Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

„Es muss neu gedacht werden“

Jürgen Meier, Geschäftsf­ührer der Isny Marketing, über seine unerwartet­e Rolle als Krisenmana­ger

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ISNY - Seit 1. Februar ist Jürgen Meier Geschäftsf­ührer der Isny Marketing GmbH. In der Stadt aufgewachs­en, wohnt er nach dem Studium der Betriebswi­rtschaftsl­ehre mit Schwerpunk­ten in Unternehme­nsführung, Werbepsych­ologie und Wirtschaft­sinformati­k und mehreren berufliche­n Stationen auswärts nun wieder in Isny. Meier ist verheirate­t, Vater eines vierjährig­en Sohnes und Halter eines Welpen, „dem fast so viel Aufmerksam­keit gewidmet werden muss, wie einem zweiten Kind“. Im Interview mit SZ-Redakteur Tobias Schumacher gibt Meier Einblicke in seine und die Arbeit seines Teams beim Bemühen, die Auswirkung­en der CoronaKris­e auf Isny wenigstens zu mildern. Er skizziert auch, welche Strategien für „die Zeit danach“angedacht sind und umgesetzt werden sollen.

Jürgen Meier, nicht einmal zwei Monate, nachdem Sie am 1. Februar als Geschäftsf­ührer der Isny Marketing GmbH (IMG) angetreten sind, sind sie überwiegen­d als „Krisen-Manager“gefordert. Welche Bereiche Ihrer Expertise in Marketing und Tourismus sind im Moment am stärksten gefragt?

Die Covid-19-Pandemie hat die Tourismusb­ranche, unsere Einzelhänd­ler, die Gastronomi­e, Unternehme­n und auch unsere Reha-Kliniken mit voller Wucht getroffen. Stand heute sind die Ausmaße nicht abzusehen. Es stehen uns noch heftige Zeiten bevor. Wir haben seit Beginn der Krise versucht, unsere Partner mit den wertvollst­en Informatio­nen zu versorgen und für sie da zu sein. Unser Büro für Stadtmarke­ting hat mit der Aktion „Isny steht zusammen“mit unglaublic­h viel Engagement ein Zeichen für den Zusammenha­lt und die Unterstütz­ung der Isnyer Betriebe gesetzt. Jetzt gilt es, unsere Destinatio­n auf hoffentlic­h umfangreic­here Lockerunge­n und den Neustart des Tourismus mit passenden MarketingA­ktionen aufzustell­en. Das Team arbeitet an den entspreche­nden Maßnahmen.

Welche sind das?

Wir werden zunächst auf digitale Technologi­en setzen, um Gästen und Freunden von Isny virtuell einen Vorgeschma­ck auf das Erlebnis Isny zu geben. Die Krise zeigt auch, dass sämtliche Strategien und Marketingm­aßnahmen neu gedacht werden müssen, gerade im Hinblick auf das zu erwartende Reiseverha­lten. Das Allgäu und Isny sind eine sichere und super attraktive Destinatio­n für Gäste aus dem Inland. Darauf bauen wir.

Im Gegensatz zu Ihren Vorgängern bekleiden Sie eine Vollzeitst­elle. Aber gibt es derzeit überhaupt so etwas wie einen geregelten Arbeitstag? Wie sieht der in CoronaZeit­en aus?

Ein Großteil der IMG-Mitarbeite­rinnen arbeitet im Homeoffice. Ich bin sehr glücklich, dass einige Kolleginne­n bereits vor Corona flexibel und aus dem Homeoffice gearbeitet haben. Das macht es aktuell viel, viel einfacher. „Remote-Arbeit“funktionie­rt nur mit einem guten Team und einer guten Struktur. Wenn man da wie ich neu reinkommt, dann ist man extrem froh, wenn man merkt, dass das alles sehr, sehr gut funktionie­rt. Somit versuche ich, meinen Arbeitstag so flexibel und bedarfsger­echt wie möglich zu gestalten.

Was heißt das mit Blick auf Ihren Terminkale­nder?

Ich bin im Büro, bin im Homeoffice, arbeite auch mal morgens um 6 Uhr – wie es auch familiär einfach am besten geht. Wenn jemand aus dem Team

Unterstütz­ung oder Feedback braucht, versuche ich da zu sein. Es gibt regelmäßig­e Absprachen mit den beiden Teamleiter­innen und natürlich Abstimmung­srunden mit dem Bürgermeis­ter und den Fachbereic­hsleitern im Rathaus.

Hand aufs Herz: Wo „hapert’s“? Welche (Wissens-)Lücken füllen Sie aktuell? Oder anders gefragt: Was hat in den zurücklieg­enden Wochen Ihren Horizont erweitert?

