Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Damit Menschenrechte nicht in der Ägäis ertrinken
Romy Bornscheuer gründet „Europeans for Humanity“– Die Lindauerin setzt sich für Flüchtlinge ein
LINDAU - Romy Bornscheuer packt an, wo Hilfe benötigt wird. Die 21-jährige Lindauerin rettet Bootsflüchtlinge vor der griechischen Insel Lesbos aus dem Meer und hilft in Flüchtlingscamps an der syrischen Grenze. Jetzt hat die Medizinstudentin die Bewegung „Europeans for Humanity“gegründet, um auf die dramatische Lage in den Flüchtlingcamps von Griechenland aufmerksam zu machen – auch und gerade in Zeiten der Corona-Krise.
Nach dem Abitur arbeitet die Lindauerin zunächst für eine griechische Hilfsorganisation auf Lesbos, später als Freiwillige in Athen (die LZ berichtete). Was sie in Griechenland gesehen hat, wird sie ihr Leben lang begleiten: Menschen, die Jahre in kleinen Containern hausen, unter schlimmen hygienischen Verhältnissen, zum Warten und Nichtstun verdammt. Kinder, denen es an vielem fehlt – auch an Bildung, weil sie nie eine Schule besucht haben. Was sich die Lindauerin damals noch nicht vorstellen konnte: Es sollte noch viel schlimmer kommen.
Um den Menschen noch besser helfen zu können, studiert die Lindauerin Medizin in Riga (Lettland). Inzwischen ist sie im fünften Semester, hat ihr Physikum geschafft. Doch Lesbos lässt die junge Frau nicht los. Ihre Freundin Magdalena Gartner, eine Sozialarbeiterin aus Wien, die für eine kleine NGO bis vor kurzem auf Lesbos gearbeitet hat, berichtet von „dramatischen Zuständen“, wie Bornscheuer sagt.
Die Situation spitzte sich zu, nachdem der türkische Präsident Erdogan angekündigt hatte, die Grenze zu öffnen. Seitdem patrouillierten rechtsextreme Schlägertrupps über die Insel. Sie haben es auf alle abgesehen, die ihrer Meinung nach nicht auf die Insel gehören: Migranten, Journalisten und ehrenamtliche Helfer. „Sie verprügeln sie“, sagt Romy. Ankommende Flüchtlinge würden einfach ins Wasser geworfen. Ihre Freundin musste sich im Keller im Norden der Insel verstecken. „Ihr ist körperlich nichts passiert, aber sie war traumatisiert“, sagt Bornscheuer. Die Folgen sind fatal: Viele Hilfsorganisationen ziehen ihre Mitarbeiter ab, da Lesbos zu gefährlich wird.
Die Not der Flüchtlinge im hoffnungslos überfüllten Lager Moria wird noch größer.
Inzwischen ist auch Magdalena Gartner wieder Zuhause in Wien. Romy Bornscheuer wollte eigentlich vor einer Woche nach Griechenland fliegen, doch Corona machte alle Pläne zunichte. Untätig sind die beiden Frauen aber nicht. „Wir wollen der Welt erzählen, was da passiert“, sagt die Lindauerin. Deshalb habe sie mit ihrer Freundin „spontan“das Netzwerk „Europeans for Humanity“gegründet. „In zwei Tagen hatten wir schon 70 Freiwillige“, freut sie sich. Innerhalb kürzester Zeit habe EFH drei Events organisiert, mehrere Social-Media-Kampagnen gestartet und über 30 000 Menschen erreicht, so die 21-Jährige. Auch Prominente seien dabei, wie Jan Böhmermann und die Moderatoren Joachim „Joko“Winterscheidt und Klaas HeuferUmlauf. Für den 9. April ist eine große Online-Talkshow geplant mit Vertretern verschiedener Hilfsorganisatoren und Politikern, moderiert von den beiden Frauen. Der Titel: „Die europäischen Werte und Menschenrechte ertrinken in der griechischen Ägäis.“
Es sei höchste Zeit zu handeln, berichtet Romy Bornscheuer. Niemand darf das hoffnungslos überfüllte Lager, in dem Krätze und TBC grassieren, verlassen. Es gebe kaum Wasser und Essen reiche nur für 2000 Menschen. In Moria leben aber 22 000 – unter menschenunwürdigen Bedingungen. „Die Unruhen nehmen zu, es gilt das Recht des Stärkeren“, weiß die Studentin. Offiziell gebe es in dem Lager noch keine Corona-Kranken,
aber: „Es gibt auch keine Tests.“Sicher ist nur: Wenn das Virus hier ankommt, dann wird es nicht zu stoppen sein. „Davor kann man nicht einfach die Augen schließen“, sagt Bornscheuer.
Sie fordert daher im Namen von EFH, Kinder und Kranke sofort von der Insel zu holen und „schnell zu verteilen“. Langfristig sollten alle Flüchtlinge auf ganz Europa verteilt werden. Auch Deutschland sei in der Pflicht. Die 21-Jährige ärgert sich, dass Horst Seehofer erst den Beschluss der Europäischen Kommission abwarten wolle. „Es ist frustrierend, wenn man gegen große Windmühlen ankämpft“, sagt sie. Es gebe zwar einige Politiker, die sie unterstützten, aber die meisten der großen Parteien „fokussieren sich auf die Corona-Krise“. Dabei sei es auch aus wirtschaftlichen Gründen sinnvoll, die Menschen aus Moria rauszuholen. Schließlich könnten die jungen Flüchtlinge dann auch in Deutschland mitanpacken.
Anpacken, das will Romy Bornscheuer auch in Lindau. Dort ist sie inzwischen wieder angekommen, nachdem sie Riga wegen des Coronavirus verlassen musste. Die Medizinstudentin hat sich beim Lindauer Gesundheitsamt gemeldet und wird nun im neu errichten Corona-Zelt vor dem Krankenhaus arbeiten.