Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Trumps Slalomlauf durch die Corona-Krise
Warum der US-Präsident wütet und provoziert – und dann doch oft tut, was die Experten sagen
WASHINGTON - Als der Kongress beschloss, jedem erwachsenen Amerikaner einen Scheck über 1200 Dollar zukommen zu lassen, um den finanziellen Absturz der Corona-Krise wenigstens für kurze Zeit abzufedern, machte unter republikanischen Parteifreunden des Präsidenten ein Witz die Runde. Donald Trump, scherzten sie, werde sicher seine Unterschrift auf die Schecks setzen wollen. Kurz darauf, Anfang April, schrieb das „Wall Street Journal“, gut vernetzt in konservativen Kreisen, dass Donald Trump tatsächlich an so etwas denke. Auf einer seiner täglichen Pressekonferenzen danach gefragt, stritt er es ab.
Nun erhalten die Amerikaner tatsächlich sogenannte StimulusSchecks mit dem Namen ihres Präsidenten, der hinter den Kulissen energisch darauf gedrängt haben soll. Dafür soll er, so berichteten es US-Medien, sogar eine Verzögerung bei der Zusendung in Kauf genommen haben, was die Opposition sogleich protestieren ließ.
Der Egotrip im Weißen Haus ist verbunden mit einem permanenten Slalomlauf. Trump ist so flexibel, wie er es seinen Wählern schon vor dem Votum 2016 versprochen hatte. Er lässt Testballons fliegen. Er lotet aus, wie weit er gehen kann. Er bläst aber auch zum Rückzug, wenn er auf anhaltende Gegenwehr stößt.
In der vergangenen Woche drohte er etwa damit, dem Parlament eine Zwangspause zu verordnen. Käme er damit durch, könnte er beispielsweise Bundesrichter einsetzen, ohne dass der Senat sie bestätigten müsste. Ob er das ernst meinte oder nur mit einem Aufreger die Schlagzeilen des Tages beherrschen wollte, bleibt abzuwarten. Im Streit mit den Gouverneuren einzelner Bundesstaaten – allen voran dem enorm populären New Yorker Andrew Cuomo – beanspruchte er „totale Autorität“, wenn über die Rückkehr zur Normalität zu befinden wäre. Trump schwebte der 1. Mai als Tag der „großen Öffnung“vor, landesweit, während Cuomo klarstellte, dass sich in New York bis zum 15. Mai an den Kontaktbeschränkungen nichts ändern werde. Am Donnerstag folgte der Rückzieher. Im Dreistufenplan des Weißen Hauses
– „Opening Up America Again“– ist von totaler Autorität nicht mehr die Rede, dafür von behutsamer, regional gestaffelter Öffnung, ohne konkrete Termine. „Sie entscheiden selbst“, hatte Trump den Gouverneuren zuvor bei einer Videokonferenz gesagt
Nach den neuen Richtlinien kann eine erste Normalisierungsphase beginnen, wenn die Kurve bestätigter Corona-Fälle im jeweiligen Staat über zwei Wochen deutlich flacher geworden ist. Dann kann die Wirtschaft wieder Fahrt aufnehmen, wobei Unternehmen ihre Beschäftigten nach wie vor zur Arbeit im Homeoffice „ermutigen“sollten. Schulen und Kindergärten bleiben geschlossen. Kinos, Restaurants, Gotteshäuser und Fitnesscenter dürfen wieder öffnen, sofern sie „social distancing“sicherstellen. Kneipen nicht. Zugleich
soll vermieden werden, dass mehr als zehn Personen zusammenkommen. In einer zweiten Phase steigt die erlaubte Obergrenze für Menschenansammlungen auf 50, an den Schulen darf wieder unterrichtet werden. In einer dritten fallen nahezu alle Restriktionen weg, auch gefährdete Personen dürfen ihre Wohnungen dann wieder verlassen. Allerdings rät man ihnen, strikt auf die Abstandsregeln zu achten.