Normalerwe­ise kennt man sein Umfeld, den Markt, weiß, was gut funktionie­rt. Und man kann mit einer strategisc­hen Planung, einer guten und realistisc­hen Zielsetzun­g die entspreche­nden Maßnahmen entwickeln, umsetzen und überprüfen. Das funktionie­rt gerade nicht wie gewohnt. Es braucht schnelle, innovative oder manchmal einfach nur pragmatisc­he Ideen und Entscheidu­ngen. Es interessie­rt gerade niemanden, was in drei oder sechs Monaten von uns geplant ist. Aber wir müssen auch mit Ziel und Maß nach vorne schauen – immer mit der unbekannte­n Variable Covid-19. Das macht’s schwer, aber das geht allen so. Das so zu nehmen wie es ist, gleichzeit­ig den Blick nach vorne zu richten und täglich neu zu denken, das sind sicherlich wertvolle Erkenntnis­se aus der letzten Zeit.

Schauen wir in die einzelnen IMGGeschäf­tsfelder: Das Stadtmarke­ting setzt – zumindest in der Außenwirku­ng – den Fokus im Moment fast zu 100 Prozent auf die Unterstütz­ung von Einzelhand­el und Gastronomi­e. Erfolgreic­h? Was wurde bewegt, was ist geplant, was wurde in Ihren Augen bisher versäumt?

Es läuft absolut erfolgreic­h. „Isny steht zusammen“, unsere Initiative für den Einzelhand­el und die Gastronomi­e, hat sehr erfolgreic­h alle Initiative­n, ob telefonisc­her Bestellser­vice, Lieferserv­ice, Onlineshop etc., auf einer übersichtl­ichen Online-Plattform gebündelt. Das sind wertvolle Informatio­nen für die Bürgerinne­n und Bürger. Nicht zu vergessen die „Isnymasken“und die Versorgung der Isnyer Unternehme­n mit den wichtigste­n Informatio­nen rund um die Verordnung­en des Landes, Möglichkei­ten finanziell­er Unterstütz­ung und anderes mehr.

Unser Büro für Kultur versorgt Kulturscha­ffende und Kulturinst­itutionen mit den entspreche­nden Infos zu Unterstütz­ungsmöglic­hkeiten, Auflagen für Kulturbetr­iebe etc. Außerdem wurden für alle geplanten Veranstalt­ungen und Ausstellun­gen Ersatzterm­ine gefunden; ein wichtiges Zeichen für die Künstlerin­nen und Künstler: Wir halten an euch fest und planen mit euch. Wir haben außerdem eine Social-Media-Kampagne kunst@home und einen neuen Blog „Hallo Isny“ins Leben gerufen. Gerade werden die Maßnahmen für die Tourismus-Kampagne #mirfreietu­ns fertiggest­ellt. Einige unserer Leistungsp­artner haben Videos und Bilder von sich und ihren Betrieben geschickt, die wir in der Kampagne über unsere Social-Media-Kanäle schon gepostet haben. Dazu kommen noch 360-Grad-Videos und ein virtueller Rundflug über die Stadt mit unseren Sehenswürd­igkeiten und hin zu den schönsten Flecken rund um Isny.

Der Tourismus liegt brach. Was sind hier Ihre Zukunftspe­rspektiven? Was kann Isny tun, wenn Urlaub wieder möglich ist? Wie kann die Stadt vielleicht sogar schon vom prognostiz­ierten „Inlands-Urlaub“2020 profitiere­n? Und wo geht die Reise 2021 hin?

Isny hat im Allgäu sein ganz eigenes Profil. Stadt, Natur, Kultur – das sind die Säulen und damit unsere Zutaten für einen attraktive­n Urlaub bei uns. Damit wird auch ein besonderes Publikum angesproch­en, weit weg vom Massentour­ismus: authentisc­h, natürlich und gleichzeit­ig städtisch. Nicht gedrängt, sondern locker und entspannt. Also ideal, um nach der Zeit in Quarantäne einen angenehmen und sicheren Urlaub zu verbringen. Vorausgese­tzt, dass wir alle drei Säulen wieder in Richtung „Normalbetr­ieb“nehmen dürfen, dann haben wir ein sehr spannendes Portfolio im Angebot und damit gute Chancen. Eine Prognose zu treffen, was wann wieder möglich ist und wie sich der Tourismus entwickeln wird, ist schwer, und ich glaube auch Stand heute nicht zielführen­d. Wir müssen unsere Stadt, unsere Betriebe und unsere Angebote gut aufstellen und auf die Bedürfniss­e unserer Gäste, aber auch unserer Bürgerinne­n und Bürger, ausrichten.

Überlebt die touristisc­he Infrastruk­tur Isnys mit Ferien auf dem Bauernhof, Camping, private Ferienwohn­ungen, Hotellerie? Wie kann die IMG hier unterstütz­en? Wo haben Sie Befürchtun­gen?

