Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
500 Kilometer in Isolation
Zielort Italien – Wie ein Fernfahrer aus dem Raum Wangen die Coronakrise erlebt
WANGEN - Rund 500 Kilometer legt Thomas Fischer (Name von der Redaktion geändert) am Tag zurück. Der Fernfahrer startet im Kanton St. Gallen. Sein Ziel: Modena, eine Provinz in Italien, die als Hochburg in Europa für die Herstellung von Fliesen gilt. Er durchquert die Schweiz Richtung Milano/Bolonga. Immer die selbe Route, fünf Tage am Stück.
Auch in Zeiten von Corona läuft der Warentransport. Lastwagenfahrer sind auch weiterhin über die Grenzen unterwegs. Zum Zeitpunkt des Gesprächs ist Fischer, der seinen richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, gerade Zuhause in der Nähe von Wangen. Morgen soll es wieder in Richtung Italien gehen.
Welche Firmen er dort mit seinem Sattelschlepper anfahren wird, weiß er noch nicht. „Wir sind gerade am schauen.“Der Grund: Viele, der italienischen Firmen haben wegen des Coronavirus ihre Produktionen eingeschränkt. Nur in bei wenigen Unternehmen kann Fischer noch etwas abholen. „Es ist gerade sehr schwierig.“
Seit über 20 Jahren fährt Fischer mehrmals die Woche mit seinem Sattelschlepper nach Italien, um dort Fliesen abzuholen und sie in die Schweiz zu bringen. Die Herstellerfirmen variieren: „Ich hole mal dort drei Tonnen. Und dann von jemand anderem vier Tonnen.“Man kennt sich auf der Strecke, das soziale Leben beschränkt sich für Fernfahrer während ihrer Touren auf diese Kontakte. Nun aber hat sich die Arbeit verändert. Denn auch Fischer befindet sich auf seiner Fahrt in Isolation.
Die Straßen sind leergefegt, zu Staus kommt es nur noch selten. „Lediglich die Lastwagen fahren.“Die Angst vor dem Virus ist überall zu spüren. Italiener seinen so gut wie keine mehr auf den Straßen unterwegs. Nur an den Grenzen staue sich der Verkehr manchmal, wenn Fischer durch den Zoll muss. Extrakontrollen wegen Corona muss er nicht passieren.
Angst davor nicht mehr in Deutschland einreisen zu dürfen, hat Fischer nicht. „Wir kommen immer zurück.“Der Warentransport fließt. „Da gibt es keine Einschränkungen.“Gebaut werde nach wie vor. Und die Termine auf den Baustellen müssen eingehalten werden. „Aufträge sind noch genügend da.“
Fliesen nach Italien bringt Fischer allerdings keine mehr. „Wir fahren leer runter“, sagt Fischer. Die Bauunternehmen, die die Fliesen in Italien abnehmen, arbeiten nicht mehr. Und auch in den kleinen Trattorien, in die Fischer normalerweise nach Feierabend oder während der Fahrt einkehrt, brennt derzeit kein Licht mehr. „In Italien kann man sich noch ein Brioche, so ein süßes Stückle, holen und einen Kaffee“, sagt Fischer. Essen muss er allerdings draußen, denn auch in der Raststätte, darf man sich nur noch solange aufhalten, wie nötig. „Ansonsten ist alles dicht.“Jedes Restaurant, jeder Imbiss, jede Bar geschlossen.
Das soziale Leben, dass auf Fischers Fahrten normalerweise stattfand, gibt es nicht mehr. Auch er befindet sich in einer Art Selbstquarantäne, nur eben nicht in einer 80 Quadratmeter großen Wohnung, sondern in der Fahrerkabine seines Lastwagens. Stehhöhe 2,20, zwei kleine Betten, Radio, Fernseher, Kühlschrank, Gaskocher. Normalerweise trifft er zahlreiche bekannte Gesichter auf seinen Fahrten. „In 26 Jahren lernt man ziemlich viele Leute kennen.“
Nun gibt es keine Gespräche mehr auf den Rastplätzen oder in Restaurants. Jeder hält Abstand. „Das ist eigentlich das Schlimmste für uns“, sagt Fischer. Man geht zum Schlafen in die kleine Kabine, niemand trifft sich mehr nach Feierabend. Ein sehr ungewohntes Gefühl. Vor allem weil Fischer sich selbst als sehr geselligen Menschen beschreibt. Als jemanden, der gerne mit den Italienern Abends zusammensitzt und eigentlich Leute um sich herum braucht.
„Da muss man jetzt einfach zurückstecken“, sagt Fischer. Er lese viel, schaue Fernsehen oder höre Radio. Normalerweise benutzt er den Fernseher in seiner Fahrerkabine so gut wie nie. Für die Hygiene ist auf jeden Fall gesorgt: Die Duschen sind an den Raststätten in Italien alle noch geöffnet. Nur Essen in Restaurants gebe es eben im Moment nicht mehr. Trotz der Angst vor dem Virus, die sich wie ein Strick um das Land gelegt hat, seien die Einheimischen auch zu Ausländern immer noch sehr freundlich. Vielleicht sogar noch freundlicher als vor dem Virus. „Die Leute sind netter den je“, sagt Fischer. Zuvorkommende, höflich aber eben mit Abstand. Gearbeitet werde nur mit Mundschutz und Handschuhen. „Desinfektionsmittel gibt es überall“, sagt Fischer. Die Deutschen, findet der Fernfahrer, sollten sich davon einen Scheibe abschneiden. Dass er selbst krank wird, fürchtet Huber nicht. „Ich habe meine Schutzausrüstung dabei.“Von dem Unternehmen, bei dem er arbeitet, bekommt er Mundschutz, Einweghandschuhe, Desinfektionsmittel. Wenn er die Fliesen abliefert, hält er Sicherheitsabstand. „Wer einen Auftrag anmelden will, darf nur alleine das Büro betreten“, sagt Huber. „Früher standen wir da zu zehnt drin.“Eine Sicherheitsfirma achtet darauf, dass die Regeln eingehalten werden. Fünf Tage die Woche ist er mit seinem Sattelschlepper unterwegs bevor er wieder nach Hause kommt. „Während dieser Zeit bin ich quasi Selbstversorger“, sagt er und lacht kurz auf. Seinen Gaskocher benutze er aber nur, um sich einen Kaffee zu brühen. Er kocht selber nicht auf der Strecke - das habe auch das Virus nicht verändert. Weil er nicht mehr in die Restaurants kann, lebt er momentan über aus dem Kühlschrank in seiner Fahrerkabine.
Der Fernfahrer freut sich, dass wenigstens noch die Bäume auf seiner Fahrtstrecke anfangen zu blühen. „Ansonsten gibt es wenig schönes in der derzeitigen Situation.“Die Arbeit ist da, aber der Job der Fischer früher so viel Spaß gemacht hat, ist zur Zeit eben nur noch ein Job, der gemacht werden muss.