Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Der Dunkelziff­er auf der Spur

Bayern will die Forschung zum bedrohlich­en Virus stärker bündeln – Im Freistaat startet jetzt eine Studie von bundesweit­er Bedeutung

- Von Marco Hadem, Britta Schultejan­s und Jennifer Weese

MÜNCHEN (dpa) - Ein Teelöffel Blut soll helfen im Kampf gegen die Corona-Pandemie. Um mehr zu lernen über das neuartige Virus, das die Welt seit Monaten in Atem hält, starten bayerische Mediziner und Wissenscha­ftler eine groß angelegte Studie. In dieser Woche sollen Blutproben von Menschen aus 3000 zufällig ausgewählt­en Münchner Haushalten genommen werden, um das Blut auf Antikörper zu testen.

Damit die potenziell­en Probanden sich auch sicher sein können, dass es sich um echte Wissenscha­ftler handelt, die ihnen Blut abnehmen wollen, werden sie von Polizisten begleitet. Das Ziel des Ganzen: herauszufi­nden, wie das Virus sich tatsächlic­h in der Gesellscha­ft verbreitet hat – und wie hoch die Dunkelziff­er ist.

Schätzunge­n gehen davon aus, dass zwischen einem und zehn Prozent der Bevölkerun­g bereits infiziert sein könnten, weil viele Infektione­n völlig ohne Symptome verlaufen. Die Untersuchu­ng soll mehr

Klarheit bringen darüber „wie weit der Weg noch ist“, sagt Michael Hölscher, Leiter der Infektions- und Tropenmedi­zin am Klinikum der Universitä­t München.

Denn anders als im nordrheinw­estfälisch­en Landkreis Heinsberg, wo die meisten Infektione­n auf eine Karnevalss­itzung zurückgehe­n, oder im Landkreis Tirschenre­uth in der Oberpfalz, wo ein Starkbierf­est als Wurzel allen Übels gilt, gebe es in München viele individuel­le Infektione­n. Die „Dynamik des Infektions­geschehens“in der bayerische­n Landeshaup­tstadt sei gewisserma­ßen „stellvertr­etend“, sagt Hölscher. Eine Blaupause für ganz Bayern oder sogar ganz Deutschlan­d. Er gehe davon aus, dass die Ergebnisse der Studie für die Erforschun­g der Krankheit in ganz Deutschlan­d nutzbar seien, sagt Hölscher.

Pro Probe müssten nur drei Milliliter Blut abgegeben werden. Das Blut werde dann auf Antikörper getestet. Hat ein Mensch Antikörper gegen Sars-CoV-2 im Blut, ist oder war er von einer Infektion betroffen. Zwingend notwendig für diese Studie

sind funktionie­rende Antikörper­Tests, wie sie derzeit am Münchner Klinikum Rechts der Isar in den Startlöche­rn stehen.

Doch das am Freitag vorgestell­te neue Projekt ist nur die Spitze des Eisbergs. In der Wissenscha­ft ist es wie beim Rest der Gesellscha­ft auch: Es gibt kaum noch ein anderes Thema

als Corona. In Bayern befassen Forscher sich inzwischen landauf landab mit Sars-CoV-2 und der Lungenkran­kheit Covid-19, die das Virus auslösen kann.

Einige Beispiele: Das Deutsche Zentrum für Herzinsuff­izienz an der Uniklinik Würzburg untersucht nach Angaben des bayerische­n Wissenscha­ftsministe­riums

derzeit in einer Studie, wie Patienten mit einem schwachen Herzen auf die Infektion reagieren. Insgesamt 22 000 Patienten sollen untersucht werden.

An der Uniklinik Regensburg werden beispielsw­eise Testverfah­ren auf Corona entwickelt und mögliche Therapiefo­rmen untersucht. In Erlangen laufen Impfstoff-Forschunge­n. Zwei inzwischen genesene Covid-19-Patienten überließen den Wissenscha­ftlern dort Blutspende­n, aus denen die Gene von mehreren Tausend Antikörper­n identifizi­ert werden konnten. 20 bis 50 Prozent davon seien voraussich­tlich gegen das Virus gerichtet. Diese sollen nun gentechnis­ch hergestell­t werden mithilfe von Mäusen.

Auch an der Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t (LMU) wird an einem Impfstoff gegen den neuartigen Erreger geforscht. Die Uni verfolgt dabei einen nach eigenen Angaben vielverspr­echenden Ansatz, der gegen das MERS-Coronaviru­s schon am Menschen getestet wird.

Das Münchner Klinikum Rechts der Isar ist nach Angaben des Wissenscha­ftsministe­riums

nicht nur mit dem neuen Schnelltes­t-Verfahren befasst, sondern auch eines von derzeit vier deutschen Zentren, die an einer Zulassungs­studie des als vielverspr­echend geltenden Medikament­es Remdesivir arbeiten. Das Mittel war ursprüngli­ch zur Behandlung von Ebola entwickelt worden. Auch die München Klinik Schwabing, die deutschlan­dweit die längste Erfahrung mit Corona-Patienten hat, weil dort im Januar die ersten erkrankten Mitarbeite­r der Firma Webasto behandelt wurden, nimmt an dieser Studie teil.

Der Freistaat will die Kräfte der Wissenscha­ft nun stärker bündeln. Zur Erforschun­g des Coronaviru­s haben sich bayernweit rund 100 Wissenscha­ftler und rund 70 Medizinstu­denten zu einem Forschungs­team zusammenge­schlossen. „Gemeinsam arbeiten wir daran, dieses Virus besser zu verstehen, es effektiv zu bekämpfen und erfolgreic­h aus dieser Krise hervorzuge­hen“, sagt Wissenscha­ftsministe­r Bernd Sibler (CSU). Ziel sei es, Corona langfristi­g in den Griff zu bekommen.

 ?? FOTO: SVEN HOPPE/DPA ?? Gemeinsam gegen das Virus: Wissenscha­ftler in Bayern, wie hier eine Mitarbeite­rin am Institut für Virologie der Technische­n Universitä­t München (TUM), wollen die Forschung mit vereinten Kräften vorantreib­en.
FOTO: SVEN HOPPE/DPA Gemeinsam gegen das Virus: Wissenscha­ftler in Bayern, wie hier eine Mitarbeite­rin am Institut für Virologie der Technische­n Universitä­t München (TUM), wollen die Forschung mit vereinten Kräften vorantreib­en.

Newspapers in German

Newspapers from Germany