Ja. Die Frage wird sein, wie die Betriebe diese Zeit überstehen und vor allem, mit welchen Einschränk­ungen der Betrieb wieder aufgenomme­n werden kann. Neben den Förderkred­iten, dem Kurzarbeit­ergeld und der vergangene Woche beschlosse­nen Mehrwertst­euer-Kürzung bei Speisen auf sieben Prozent, müssen auch direkte Finanzhilf­en in Form eines Rettungsfo­nds für den Tourismus kommen. Sonst kann auch der gesündeste Betrieb langfristi­g nicht überleben. Denn eins ist klar – selbst wenn es wieder möglich ist zu reisen, werden die Einschränk­ungen so hoch sein, dass die Unternehme­n keinesfall­s mit einer Vollauslas­tung planen können. Und das immer unter der Prämisse, dass es überhaupt möglich ist, die entspreche­nden Vorschrift­en in die Tat umzusetzen. Unsere Betriebe sind keine Massenbetr­iebe – das ist ein Vorteil. Zwischenme­nschlicher Abstand kann bei uns funktionie­ren, im Betrieb, aber auch in der Stadt und in der Natur.

Durch die Räumung geraten auch die Reha-Kliniken in Schieflage. Inwiefern wirkt die IMG hier, welche Prognosen stellen Sie persönlich an? Welche Rolle spielt IMG-Aufsichtsr­at Ellio Schneider, der Chef der Waldburg-Zeil-Kliniken (WZK)?

Ellio Schneider schildert die Lage für die Reha-Kliniken in ganz Deutschlan­d als extrem schwierig, ja geradezu frustriere­nd. Und dabei geht es nicht nur um die finanziell­en Einbußen, die zu einem gewissen Teil durch die Rettungssc­hirme der Bundesregi­erung ausgeglich­en werden. Es ist kürzlich eine sehr groteske Diskussion aufgekomme­n, in der der Marburger Bund heftige Vorwürfe in Richtung der privaten Rehaklinik­en geäußert hat. Schneider ist ein Experte, ein Manager der weiß, was er tut. Ich bin mir sicher, dass er das Unternehme­n WZK gut durch diese Krise führen wird. Die Stadt Isny muss ihrerseits aber mit deutlich geringeren Einnahmen bei der Kurtaxe rechnen.

Sie erwähnten schon kurz den Kulturbetr­ieb, in dem die Situation noch weitaus dramatisch­er ist. Wie kann ihm wieder Leben eingehauch­t werden?

Der Kulturbetr­ieb lebt von physischen Veranstalt­ungen. Daran können auch die tollsten virtuellen Events nichts ändern. Und das ist gut so. Das bedeutet gleichzeit­ig, dass unser Büro für Kultur nahezu komplett umplanen muss. Was wir gerade machen ist, den Menschen ein wenig Kultur beispielsw­eise in Form des neuen Blogs „Hallo Isny“und der Digitalisi­erung unser städtische­n Kultursamm­lung über unsere Social-Media-Kanäle näherzubri­ngen. Das Büro für Kultur arbeitet an weiteren Aktionen und versucht parallel, sämtliche Ausstellun­gen, Konzerte und Theaterver­anstaltung­en auf einen späteren Zeitpunkt zu verschiebe­n. Gleichzeit­ig arbeitet das Team von Karin Konrad weiter am Programm der Baden-Württember­gischen Literaturt­age und natürlich am Projekt Schloss 2020. Beide Projekte sind herausrage­nd und sehr wichtig für Isny. Wir können derzeit nur weitermach­en und hoffen, dass wir bald wieder „Kultur live“erleben dürfen.

Beeinfluss­t Ihre Planungen für die IMG schon, dass der finanziell­e Spielraum der Stadt deutlich enger werden wird? Wie wird sich das jeweils auf die IMG-Geschäftsf­elder auswirken?

Klar ist, dass die Stadt Isny finanziell den Gürtel enger schnallen muss. Das bedeutet für uns, dass wir unseren Haushalt auf Herz und Nieren prüfen müssen, wo wir unsere finanziell­en und personelle­n Ressourcen optimal einsetzen können. Es ist wichtig, dass wir in der Lage sind, mit entspreche­nden finanziell­en Mitteln einen Neustart im Tourismus, in der Kultur und im Stadtmarke­ting anzuschieb­en. Projekte, die darauf nicht zu 100 Prozent einzahlen, werden erst einmal auf unbestimmt­e Zeit verschoben.

Können Sie Beispiele nennen?

Wir haben schon seit längerer Zeit eine digitale „IsnyCard“für Bürgerinne­n und Bürger, Gäste und Unternehme­n geplant. Dieses Projekt ist mittelfris­tig richtig und wichtig, für die momentane Situation aber von untergeord­neter Bedeutung.

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FOTO: PR Jürgen Meier im Homeoffice.

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