Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Das Virus bestimmt weltweit den Alltag
Kein Wochenmarkt in Gravenchon, Alkoholverbot in Südafrika, leere Strände in Mexiko,
ISNY - Um die Dimension greifbar zu machen, was der Begriff „Pandemie“bedeutet – wie eine weltumspannende Infektion wie aktuell jene mit dem Coronavirus das Leben und den Alltag der Menschen beeinflusst – hat die Isnyer Redaktion der „Schwäbische Zeitung“in den vergangenen Tagen Schilderungen aus Ländern rund um den Globus gesammelt:
Aus in der Normandie sandte
am vergangenen Freitag folgende Zeilen: „Liebe Isnyer, hier in Eurer französischen Partnerstadt leben wir nun schon in der dritten Woche mit einer Ausgangssperre, seit dem 17. März. Das heißt, sämtliche unnötigen Ausgänge sind verboten, außer man füllt eine befristete Genehmigung (DIN A4 zum Ausdrucken) aus, die dann erlaubt: Einkaufen (in Supermärkten oder im lebensmittelorientierten Einzelhandel); zu arbeiten, wenn Homeoffice nicht möglich ist oder man im medizinischen Bereich tätig ist; in die Apotheke zu gehen, den Arzt aufzusuchen; kurzzeitig Sport zu machen oder ein Haustier auszuführen (in einem Radius von einem Kilometer um seinen Wohnort und nicht länger als eine Stunde).
Meine Familie und ich haben das Glück, in einem Haus mit Garten zu leben, was Spaziergänge und Gartenarbeit möglich macht. Wir kaufen übers Internet im Supermarkt ein und bekommen dann einen Termin, um unsere Bestellung abzuholen. Wochenmärkte finden nicht statt. Lebensmitteleinzelhändler bieten beschränkte Öffnungszeiten und telefonischen Bestellungen an, um die Präsenz von Käufern auf ein Minimum zu reduzieren.
Ich arbeite als Deutschlehrerin im benachbarten Lillebonne. Zur Zeit läuft das Lernen über ’Home-Schooling’ ab. Wir versorgen die Schüler mit Hausaufgaben und versuchen, den Kontakt zu ihnen aufrecht zu erhalten. Nicht alle Familien verfügen über die nötige Computerausstattung und die Geduld, um diesen Anforderungen gerecht zu werden. Es herrscht auch völlige Unklarheit, was anstehende Examen und Prüfungen angeht. Wir haben unser Leben umorganisiert und halten uns an die Ausgangssperre, die noch bis mindestens 15. April andauert. Wir wünschen Euch alles Gute und ’bleibt dahoim’.“
Der Musiker und Dethleffs-Pensionär lebt in der Stadt Er schreibt: „Uns hat es in Norwegen auch schwer getroffen mit dem Coronavirus: Die Schulen sind geschlossen, Restaurants sind auch zu, und einige Geschäfte haben jetzt schon Existenz-Probleme, auch Hotels.
Der neueste Stand vom 3. April hier in Norwegen: 5209 Infektionen, 318 Personen in Krankenhäusern und 50 Personen gestorben. Reisen ist bis zum 14. April absolut verboten.
Meine Frau und ich sind gestern im größten Einkaufscenter hier in Kristiansand gewesen, und es war wie ausgestorben – ’Tote Hosen’. Man kann wenigstens noch Lebensmittel einkaufen. Die Apotheken haben auch auf, und es dürfen nur so und soviel Personen auf einmal hinein. Jeden Tag um 16 Uhr kommt im TV eine Pressekonferenz mit den neuesten Stand der Dinge.
Wir können wenigstens noch Spazieren gehen, aber mit Abstand wie überall. Liebe Grüße nach Isny an alle und an die, die mich kennen, auch von meiner Frau Anne-Britt.“Der gebürtige Isnyer
lebt seit 2001 in in der knapp 60 000 Einwohner zählenden Stadt Mossel Bay, rund vier Autostunden östlich von Kapstadt. Er beschreibt die Lage im Land wie folgt:
„Die Regierung hat recht drastische Maßnahmen ergriffen. Wir haben zwar ’nur’ fünf Todesfälle und etwas über 1000 Infizierte bis jetzt, sind aber kollektiv im ’Lockdown’ seit dem 27. März, erst einmal für drei Wochen. Es herrscht striktes Ausgehverbot, man darf weder spazieren gehen, noch sich im Freien sportlich betätigen oder selbst mit dem Hund raus. Die einzigen Ausnahmen sind Arztbesuche, zur Apotheke oder zum Supermarkt.
