Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Der Rebellengeneral ruft sich zum Machthaber aus
In Libyen erklärt Khalifa Haftar internationale Vermittlungsbemühungen für beendet – Gefechte bei Tripolis gehen weiter
ISTANBUL - An Selbstbewusstsein hat es dem libyschen Rebellengeneral Khalifa Haftar noch nie gemangelt. Der 76-jährige Anführer der „Libyschen Nationalarmee“(LNA) betrachtet sich als Retter der Nation und nennt sich seit einer Beförderung durch das Parlament im ostlibyschen Benghazi im vergangenen Jahr „Feldmarschall“. Jetzt hat sich Haftar per Fernsehrede zum alleinigen Machthaber des nordafrikanischen Bürgerkriegslandes ausgerufen und die internationalen Vermittlungsbemühungen für beendet erklärt.
Haftars Anspruch auf die Macht im ganzen Land ist mehr Wunschdenken als Wirklichkeit: Die LNA war in jüngster Zeit im Kampf gegen die international anerkannte Einheitsregierung in der Hauptstadt Tripolis in die Defensive geraten. Fest steht aber, dass der von Deutschland initiierte „Berliner Prozess“für Libyen vorerst gescheitert ist. Das Auswärtige Amt sieht Haftars Erklärung deshalb „mit Sorge“.
Libyen hat seit 2015 zwei konkurrierende Regierungen: die von der UNO anerkannte Einheitsregierung in Tripolis im Westen des Landes und eine Gegenregierung in Ostlibyen, wo Haftar der starke Mann ist. Haftars LNA beherrscht weite Teile Libyens und hatte vor einem Jahr einen Großangriff auf Tripolis gestartet. Die Einheitsregierung erhielt jedoch Militärhilfe von der Türkei, die Kampfdrohnen und syrische Kämpfer nach Libyen schickte. Haftars Offensive bliebt trotz Unterstützung durch Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate und Russland stecken.
Die internationalen Akteure wollen sich mit ihrem Engagement in Libyen ein Mitspracherecht über die Zukunft des ölreichen Landes sichern. Auch in der EU gibt es rivalisierende Interessen. Frankreich, das auf Haftars Seite steht, will die Geschäfte des Ölkonzerns Total schützen. Zudem sieht Paris den libyschen Rebellengeneral als Partner bei der Stabilisierung des Nachbarlandes Tschad, wo Frankreich mehr als tausend Soldaten für den Kampf gegen islamistische Gruppen stationiert hat. Die ehemalige Kolonialmacht Italien, deren Ölkonzern ENI seit 60 Jahren in Libyen aktiv ist, unterstützt dagegen die Einheitsregierung in Tripolis.
Nun kündigte Haftar in seiner Fernsehrede formell jenes UN-Abkommen
von 2015 auf, das seinen Kriegsgegner – Ministerpräsident Fayes al-Sarradsch – als international anerkannten Regierungschef ins Amt brachte. Die Vereinbarung habe „das Land zerstört“, sagte Haftar. Deshalb nehme er das „Mandat des
Volkes“zur Übernahme der Macht in Libyen an.
Haftar hatte seine Erklärung vor wenigen Tagen mit einer Forderung nach Annullierung des UN-Abkommens vorbereitet. Das Parlament im Ostteil Libyens hatte gleichzeitig einen Plan zur Neuordnung staatlicher Institutionen in Haftars Sinne vorgelegt. Offenbar will Haftar mit der Aufkündigung des UN-Vertrages die Legitimation der SarradschRegierung untergraben und den Kampfgeist der LNA stärken.
Konkret bringe die Verkündung der Machtübernahme für Haftar jedoch nur wenig und zerstöre zudem die „Fassade ziviler Institutionen“, auf die er Wert lege, schrieb der Libyen-Experte Wolfram Lacher von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik auf Twitter. Sarradschs Einheitsregierung warf Haftar einen Putschversuch vor.
Selbst Haftars internationale Partner distanzierten sich von der Rede des Generals. Die Aussagen Haftars seien „überraschend“, ließ Russland verlauten. Dennoch dürften Moskau und die anderen Unterstützer ihre Hilfe für die LNA weiter verstärken, um eine Niederlage für den 76-jährigen Rebellengeneral abzuwenden.
Die Gefechte in der Umgebung von Tripolis gingen nach Haftars Fernsehauftritt weiter. Türkische Drohnen setzten ihre Versuche fort, den Nachschub für Haftars Truppen zu unterbinden. Nach Angaben von Haftars Truppen töteten die Drohnen fünf Zivilisten; Milizen aufseiten der Einheitsregierung wiesen dies zurück.
Die Kämpfe und Haftars Erklärung verdeutlichen, dass der „Berliner Prozess“kaum zu retten ist. Die Bundesregierung hatte im Januar eine Libyen-Konferenz einberufen, um durch eine Stabilisierung der Lage neue Fluchtwellen aus Nordafrika nach Europa zu verhindern. Doch die Bekenntnisse zu einer friedlichen Lösung und zur Einhaltung des UN-Waffenembargos für Libyen werden von den Konfliktparteien und ihren Partnern ignoriert. Im Auswärtigen Amt hieß es am Dienstag, der Konflikt könne nicht militärisch gelöst werden, „auch nicht durch einseitige Erklärungen, sondern nur durch einen politischen Prozess“. Haftars Ankündigung zeigt jedoch, dass Gespräche für ihn keine große Rolle spielen.