Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Kein Anti-Doping-Programm

Kaum Kontrollen in Corona-Zeiten – Leichtathl­etik-Präsident warnt

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HAMBURG (SID/dpa) - Im Zuge der Corona-Krise kollabiert das weltweite Anti-Doping-System. Betrüger könnten auf dem Weg zu den Olympische­n Spielen in Tokio im Sommer 2021 die Gewinner sein. Sebastian Coe hat als Chef des Leichtathl­etikWeltve­rbandes Sportbetrü­ger allerdings davor gewarnt, die Krise als Schlupfloc­h für Doping zu nutzen.

Niemand da, der um 6 Uhr morgens oder spätabends an der Tür klingelt. Der unter Aufsicht eine Urinprobe fordert. Oder Blut abzapft, um es im Labor auf verbotene Substanzen prüfen zu lassen. In Zeiten von Corona kommt der Anti-Doping-Kampf im Sport zum Erliegen. Und so wächst die Sorge: Werden womöglich die Betrüger zu den großen „Gewinnern“in dieser Krise?

„Es wäre ja lächerlich, wenn ich sagen würde, dass dies keinen Einfluss haben wird. Ich denke, das wissen wir alle“, sagte Sebastian Coe, Präsident des Leichtathl­etik-Weltverban­des, der ARD-Dopingreda­ktion. Ganz hilflos seien die Jäger trotz der Ausgangssp­erren in vielen Ländern aber nicht, meinte der Brite: „Kein Sportler sollte zu dem Schluss kommen, dass er sich in einer Testsperrz­one befindet, das ist nicht der Fall. Wir werden sie erwischen!“Olivier Niggli, der Generaldir­ektor der Welt-Anti-Doping-Agentur, sieht das ähnlich und verweist auf vielfältig­e Möglichkei­ten: „Anti-Doping ist nicht nur Testen. Es gibt viele Mittel, etwa den biologisch­en Athletenpa­ss, der einen Überblick über Jahre gibt und sicher von Interesse sein könnte, wenn es Lücken gibt ohne Dopingkont­rollen.“Momentan stehe jedoch die Gesundheit der Athleten und Kontrolleu­re an erster Stelle.

Die Experten wissen, dass der Dopingbetr­ug vor allem in der wettkampff­reien Zeit Hochkonjun­ktur hat. Und in der Szene wird zudem befürchtet, dass Athleten die jetzige

Phase, in der nicht so genau hingeschau­t werden kann, dazu nutzen könnten, um neue Substanzen oder Methoden auszuprobi­eren. Die unabhängig­e Integrität­skommissio­n AIU des Leichtathl­etik-Weltverban­des geht jedenfalls davon aus, dass ihr Kampf gegen Doping durch die Pandemie „stark gestört“wird.

Während in China das System wieder anlaufen sollte, wird in Russland jetzt mindestens bis Ende April nicht getestet. Auch in Kanada oder Spanien sind Kontrollen ausgesetzt, um die Inspekteur­e und Sportler nicht der Gefahr auszusetze­n, sich anstecken zu können. Norwegen, die USA, Österreich, Kenia, Südafrika, Kamerun oder die Schweiz bestätigte­n der ARD-Dopingreda­ktion, dass ihre Kontrollsy­steme – wenn überhaupt – nur noch stark eingeschrä­nkt funktionie­ren.

Die Nationale Anti-Doping-Agentur musste die Kontrollen in Deutschlan­d gegen Null zurückfahr­en und „forciert nun bereits angestoßen­e Forschungs­projekte, die als Ergänzung zu klassische­n Dopingkont­rollen gelten“, wie es in einer Mitteilung heißt. Dabei könnte sich ein Athlet mit einem kleinen Piks unter Video-Liveüberwa­chung etwa selber etwas Blut abnehmen, dieser wird auf einem speziellen Papier getrocknet und per versiegelt­em Umschlag in ein Labor geschickt. Doch ob dieses Verfahren wirklich manipulati­onssicher ist?

Klar ist, dass viele Athleten, die im Sommer noch wegen Dopings gesperrt gewesen wären, nächstes Jahr in Tokio nach dem Ablauf ihres Banns bei den Olympische­n Spielen am Start sein könnten. „Es ist vor allem für Sportler, die in der zweiten Reihe stehen, die Chance, sich über eine gewisse, wahrschein­lich recht lange Zeit mit unrechtmäß­igen Mitteln in die erste Linie vorzupushe­n“, sagte Anti-Doping-Experte Fritz Sörgel der Deutschen Welle.

 ?? FOTO: PETER KNEFFEL/DPA ?? Anti-Doping-Kontrollen bei Spitzenspo­rtlern, hier zwei Glasflasch­en mit Urin für die A- und B-Probe, finden derzeit kaum noch statt.
FOTO: PETER KNEFFEL/DPA Anti-Doping-Kontrollen bei Spitzenspo­rtlern, hier zwei Glasflasch­en mit Urin für die A- und B-Probe, finden derzeit kaum noch statt.

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