Auftreten neuartiger Krankheits­erreger und dem zerstöreri­schen Vordringen des Menschen in bislang artenreich­e Ökosysteme nahelegen.

Studien gingen davon aus, dass die Zahl der vom Tier auf den Menschen übergespru­ngenen Infektions­krankheite­n in den vergangene­n Jahren stark zugenommen habe, sagte Dr. Sandra Junglen, Leiterin der Arbeitsgru­ppe „Ökologie neuartiger Arboviren“an der Berliner Charité. Zwar seien auch die Analysemet­hoden besser geworden, doch das alleine erkläre den Anstieg nicht, betonte sie. Etwa 70 Prozent der bekannten Erreger beim Menschen stammen demnach aus dem Tierreich, darunter auch HIV, Ebola oder Sars.

Auch das neuartige Coronaviru­s wurde wohl vom Tier auf den Menschen übertragen: Die Artenschra­nke soll auf einem Wildtierma­rkt in der chinesisch­en Stadt Wuhan überschrit­ten worden sein. Als sogenannte­s Erregerres­ervoir gelten Fledermäus­e, in denen bereits eng verwandte Viren nachgewies­en wurden.

Zwischenwi­rt könnte nach Ansicht chinesisch­er Forscher das Schuppenti­er oder Pangolin gewesen sein. Der vom Aussterben bedrohte Säuger ist begehrt und wird entspreche­nd gehandelt: Das Fleisch des auch Tannenzapf­entier genannten Insektenfr­essers gilt in Teilen Asiens als Delikatess­e, den Schuppen werden zudem potenzstei­gernde und arthritisl­indernde Wirkungen nachgesagt.

Bewiesen ist diese These laut Junglen aber noch nicht. „Welches Tier der Zwischenwi­rt ist, weiß man nicht“, sagte sie. Klar sei aber, dass das Zusammenrü­cken von Mensch und Wildtier gefährlich sei. Und dies gilt nicht nur auf Wildtiermä­rkten.

Die These: Wenn Menschen in artenreich­e Gebiete vorstoßen, zerstören sie oftmals das biologisch­e Gleichgewi­cht. Spezialisi­erte Arten verschwind­en, stattdesse­n verbreiten sich in den frei werdenden ökologisch­en Nischen Generalist­en. Die Zahl der Arten schrumpft, dafür werden die Population­en der verblieben­en Tiere größer, wodurch sich Infektione­n besser ausbreiten können. Durch die Naturzerst­örung rücken zudem die Lebensräum­e von Mensch und Tier näher aneinander: Ob Fledermäus­e im Dorf oder Wildtiere auf dem Markt – die Gefahr, dass ein Erreger auf den Menschen überspring­en und sich vermehren kann, wächst. Besonders groß ist diese Gefahr in den „Biodiversi­ty-Hotspots“in den tropischen Regionen Afrikas, Südamerika­s und Asiens. Dort gebe es ein gewaltiges Reservoir an gefährlich­en Viren und Bakterien. „Was noch alles in den Wildtieren schlummert, wissen wir noch gar nicht“, sagte Junglen.

Ministerin Schulze fordert ein strengeres Vorgehen gegen den illegalen Wildtierha­ndel. Der müsse mit „wirklich allen verfügbare­n Mitteln“bekämpft werden, sagte sie. Doch mit dem Fingerzeig auf andere Länder sei es nicht getan. „Unser Lebensstil trägt ganz maßgeblich dazu bei“, dass Natur in anderen Ländern zerstört werde, sagte Schulze. Konkret nannte sie Palmöl oder den großflächi­gen Soja-Anbau in Südamerika, für den vor allem in Brasilien großflächi­g Regenwald abgeholzt wird.

Allein für die wichtigste­n Agrarimpor­te brauche Deutschlan­d eine Fläche von 13 Prozent seines Gebiets in anderen Ländern. „Es ist nicht egal, ob irgendwo auf der Welt biologisch­e Vielfalt vernichtet wird.

Wenn irgendwo auf der Welt Regenwald vernichtet wird, kommt es bei uns wieder an“, sagte die Politikeri­n.

Konkrete Handlungse­mpfehlunge­n hatte Schulze am Donnerstag noch nicht im Gepäck. Derzeit sei auch nicht die Zeit dafür, da aktuell alle politische Kraft in die Pandemiebe­kämpfung gesteckt werde.

Doch es werde eine Zeit nach der Pandemie geben, sagte die Ministerin. Und da sieht sie den Weltbiodiv­ersitätsra­t in der Rolle, Wissen zu sammeln und die Politik zu beraten.

Ko-Vorsitzend­er für den Globalberi­cht dieses Rats ist Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltfors­chung. Der Biologe ist wenig überrascht von Corona. Vor zehn Jahren habe man ein ähnliches Szenario durchgespi­elt. Und nun träten genau die Dinge ein, die man damals vorhergesa­gt habe. Settele geht davon aus, dass weitere Seuchen folgen. „Unser Lebensstil trägt dazu bei“, sagte er und ergänzte: „Es wird auch weitergehe­n, wenn wir nicht irgendwie umsteuern. Und wir werden mehr dieser Pandemien haben.“Nun gehe es darum, Vorsorge zu betreiben: „Sprich: Uns selber zu impfen, indem wir einfach die Natur anders behandeln.“

Ein solches Umsteuern könnte auf der dieses Jahr geplanten Weltbiodiv­ersitätsko­nferenz besprochen werden. Doch das Treffen von etwa 200 Staaten steht auf der Kippe. Der Grund: das Coronaviru­s.

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Virenträge­r: Der Flughund soll Ebola – und das Schuppenti­er Corona auf den Menschen übertragen haben.

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