Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Alpiner Tourismus in der Krise
Niemand weiß, wann wieder Hütten öffnen und Gruppen im Gebirge unterwegs sein dürfen
OBERSTDORF/KEMPTEN - Noch liegt viel Schnee am Allgäuer Hauptkamm. Doch in den Vorbergen würden die ersten Hütten in den nächsten Tagen in die Sommersaison starten. Auch ein Teil der 170 Alpen, die eine Konzession zur Bewirtung von Wanderern und Mountainbikern haben. Wenn die Corona-Krise Wanderern, Hüttenwirten und Bergschulen keinen Strich durch die Rechnung gemacht hätte.
In der Geschäftsstelle des Deutschen Alpenvereins (DAV) in München machen sich die Verantwortlichen seit Wochen Gedanken, wie der kommende Bergsommer aussehen könnte. Ob alpine Kurse wie geplant wieder stattfinden können und ob die Hütten zumindest teilweise wieder öffnen dürfen. „Auf jeden Fall wird das wohl nur mit Hygieneauflagen und Abstandsregelungen möglich sein“, sagt DAV-Pressesprecher Thomas Bucher. Nach seinen Worten soll noch diese Woche eine internationale Arbeitsgruppe Möglichkeiten diskutieren. Denkbar wäre beispielsweise, dass Matratzenlager nicht voll belegt werden dürfen.
Unterschiedliche Konzepte seien auch erforderlich, weil die baulichen
Verhältnisse der Hütten sehr unterschiedlich sind, erläutert Bucher. In alten Unterkunftshäusern mit großen Matratzenlagern sei es viel schwieriger, Gäste auf Abstand zu bewirten als beispielsweise auf dem neu gebauten Waltenbergerhaus in den Oberstdorfer Bergen. Claudia Karlinger, die mit ihrem Mann Markus diese Alpenvereinshütte bewirtet, gibt sich gelassen: „Es ist alles in der Schwebe und wir müssen abwarten,“sagt sie und näht derzeit modische Mund-Nasen-Masken. Bisher hatte sie Stirnbänder einer eigenen Waltenbergerhaus-Kollektion auf der Hütte verkauft.
Gabi Braxmair, die zusammen mit ihrem Mann Martin die Kemptner Hütte bewirtschaftet, hätte normalerweise jetzt mit 14 Saisonarbeitskräften Arbeitsverträge geschlossen. Heuer ist das natürlich nicht der Fall. „Wir haben bisher auch sonst noch keinerlei Vorbereitungen getroffen.“
Verständnis für die derzeitigen Einschränkungen zeigt auch Harald Platz, Vorsitzender der Alpenvereinssektion Allgäu-Kempten. Den Hüttenwirten gehe es wie der gesamten Hotel- und Gastronomiebranche. Das sei für eine Region wie das Allgäu bitter: „Denn wir leben ja alle vom Tourismus.“Platz könnte sich nach eigenen Worten vorstellen, dass die Hütten zu maximal 50 Prozent belegt werden. Der Kemptener Alpenvereins-Geschäftsführer Michael Turobin-Ort hat zwei Szenarien entwickelt: Entweder 30 Prozent Auslastung oder die Hütten bleiben diesen Sommer ganz geschlossen. Für Kletterhallen könnte er sich einen limitierten Betrieb mit Masken vorstellen.
Die Hüttenwirte wären wohl schon sehr zufrieden, wenn sie auf 50 Prozent Auslastung kämen, glaubt Bergführer Andi Tauser, Chef der Alpinschule Oberstdorf. Sämtliche Bergschulen im Allgäu hängen derzeit genauso in der Luft wie der gesamte alpine Tourismus. „Auf jeden Fall bricht uns viel weg“, sagt Tauser. Wie viel? Der Bergführer zuckt mit den Schultern: „Vielleicht 30 oder 50 Prozent des normalen Programms mit 5000 Gästen jährlich. Trotz aller Probleme gebe es immer noch auch positive Signale, sagt Tauser. Beispielsweise die vielen Gäste, die nach seinen Worten „so verständnisvoll reagieren“. Ein Stammgast aus dem Ruhrgebiet habe beispielsweise 2000 Euro Anzahlung überwiesen. Für Touren, die er erst kommenden Sommer machen möchte – sozusagen als Liquiditätshilfe.