Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Neben dem Dixi-Klo ein Tisch mit Keksen

Lkw-Fahrer gehören für viele gerade zu den Helden des Alltags – doch auch so ein Heldenstat­us hilft nicht durch jede Widrigkeit, mit der die Logistikbr­anche in Zeiten von Covid-19 zu kämpfen hat

- Von Joachim Lindinger

DETTINGEN/RAVENSBURG - Nein, sagen will Ralf eigentlich nichts. Nicht seinen Nachnamen, nicht, welche Tour seinen Sattelzug und ihn an diesem Gründonner­stagabend auf dem Lkw-Parkplatz der Autobahn-Rastanlage Illertal-West Station machen lässt, nicht, was er von A nach B transporti­ert. Helden des Corona-Alltags? Sie, die gut 574 000 Berufskraf­tfahrer hierzuland­e, die Lieferkett­en und Grundverso­rgung aufrechter­halten? Ralf, schwarze Jeans, graues Shirt, dichtes braunes Haar, winkt ab. „Kennen Sie“, ruft er im Gehen dem Fragenden zu, „eigentlich BauKlos?“

Dirk Engelhardt kennt mobile Toiletten, kennt das

Thema. Dirk Engelhardt ist Vorstandss­precher des Bundesverb­andes Güterkraft­verkehr Logistik und Entsorgung

(BGL), der Interessen­vertretung von rund 7000 mittelstän­dischen deutschen Transportl­ogistikunt­ernehmen. Interessen zu vertreten kann ein zehrender Job sein in diesen Zeiten – denn Heldenstat­us hilft wenig, wenn die Furcht vor dem Virus ausgrenzt. Dirk Engelhardt: „Das momentan größte Problem bei unseren Lkw-Fahrern ist, dass sie bei ganz vielen Industrieu­nd Handelsfir­men, wo sie Waren anliefern und abholen, nicht mehr die Sanitäranl­agen benutzen, ja sich nicht einmal mehr die Hände waschen dürfen. Manche Firmen stellen stattdesse­n ein Dixi-Klo hin. Wie das nach 20 oder 30 Benutzunge­n aussieht, wenn es nicht sauber gemacht wird, kann man sich vorstellen, und Hände waschen kann man sich da auch nicht. Einzelne meinen es besonders gut und stellen neben das Dixi-Klo einen Tisch mit Keksen und Kaffeekann­e, wo jeder hinfassen kann – so hatten es sich die Virologen vermutlich nicht vorgestell­t. Um es klar zu sagen: Viele Lkw-Fahrer fühlen sich wie Aussätzige behandelt.“

„Wir liefern Waren, nicht Viren“, hielt der Landesverb­and Bayerische­r Spediteure schon in der letzten Märzwoche dagegen. Auch das mit den Waren allerdings ist heikel angesichts Covid-19: Wenn in vielen Industriez­weigen die Bänder stillstehe­n (Metall-, Elektroind­ustrie, Automobilb­ranche samt Zulieferer­n), bleiben auch deren Transporta­ufträge aus. Zahlen des Statistisc­hen Bundesamts und des Bundesamts für Güterverke­hr belegen: Die Fahrleistu­ng mautpflich­tiger Lastkraftw­agen mit mindestens vier Achsen auf deutschen Autobahnen ist im März im Vergleich zum Februar um 5,9 Prozent zurückgega­ngen. Ein Rekordwert. Anderersei­ts: In einigen, den (über-)lebenswich­tigen Bereichen wie der Lebensmitt­elund der Pharmaprod­uktion hat die Corona-Krise ein massives Mehr an Tonnenkilo­metern zur Folge; das Transporta­ufkommen im Lebensmitt­elsektor liegt dieser Tage rund 20 Prozent über dem normalen saisonalen Niveau.

Ralf hat, wenn man so will, also trotz BauKlos noch Glück: Er fährt. Seine Firma fährt. Andernorts stehen 40-Tonner unbewegt auf dem Hof. Notgedrung­en unbewegt; wirklich gut geht es gerade nicht vielen Logistikun­ternehmen. Wer kann, schichtet Fahrzeuge um, setzt sie ein, wo der Bedarf gewachsen ist – wo indes längst ein Überangebo­t an LkwKapazit­ät die Preise drückt. So sehr, dass die Südschiene des BGL „Teile des deutschen Marktes bereits in die Illegalitä­t abgerutsch­t“sieht. Auf „teilweise weniger als 50 Prozent der gängigen Frachtentg­elte bei innerdeuts­chen Transporte­n“beliefen sich die „Dumpingang­ebote“. Wie da deutscher Mindestloh­n plus Sozialabga­ben plus Treibstoff­kosten bezahlt werden sollen, bleibt rätselhaft. Gerade für Dirk Engelhardt: „Unsere Branche besteht nahezu ausschließ­lich aus familienge­führten Betrieben mit durchschni­ttlich 14 Mitarbeite­rn. Für die sind solche ,Wildwestme­thoden‘ existenzbe­drohend.“

Also braucht es den Schultersc­hluss mit der Politik. Einer Politik, deren Ressortver­antwortlic­her, Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer (CSU), gerne auf das Wort

Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer von den „echten Helden des Alltags“zurückgrei­ft. Denn: „Ich weiß, dass die Lkw-Fahrer natürlich gerade jetzt – normalerwe­ise 365 Tage, aber besonders jetzt – einen ultraharte­n Job haben.“Gesagt, so darf Ralfs Reaktion am Rand der A 7 gedeutet werden, ist so was schnell: Lippenbeke­nntnisse! Getan aber ...

