Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Litti wird 60 und leidet
Spaßvogel und Weltmeister – Pierre Littbarski feiert Geburtstag und vermisst den Fußball
WOLFSBURG (SID/dpa/sz) - Serien wie „Desperate Housewives“und „Sex and the City“sorgen für ein bisschen Unterhaltung, auch „24“, „Stranger Things“und natürlich jede Menge Comedy laufen bei Pierre Littbarski. „Humor in diesen Tagen kann nicht schaden“, sagt die Fußball-Ikone. Aber das Wahre ist das für den Weltmeister von 1990 natürlich nicht.
Und deshalb wünscht sich Litti zu seinem 60. Geburtstag an diesem Donnerstag vor allem eines: Dass der Ball bald wieder rollen möge. Er „vermisse den Fußball“, sagt der einstige Dribbelkünstler: „Ich habe jetzt erst gemerkt, wie viel Platz der Fußball in meinem Leben einnimmt, auch jetzt noch in meinem hohen Alter. Ein bisschen kann ich es noch aushalten, aber so langsam sollte es mal wieder losgehen.“
Doch während die Corona-Krise die Bundesliga gehörig durcheinanderwirbelt, muss Littbarski seine Pläne für seinen Geburtstag kaum ändern. Auf eine große Party steht dem Spaßvogel ohnehin nicht der Sinn, stattdessen macht er es sich mit seiner zweiten Ehefrau Hitomi sowie den Söhnen Lucien und Joel gemütlich. „Auf eine große Sause, wie ich sie noch zu meinem 30. geschmissen habe, als Olaf Janßen und ich auf der Bühne zusammen gesungen haben, verspüre ich tatsächlich nicht die große Lust“, sagt Littbarski: „Wir bleiben zu Hause, meine Frau kocht etwas Gutes. Der Geburtstag würde ohne Corona aber auch nicht anders ausfallen, außer dass wir dann Essen gehen würden.“
Japan ist ja so etwas wie die zweite Heimat von Littbarski, der in der Bundesliga ausschließlich für den 1. FC Köln (1978 bis 1986 und 1987 bis 1993) im Mittelfeld zauberte – und dort wird einem Geburtstag nicht so viel Bedeutung beigemessen. Ohnehin steht der einstige Weltenbummler nicht mehr gerne im Vordergrund, wichtig ist ihm jetzt die Familie. Deshalb strebt Littbarski auch keine Rückkehr auf die Trainerbank an. „Ich habe immer das gemacht, was ich gerade angeboten bekam. Und ich habe dabei immer viel Spaß gehabt“, sagte er: „Ich glaube, jetzt sind die Kinder dran. Außerdem wäre ein neuer Trainerjob mit Stress verbunden, das passt momentan einfach nicht in mein Leben“, sagt Littbarski, der Markenbotschafter des VfL Wolfsburg ist und dessen Sohn Lucien in der U17 der Wölfe spielt.
Und der Sohnemann hat offenbar das Talent des Vaters geerbt, jedenfalls hat Littbarski noch einen zweiten Wunsch zu seinem Geburtstag: Eine Revanche im Hin- und Herschießen. „Das ist eine alte Tradition aus Berlin. Da hat er mich dreimal hintereinander auseinandergenommen mit der Aussage 'Junge, Deine Zeit ist vorbei'“, erzählt der gebürtige Berliner: „Jetzt würde ich ihn gerne nochmal vom Platz fegen.“
Wie gut der Papa einmal war, weiß Lucien vielleicht gar nicht. Die großen Spiele von einst gehören jedenfalls nicht zum TV-Programm im Hause Littbarski. Insgesamt nahm er mit drei völlig verschiedenen Mannschaften an drei Weltmeisterschaften teil – und erreichte drei Mal das Finale (1982, 1986, 1990). Der brasilianische Weltmeister-Trainer Luiz Felipe Scolari sagte sogar einmal zu ihm: „Du bist kein Deutscher. Du bist ein Brasilianer. Schau dir nur an, wie du Fußball gespielt hast.“
Dennoch ging Littbarski nach der aktiven Karriere nie den Weg eines Rudi Völler oder Lothar Matthäus – sie alle sind ein Jahrgang. Matthäus wurde noch Weltfußballer, Völler sogar
Bundestrainer. „Wenn man unsere Karrieren sieht, bin ich bei Matthäus und Völler ein bisschen neidisch. Zu denen schaue ich auf“, sagt Litti sogar. Er selbst war trotz seiner überragenden Technik immer der Spaßvogel, der auch das Abenteuer suchte und als Pionier in die Japanische Liga wechselte. Deshalb hat Littbarski auch eher einen Wunsch für den 70. als zum 60. Geburtstag: „Wenn ich es mir aussuchen könnte, würde ich dann gern zwischen Deutschland, Australien und Japan pendeln.“
Seinen größten Moment, das WM-Finale von 1990 hat Littbarski nach eigener Aussage „bis heute“nicht wieder gesehen. „Ich lebe in der Gegenwart“, sagt er: „Außerdem kann ich diese alten Konserven zu Hause auch gar nicht anmachen, dann kriegt mein Sohn die Krise“, sagt Littbarski: „Und wenn der Papa aus einer Zeit erzählt, wo es alles nach Zeitlupe aussah, da hat er nicht so viel Bock drauf. Ich selbst gucke das aber auch nicht.“Viel lieber will er den Fußball von heute wieder anschauen.