Der Verkauf von Alkohol oder Zigaretten ist komplett verboten (wir haben uns dementsprechend eingedeckt): Das Alkoholverbot wurde wohl verhängt, um häuslicher Gewalt vorzubeugen – es gibt deswegen schon 87 000 Anzeigen! Das Zigarettenverbot versteht niemand, für Raucher macht es die Situation noch schlimmer und fördert Aggressionen. Teile der Armee wurden aktiviert und patroullieren in den Straßen der Großstädte, um die Verbote zusammen mit der Polizei durchzusetzen. Bei uns, in einer sehr ländlichen Gegend, gibt es dagegen kaum Kontrollen. Landesweit gibt es inzwischen über 2000 Verhaftungen – direkt in den Knast. Für wie lange und wie hoch das Bußgeld ist, weiß man nicht.
Was die Townships angeht, ist das natürlich eine ganz andere Geschichte: Überbevölkert und disziplinlos, wie es dort zugeht, besteht die berechtigte Sorge, dass, wenn sich das Virus einmal eingenistet hat, es unmöglich zu stoppen ist. Dann steuern wir auf eine Katastrophe zu.
Am vergangenen Freitag hat die Regierung die Regeln etwas gelockert, was Taxiunternehmen und Besuche von Beerdigungen angeht, die Menschen jetzt wieder besuchen können, auch wenn sie in einer anderen Provinz stattfinden. Das war strikt verboten. Den Sinn der Lockerungen versteht niemand, ich halte sie für höchst gefährlich.
Wir machen es uns jedenfalls zu Hause so gemütlich wie möglich und versuchen, unseren fünfjährigen Sohn zu beschäftigen. Und die Entwicklung in Deutschland verfolge ich natürlich mit großem Interesse. Ach ja: Toilettenpapier war hier nie Mangelware, aber Desinfektionsmittel und Feuchttücher waren sofort weg.“
einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union, erreichte die „Schwäbische Zeitung“
der Verfasser ist der Redaktion bekannt: „Viel kann ich nicht sagen – der Himmel ist strahlend blau, wir leben in der Ausgangsbegrenzung, das bedeutet Einkaufen für Menschen ab 65 Jahren von 9 bis 12 Uhr, für alle anderen davor oder danach.
Offiziell als ‚beruhigend‘ definierte polizeiliche und militärische Präsenz auf der Straße, in heimischer Presse/TV/Radio sind keine weiteren Informationen verfügbar, außer den täglichen Antworten des ’Operativen Stabes’ auf die handverlesenen Fragen der sich ohnehin in Händen der Regierung befindlichen Presse.
Ministerpräsident Viktor Orban präsentiert sich als Macher, der im Alleingang das Virus bezwingt. Es ist nicht klar, wie und wie viele Menschen auf das Coronavirus getestet werden. Der Staatspräsident Ader Janos versteckt sich, aber das Ermächtigungsgesetz hat er dann doch sofort unterschrieben. Also ist jeder brav zuhause und hofft, nicht in ein Krankenhaus zu kommen, weil das Gesundheitssystem sowieso schon seit Jahren eine Katastrophe ist.
Die Regierung droht mit Gefängnisstrafen von bis zu drei Jahren für die Verbreitung von ’Fake-News’ oder Fehlinformationen. Was das ist, entscheidet sie selbst. Deshalb muss ich darum bitten, namentlich auf keinen Fall genannt zu werden. Ansonsten wäre ich zu leicht zu finden, und Verhaftungen gab es bereits.“
Der Isnyer lebt seit 20 Jahren in und arbeitet als Tauchlehrer in der 150 000-Einwohner-Stadt Playa del Carmen im Bundesstaat Quintana Roo. Seine Zusammenfassung kam diesen Sonntag:
„Ende Februar wurde in Mexico auf den ersten Covid-19-Fall aufmerksam gemacht. Zu dieser Zeit schien noch alles unter Kontrolle, und das Augenmerk war mehr auf China und Europa gerichtet. Anfang April wurden dann mehr Personen positiv auf das Coronavirus getestet. Heutiger Stand: 1890 Infizierte und 79 Todesfälle landesweit. Hier im Bundesstaat an der Riviera Maya wurden 75 Menschen positiv getestet und zwei Todesfälle gezählt.