Damit hat der Präsident, bei allem Lärm, einmal mehr auf die Virologen seiner Taskforce gehört. Eine Öffnung ab Anfang Mai wäre für weite Teile des Landes „zu optimistisch“, hatte Anthony Fauci, Direktor des Nationalen Instituts für Allergien und Infektionskrankheiten, gewarnt.
Trump in der Krise, es ist eine Lernkurve, wenn auch eine flachere als etwa in Südkorea oder Deutschland
– den beiden Ländern, die liberale Blätter wie „New York Times“oder „Washington Post“als Beispiele für durchdachtes Krisenmanagement anführen. Begonnen hat es mit einer verhängnisvollen Panne. Die Seuchenschutzbehörde CDC entschied sich dafür, einen eigenen Test zu entwickeln, statt einen bereits verfügbaren der Weltgesundheitsorganisation zu nutzen. Der allerdings stellte sich schnell als fehlerhaft heraus, sodass die Experten wochenlang im Dunkeln tappten. Im Februar wurden nur einige Hundert Amerikaner auf das Virus überprüft, während die Zahl der tatsächlich Infizierten wohl schon damals in die Zehntausende ging. Ed Yong, Wissenschaftsjournalist der Zeitschrift „The Atlantic“, nennt es die „Ursünde amerikanischen Pandemie-Versagens“. Während am Mardi Gras in
New Orleans fröhliche Karnevalszüge durch die Straßen zogen, während Studenten in den Spring-Break-Semesterferien an den Stränden Floridas Party feierten, ging wertvolle Zeit verloren. Trump überspielte den Mangel mit Sätzen, die allein auf Wunschdenken beruhten. „Jeder, der einen Test will, bekommt einen Test“, behauptete er noch Anfang März. Inzwischen sind es 3,4 Millionen Amerikaner, die sich testen ließen, seit zwei Wochen ungefähr 140 000 pro Tag. Bei einer Bevölkerung von rund 330 Millionen reicht das noch immer nicht, um die Realität einigermaßen genau abzubilden. Der Präsident, auch das ist ein Aspekt seines Stufenplans, hat die Verantwortung dafür an die lokale Ebene delegiert, nachdem er anfangs noch von einem nationalen Kraftakt gesprochen hatte.
Trump in der Krise, das heißt auch: viele Schuldzuweisungen. Ein konservativer Senator, Josh Hawley aus Missouri, hat einen Gesetzentwurf angekündigt, der es US-Bürgern ermöglichen soll, vor amerikanischen Gerichten die Kommunistische Partei Chinas zu verklagen. Sie habe Whistleblower zum Schweigen gebracht und Informationen über Covid-19 zurückgehalten. Das politische Aktionskomitee „America First Action PAC“, geschaffen, um Trumps Wahlkampf mit Spenden zu unterstützen, steckt zehn Millionen Dollar in eine Werbekampagne in den RustBelt-Staaten Michigan, Pennsylvania und Wisconsin, die dem Rivalen Joe Biden eine fahrlässig weiche Linie gegenüber Peking vorwirft.
Trump in der Krise, das heißt auch kühles Kalkül, bestimmt von dem Wunsch, seine Anhänger bei der Stange zu halten. Nahezu die Hälfte aller bestätigten Infektionen entfällt auf drei Ostküstenstaaten, New York, New Jersey und Massachusetts. Alle drei werden von Demokraten regiert, alle drei sind vergleichsweise dicht besiedelt oder, wie im Falle New Yorks, von einer Megacity dominiert. Dünner besiedelte, ländlich geprägte Staaten dagegen sind bislang glimpflich davongekommen. In aller Regel handelt es sich um Trump-Hochburgen. Was die Rhetorik eines Staatschefs erklärt, der aufs Tempo drückte – bevor er den Fuß vom Gaspedal nahm.