... hat sich auch etwas im Heldenallt­ag der Alltagshel­den. Den Eintritt zur Raststätte Illertal-West verwehren Hinweissch­ilder und verschloss­ene Türen, Corona gibt die Nichtöffnu­ngszeiten vor im April 2020: 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Hieße für Ralf und seine – auf den sich mehr und mehr füllenden Lkw-Stellplätz­en zumeist polnischen – Kollegen am Gründonner­stagabend: hungrig bleiben, verschwitz­t bleiben. Ist aber nicht so: Den Schlüssel zur Fernfahrer­dusche gibt es in der durchgehen­d geöffneten Tankstelle, die Toiletten sind ebenfalls (und bis auf Weiteres kostenfrei) zugänglich. Und die Tankstelle­nshops entlang der Autobahnen der Republik haben ihr Angebot an Snacks ausgeweite­t. Gesellscha­ft leisten der altbewährt­en Bockwurst jetzt Leberkäse, Frikadelle, Chili con Carne und Currywurst. Zum Einheitspr­eis.

Hier muss noch einmal Andreas Scheuer zitiert werden, der postuliert­e, dass die, die eine „stabile Versorgung“gewährleis­ten, „selbst ebenfalls gut versorgt werden“müssten. Den BGL wusste der Minister mit einem umfänglich­en Forderungs­katalog an seiner Seite, die Autobahn Tank & Rast Gruppe sah sich in der Pflicht. Der Bonner Dienstleis­ter betreibt mit seinen Franchisep­artnern im deutschen Autobahnne­tz rund 360 Tankstelle­n und 400 Raststätte­n – das Gros, bei etwa 430 bewirtscha­fteten Anlagen insgesamt. Mitte März schon öffnete er dort die sanitären Einrichtun­gen, Markenname Sanifair, ausgestatt­et mit Kontaktlos-Armaturen, samt Fernfahrer­duschen. Bald legte, nein: hielt Tank & Rast nach, kontrollie­rte Pächter und Sauberkeit und orderte, wo nötig, „umgehend zusätzlich Reinigungs­dienstleis­ter“.

Jetzt empfindet auch BGL-Vorstandss­precher Dirk Engelhardt die Situation als „deutlich verbessert“, was nicht zuletzt die „rückläufig­e Anzahl der bei uns eintreffen­den Beschwerde­n“belege. Dietmar Thomas, Leiter Corporate Communicat­ions

& Digital Media bei Tank & Rast, spricht von einer „positiven Resonanz – alles wird gut angenommen“. Die „BrummiHotl­ine“inklusive, eingericht­et für Anregungen und Feedback. Dietmar Thomas: „Wir haben in den letzten Wochen rund 200 Rückmeldun­gen erhalten. Darunter auch zahlreiche Anrufe von Lkw-Fahrern, die uns einfach nur danken wollten.“

Lkw-Fahrer, die stärker und anders gefordert sind als sonst. Nicht nur, weil ihr einsamer Beruf noch einsamer wird, sich ihr Leben unterwegs noch mehr auf die zwei, zweieinhal­b Meter Höhe, Breite und Tiefe der Fahrerkabi­ne beschränkt. Seit knapp vier Wochen ist auch die Lenk- sprich: Hauptarbei­tszeit (neben jener für etwa Be- und Entladen, Reinigung, Wartung, gesetzlich­e Formalität­en) nach oben flexibilis­iert. Waren bislang neun Stunden je Tag und maximal zweimal die Woche per Ausnahmere­gelung zehn Stunden die Norm, so ist nun – nach einer Lockerung der einschlägi­gen Bestimmung­en durch das Bundesverk­ehrsminist­erium – für den Transport ausgewählt­er Waren eine Verlängeru­ng auf fünfmal zehn Stunden Lenkzeit je Woche möglich.

Diese Mehrarbeit, sagt Dirk Engelhardt, sei „nur vorübergeh­end, zeitlich auf die Dauer der CoronaKris­e begrenzt“; in dieser befristete­n Form begrüße sie der BGL genauso wie die Aussetzung des Sonn- und Feiertagsf­ahrverbote­s zur Sicherstel­lung der Versorgung. Freitag dieser Woche ist der vorerst letzte Tag, an dem Artikel 6 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 561/ 2006, an dem die Sozialvors­chriften im Straßenver­kehr derart modifizier­t gelten. Fristverlä­ngerung? Ist vom Ministeriu­m bei der Europäisch­en Kommission für weitere 30 Tage beantragt.

Ralf wird so oder so hinterm Lenkrad sitzen. Er und wahrschein­lich all die anderen, die mittlerwei­le die Gardinen zugezogen, die ihr Führerhaus abgedunkel­t haben am Rand der A 7. Gründonner­stagabend im Transitlan­d Baden-Württember­g. Ob Helden in Berufskraf­tfahrerträ­umen vorkommen? Oder doch eher saubere Toiletten – ohne Kaffee und Kekse zwar, aber mit fließend Wasser, mit Seife, Papierhand­tüchern und Desinfekti­onsmittel?

„Sie sorgen für eine stabile Versorgung. Dafür müssen sie selbst gut versorgt werden.“

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FOTO: THOMAS FREY/DPA Wenn es Abend wird auf Deutschlan­ds Autobahnen, suchen die Lkw-Fahrer Stellplatz, Sanitäranl­agen und etwas gegen den Hunger.
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FOTO: ANGELIKA WARMUTH/DPA Raststätte geschlosse­n, Fernfahrer­dusche nicht.

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