Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
„Grundsätzlich eine schlechte Nachricht“
RAVENSBURG - Die Reproduktionszahl gibt Aufschluss über die Ansteckungsrate in der Corona-Pandemie. Nachdem sie in den vergangenen Tagen gesunken war, ist sie nun wieder gestiegen. Der Virologe Professor Thomas Mertens erklärt im Gespräch mit Daniel Hadrys, was es mit dieser Kennzahl auf sich hat.
Die Reproduktionszahl steigt wieder, jeder Mensch steckt im Schnitt wieder einen weiteren an. Wie haben Sie diese Nachricht aufgenommen?
Das ist grundsätzlich eine schlechte Nachricht, aber wir müssen uns noch etwas Zeit geben und den Verlauf genau beobachten. Es kann durchaus auch von Tag zu Tag zu geringen Schwankungen nach oben oder unten kommen.
Gehen Sie davon aus, dass die Zahl noch weiter steigen wird?
Wenn wir durch Veränderung der bislang gültigen Maßnahmen und/ oder durch Verhaltensänderungen der Menschen, zum Beispiel auch als Folge etlicher, meiner Meinung nach wenig sinnvoller Diskussionen im Fernsehen, mehr Infektionen in der Bevölkerung zulassen, dann wird zunächst die Reproduktionszahl steigen und zwar so lange, bis zum Beispiel Herdenimmunität einsetzt, was noch länger dauern wird, oder bis erneut übertragungshemmende
Maßnahmen eingeführt werden. Wie bereits mehrfach gesagt, ist es entscheidend R0 wenigstens so zu begrenzen, dass unser Gesundheitssystem nicht überlastet wird.
Welchen Zeitpunkt bildet die sogenannte Basisreproduktionszahl überhaupt ab?
Die Basisreproduktionszahl (R0) wird aus der aktuell bekannten Steigung der Infektionskurve errechnet und ist damit variabel und nicht einfach eine feststehende Eigenschaft des jeweiligen Erregers, sondern gibt an, wie viele empfängliche (nicht immune) Menschen ein Infizierter durchschnittlich zu einem bestimmten Zeitpunkt ansteckt. R0 kann immer erst etwas verzögert angegeben werden. R0 ist von verschiedenen, miteinander verbundenen, epidemiologischen Faktoren abhängig, wie zum Beispiel Anzahl und Dichte „Ansteckbarer“, also Empfänglicher, Anzahl der jeweils infektiösen Virusausscheider und auch der „Generationszeit“. Generationszeit ist die Dauer zwischen der Ansteckung eines Menschen und dem Zeitpunkt, an dem dieser selbst wieder die Infektion weitergeben kann. Die Generationszeit ist kürzer als die Inkubationszeit, also die Zeit zwischen Ansteckung und Auftreten erster Symptome. Wenn man R0 für eine Großstadt und ein dünn besiedeltes ländliches Gebiet berechnen würde, kämen unterschiedliche Werte heraus. R0 ist also keine ganz leicht zu ermittelnde Zahl, aber sie fasst viel wichtige Information in einer Zahl zusammen.