Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
„Jede Krise birgt auch Chancen“
Unter der neuen Rubrik „Mutmacher - Gedanken zur Corona“veröffentlicht die „Schwäbische Zeitung“in den kommenden Wochen Beiträge von bekannten Menschen aus Leutkirch, Isny und Bad Wurzach. Folgender Text stammt von Stadtrat und Brauereibesitzer Gottfried Härle:
Oft kann man in diesen Tagen die Meinung hören, ob von Freunden, Bekannten oder Politikern: Nach der Corona-Krise wird vieles anders als vorher. Nicht selten schwingt dabei die Befürchtung mit, dass die Pandemie unsere lieb gewonnenen Lebensgewohnheiten in Frage stellt oder unseren wirtschaftlichen Wohlstand gefährdet. Viel zu wenig wird aber bisher darüber nachgedacht, wie aufgrund der persönlichen aber auch gesellschaftlichen Erfahrungen in den letzten Wochen neue, positive Veränderungen entstehen könnten, die die Zeit nach Corona nachhaltig prägen.
So könnte sich mancher die Frage stellen, ob das Ausmaß an Mobilität, an das wir uns in den letzten Jahren gewöhnt haben, tatsächlich unsere Lebensqualität steigert. Sind tatsächlich zwei oder drei Billigflüge pro Jahr oder die Kreuzfahrt-Weltreise das Maß aller Dinge? Lassen sich manche geschäftlichen Termine nicht durch Video-Konferenzen ersetzen? Macht es wirklich Sinn, die Globalisierung und den weltumspannenden Güterverkehr bis ins Ultimo zu steigern?
Besonders im Bereich der Wirtschaft wird es darauf ankommen, wie wir den Wiederaufschwung nach der Corona-Rezession gestalten: weiter so wie bisher – oder stattdessen ökologischer, nachhaltiger und sozial gerechter. Denn eines ist sicher: Die Klimakrise wird noch lange andauern und sich auch noch verschärfen, wenn die Welt die Pandemie längst überwunden hat. Die Folgen dieser Krise sind für uns derzeit vielleicht nicht derart akut wie bei Corona, für das langfristige menschliche Überleben aber weitaus gefährlicher. Hier werden keine Impfstoffe helfen und keine Medikamente, sondern nur die umfassende Transformation unseres Wirtschaftssystems. Und eben genau dazu sollten die massiven staatlichen Hilfspakete genutzt werden, die in den letzten Wochen geschnürt wurden.
Eine weitere Erfahrung aus den letzten Tagen und Wochen könnte positive Spuren hinterlassen: die Erfahrung von Solidarität. Spontane Hilfsangebote für betagte Nachbarn, Gutschein-Aktionen für in Not geratene Einzelhändler und Gastronomen, Bonus-Zahlungen für Pflegekräfte und Mitarbeiter in Ladengeschäften - all dies zeigt, dass für die meisten von uns gegenseitige Hilfe und Unterstützung von hoher Bedeutung sind. Umso wichtiger wird es sein, dass diese Erfahrung auch in der Nach-Corona-Zeit wirksam und lebendig bleibt – im persönlichen Umgang miteinander ebenso wie im gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Leben. Dazu gehört die Aufnahme von Kindern aus den griechischen Flüchtlingslagern genauso wie die Unterstützung unserer südlichen Nachbarländer bei der Bewältigung der Folgen der aktuellen Krise.
Gelingen diese positiven Veränderungen in den nächsten Monaten und Jahren, dann gilt auch nach Corona die alt bekannte Erkenntnis: Jede Krise birgt auch Chancen. Gottfried Härle, Leutkirch