Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
„Wie wenn man Verdurstende vor der Oase bremst“
Die Branchen im Handwerk sind ganz unterschiedlich von der Corona-Krise betroffen
KREIS RAVENSBURG (sz) - Die Kreishandwerkerschaft Ravensburg vertritt 23 Innungen mit über 4000 Handwerksbetrieben im Kreisgebiet. Wie kommen die hiesigen Handwerker durch die Corona-Krise? Die SZ hat Fragen und Antworten mit Geschäftsführer Franz Moosherr zusammengestellt.
Die Corona-Krise ist auch eine Wirtschaftskrise, wie sieht das für das Handwerk aus?
Die Handwerksbranchen waren und sind unterschiedlich betroffen. Manche direkt durch Schließung, manche mit Einschränkungen infolge der Schließungen anderer.
Was konnte die Kreishandwerkerschaft da tun?
Wegen der unterschiedlichen Vorschriften und möglicher Soforthilfemaßnahmen hat die Kreishandwerkerschaft gleich zu Beginn der Krise für Mitglieder eine Beratungs-Hotline eingerichtet. Die betrieblichen Abläufe sind durch die zusätzlichen Vorschriften wie Mindestabstand und gestiegener Hygieneanforderungen zwar komplexer geworden, aber die schon immer geltenden Hygienevorschriften, Arbeitsschutz und Gefährdungsbeurteilungen beherrschten ohnehin alle, sagt Franz Moosherr: „Ein Handwerksbetrieb ohne Seife, wie wir das von Schulen hören müssen, das gab es auch vor der Krise nicht.“
Berufsschulen sind geschlossen, was machen Azubis jetzt?
Moosherr: „Hier zeigt sich ein großer Vorteil des Handwerks. Während Schulen und Universitäten geschlossen sind oder online lehren, kann in vielen unserer Werkstätten die Ausbildung weiterlaufen: real, nicht virtuell. Hier geht es auch um psychische Gesundheit, ein bisschen Normalität, die gerade den jungen Menschen guttut.“
Welche Handwerksbranchen waren vom Lockdown betroffen?
Es gibt erhebliche Unterschiede zwischen Läden und Werkstätten. In der Kfz-Branche wird der Unterschied deutlich: in Werkstätten wurde und wird zur Aufrechterhaltung der systemrelevanten Mobilität gearbeitet, Verkaufsräume waren bis 20. April weitestgehend geschlossen. Fast alle Werkstätten konnten nach Anpassung der ohnehin vorgeschriebenen und eingehaltenen Schutzmaßnahmen wie gewohnt weiterarbeiten.
Wer war nicht betroffen?
Betroffen waren und sind alle, auch Betriebe, die offen bleiben durften. Allen voran das systemrelevante Nahrungsmittel-Handwerk. Fleischer, Bäcker, Konditoren und Müller haben allerdings hohe Einbußen zu verzeichnen, weil wichtige vom Lockdown betroffene Kundenzweige weggebrochen sind: Gastronomie, Catering, Hotellerie und Schulen.
Auf dem Bau kann nach wie vor gearbeitet werden, wie wird das bewerkstelligt?
Unter normalen Bedingungen wird auf der Baustelle angestrebt, Verzögerungen zu vermeiden: ein gut koordinierter Ablauf der Tätigkeiten beispielsweise von Maurern, Zimmerern,
Dachdeckern, Steinmetzen, Schreinern, Glasern, Stuckateuren, Malern sowie Elektro- und Sanitär-Arbeiten. Das wird durch die Krisenvorschriften verhindert und es kommt zu Verzögerungen. Es kann also sein, dass deswegen laufende Aufträge wegbrechen und trotz Betriebserlaubnis Einbußen folgen. Dazu läuft laut Moosherr das Neugeschäft zögerlich, weil im Prinzip alle unsicher sind, was man darf und was nicht. „Hier ist eine ganz neue Form der Akquise gefragt, mit viel Aufklärung, um verunsicherte Kunden zurückzugewinnen.“
Doppelt schwer, denn hier wirkt sich laut Kreishandwerkerschaft eine ganz spezielle Reaktion aus: der Rückgriff auf Schwarzarbeit. Ungeduldige Kunden brechen aus und suchen nach Alternativen. Moosherr: „Damit begibt man sich auf kriminelles Gebiet, die Anbieter genauso wie die Kunden, was wohl wenigen Kunden bewusst ist.“Und die Frisöre sind doppelt geschädigt, weil sie deswegen noch nach der Rückkehr zur Normalität einen zusätzlichen Einbruch verzeichnen müssen. Wenn sie wieder öffnen dürfen, kommt es erneut zum Stresstest: vorgeschriebener Mindestabstand und Bewegungsspielraum bedeuten, dass sich die Kunden und damit die Einnahmen trotz Öffnung spürbar reduzieren. Die Kreishandwerkerschaft appelliert dringend an die Geduld der Kunden und hoffe, dass sie „das besondere Vertrauensverhältnis zu ihrem Friseur würdigen und dafür auch eine etwas längere Wartezeit in Kauf nehmen“. Helfen könne auch eine Erweiterung der Öffnungszeiten.
Welche Handwerks-Bereiche mussten ähnliche Einbußen hinnehmen?
Uhren, Schmuck und Zeitmesstechnik gehören zum Luxussegment. Der Internethandel hat durch den Lockdown noch weiter zugenommen, die lokalen Läden haben unter einer noch stärkeren Wettbewerbsverzerrung zu kämpfen. Auch nach Öffnung werde hier nach Einschätzung der Handwerker wegen wachsender Zukunftsängste eine besonders große Konsumzurückhaltung zu verzeichnen sein und damit einschneidende Verluste.
Wie wirken sich die neuen Öffnungsbestimmungen im Handwerk aus?
Moosherr: „Es mag zu Verzögerungen im Gesamtablauf kommen, auf die Betriebe wie Kunden flexibel reagieren müssen. Die Auftragspolster bei herstellenden Betrieben wie im BauBereich oder bei den Raumausstattern waren bis zur Krise gut gefüllt – die brechen jetzt aber wegen der Zurückhaltung der Kunden ein.“Die Kunden haben ja nach wie vor Sorge vor Ansteckung und verschieben Termine mit Kontakt vor Ort. Im gewerblichen Bereich hängt es von deren eigenen Verzögerungen ab. Darauf müssen und werden die Betriebe flexibel reagieren. „Das ist aber nach der Durststrecke eine echte Herausforderung: Als wenn man einen Verdurstenden in der Wüste vor der Oase ausbremst.“