Ich habe ja beruflich mit Touristen zu tun. Anfang März gab es massenhaft Stornierungen, Kreuzfahrtschiffe haben ihre Touren abgebrochen, und auf der vorgelagerten Insel Cozumel durften keine Passagiere mehr von Bord gehen wegen VirusVerdachts. Einige meiner Kunden wurden von ihren Fluggesellschaften informiert, dass Flüge verschoben werden. Dann haben die USA ein Einreiseverbot verhängt, und viele konnten die Flüge mit Zwischenstopp in Amerika nicht antreten und mussten neue Rückflüge buchen, die direkt nach Deutschland gingen – und hoffen, dass es noch Plätze gibt. Am 24. März habe ich die letzten Tauchgänge durchgeführt, und alle sind gut nach Hause gekommen.
Ab diesem Zeitpunkt fuhren Fahrzeuge mit Lautsprechern durch die Straßen, aus denen Anweisungen gegeben wurden, wie man sich zu verhalten habe: Abstand halten, Hände waschen etc. – Nun war klar: Die Pandemie hat uns erreicht! Immer mehr Leute trugen Gesichtsmasken, in Läden wurde man mit einem Spritzer Desinfektionsmittel auf die Hand begrüßt – und mit einen freundlichen Lächeln.
Innerhalb kürzester Zeit gab es keine Masken und Desinfektionsmittel mehr. Konservendosen waren in den Läden kurzfristig rar, aber auch schnell wieder aufgefüllt. WC-Papier war seltsamerweise nie ausverkauft! Es wurde von der Regierung darauf hingewiesen, Hamsterkäufe zu unterlassen. Die Supermärkte erlaubten pro Einkäufer jeweils nur ein Paket Toilettenpapier und eine Flasche Desinfektionsmittel.
Von Gemeinde zu Gemeinde unterschiedlich wurden nächtliche Ausgangssperren verhängt, bei uns ab 23 Uhr, und Verstöße mit Gefängnis belegt! Erwähnt werden muss, dass Mexiko immer wieder von Naturkatastrophen heimgesucht wird und Ausgangssperren und Alkoholverbote zum Schutz der Bevölkerung hier normal sind. Natürlich wurde darum gebeten, auch sonst zu Hause zu bleiben.
Mittlerweile wurden viele Geschäfte, große und kleine Hotels geschossen und in der Region massenhaft Personal entlassen; man spricht von 57 000 Arbeitslosen. Leider hängt die ganze Region vom Tourismus ab. Die Zulieferer für die Hotels sitzen auf ihrer Ware und bieten vieles zu Sonderpreisen an. Ich habe jetzt schon mehrerorts gesehen, dass auf der Straße Tische aufgestellt und Lebensmittel an Bedürftige verteilt werden. Arbeitslosenhilfe gibt es hier nicht, aber der Präsident hat versprochen, dass es eine Unterstützung gebe, die auf dem Mindestlohn von circa acht Euro pro Tag basiert.
Kriminalität hat nun eine steigende Tendenz, Überfalle auf Läden häufen sich. Es kam vereinzelt auch schon zu Plünderungen, die aber mit 15 Jahren Haft bestraft werden. Die allgemeine Lage wird sich zuspitzen. Durch das dichte Zusammenleben der Menschen kann sich das Virus natürlich schneller multiplizieren. Ob die ärztliche Versorgung ausreichend sein wird, sei dahingestellt. Staatliche Gebäude werden in Notkrankenhäuser umfunktioniert.
Vereinzelt werden Temperaturmessungen auf den Highways am Ortsein- und -ausgang durchgeführt, einzelne Gemeinden verweigern den Zugang von nicht Ortsansässigen. Die Strände sind abgesperrt und Schulen für einen Monat dicht. Bis 30. April ist „Stay at Home“angesagt.
Bleibt abzuwarten, wie sich das Ganze hier und weltweit entwickelt. In Mexiko wird prognostiziert, dass sich ab Juni die Lage wieder etwas entspannt. Nun gibt es erst mal viel Zeit zum Reparieren von Tauchausrüstung, Wohnung Renovieren etc.“