Vogelgezwitscher

Ich brauche gerade keinen Wecker. Die Vögel wecken mich und ich höre sie den ganzen Tag – oft nur als Nebengeräusch. Beim Arbeiten im Büro mit geöffnetem Fenster, im Garten, beim Radfahren. Überall Vogelgezwitscher.

Die Vögel zwitschern, wenn der Tag dämmert. Da ist es noch dunkel und doch erwachen sie als erste. Mich erinnert das an eine Osternacht, die ich einmal nicht spät am Abend, sondern in der Morgendämmerung mitgefeiert habe. Das ist für mich Ostern: Eine Dämmerung, die dem Licht und dem Vogelgezwitscher Raum gibt. Ostern ist aber vor allem eine Dämmerung, die lang dauert, manchmal viel zu lang. Deshalb erinnere ich mich besonders an diesen Satz aus einer Osternacht: „Der Glaube ist ein Vogel, der singt, auch wenn die Nacht noch dunkel ist.“(R. Tagore) Osterdämmerung ist dort, wo Menschen auf einen Hoffnungsschimmer warten und ihn noch nicht greifen können. Sie hören die Vögel zwitschern, auch wenn es dunkel bleibt.

Dann war Corona-Ostern mehr Ostern als wir glauben können! Ostern 2020 war ein Ostern, das keine falschen Sicherheiten vorgab. Nie war der Zweifel so stark und nie die Sehnsucht so groß. Im Abstand, der zwischen uns entstanden ist, ist die Verbundenheit gewachsen. Das ist auch eine religiöse Erfahrung. Ostern heißt doch: Er ist nicht mehr da, er ist vorausgegangen – und der Abstand zu ihm schmerzt. Dennoch taucht er auf: Beim Gang nach Emmaus (Lk 24) und an anderen Orten. Im Abstand scheint er vielen auf einmal näher als zuvor. Heiliger Geist nennen die Jünger/innen diese Verbindung.

Auf die Spur dieses Geistes, der uns unsichtbar verbindet, hätten wir uns heute mit 54 Jugendlichen in der Firmvorbereitung gemacht. Es ist nicht so. Und doch ist er da, dieser Geist, der uns verbindet. Der Glaube – ein Vogel der zwitschert, auch wenn die Nacht noch dunkel ist? Daran glaube ich.

Benjamin Sigg, Pastoralreferent

FOTO: PRIVAT Benjamin Sigg