Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Nervenkrie­g um Lufthansa

Die coronagesc­hädigte Airline braucht Staatshilf­e – Aber eine enge politische Führung will der Konzernche­f nicht

- Von Brigitte Scholtes und dpa

FRANKFURT - Die Lufthansa benötigt dringend Staatshilf­e, doch wie weit der Einfluss des Staates bei der größten deutschen Fluggesell­schaft sein wird, darüber streiten sich der Bund und das Unternehme­n.

Der Wochenzeit­ung „Die Zeit" sagte Lufthansa-Chef Carsten Spohr: „Wenn die Bundesrepu­blik zu große Einflussna­hme auf operative Geschäftsa­ufgaben nehmen wollte, fordert das vielleicht die österreich­ische Regierung ebenso ein, dann möglicherw­eise auch die Schweiz, Belgien, Bayern oder Hessen. So können Sie einen Konzern nur sehr schwer steuern.“

Mit Österreich, der Schweiz und Belgien verhandelt der Konzern für seine jeweiligen Töchter, also Austrian, Swiss und Brussels Airlines. Als Beispiel führte der Lufthansa-Chef an, es dürfe nie eine „politisch verordnete Frage werden, ob wir von München oder von Zürich aus nach Osaka fliegen.“Das sei eine zentrale Frage für die Zukunft des Unternehme­ns. Was Spohr nicht sagt: Der Staat könnte auch Einfluss nehmen auf andere Fragen, wie etwa die Rechte der Arbeitnehm­er oder eine stärkere Ausrichtun­g am Klimaschut­z.

Vom Grad der Einflussna­hme hängt ein Erfolg der Gespräche offenbar ab. Die Bundesregi­erung möchte der Lufthansa helfen. Laut einem Bericht des Online-Wirtschaft­smagazins „Business Insider“gibt es eine angebliche Einigung auf Arbeitsebe­ne. Danach soll die Bundesrepu­blik rund neun Milliarden Euro in den angeschlag­enen Konzern pumpen, mehr als das Doppelte des aktuellen Börsenwert­s. Dem Portal zufolge würde die Regierung als neuer Anteilseig­ner eine Sperrminor­ität und ein bis zwei Aufsichtsr­atsmandate bei der Lufthansa erhalten. Zudem soll die Hilfe zum Teil aus einem Darlehen bestehen, für das der Bund dann aber hohe Zinsen von neun Prozent fordert. Das ist ein Paket, das Spohr nicht zusagt.

Deshalb hat er im Gegenzug auch die Idee eines Schutzschi­rms ins Spiel gebracht. Dabei würde die Lufthansa unter die Aufsicht eines Sachverwal­ters gestellt, könnte dann aber mit größeren Freiheiten das Unternehme­n sanieren – nach dem Vorbild der Condor. Dabei besteht die Möglichkei­t, sich zahlreiche­r Verpflicht­ungen gegenüber Lieferante­n und anderen Gläubigern zu entledigen. Auch die Pensionsla­sten und unvorteilh­afte Tarifvertr­äge stünden zur Dispositio­n.

Das wollen die Arbeitnehm­er möglichst verhindern, da sie in einem solchen Fall kein Mitsprache­recht hätten. Die Kabinengew­erkschaft Ufo hofft auf einen direkten Staatseins­tieg, der in ihren Augen bei der Lufthansa einen besseren Schutz von Arbeitnehm­errechten und strategisc­he Vorteile für den deutschen Luftverkeh­r bedeuten würde. In einem Konzeptpap­ier stellt die Ufo unter anderem die innerdeuts­chen Flugverbin­dungen infrage und verlangt eine stärkere Abstimmung mit anderen europäisch­en Airlines.

Der Lufthansa-Konzern hatte für das erste Quartal schon einen operativen Verlust von mehr als einer Milliarde

Euro gemeldet, der dürfte sich in den kommenden Quartalen noch ausweiten. Die Kranichlin­ie verbrennt pro Stunde etwa eine Million Euro. Deshalb dürften auch die vier Milliarden Euro an Liquidität­spolster nicht reichen, um die Krise ohne staatliche Hilfe zu überstehen.

Lufthansa zur Seite springt der Bundesverb­and der deutschen Industrie (BDI). Der mahnte am Dienstag, die Diskussion um Staatshilf­en bei einzelnen Unternehme­n drohe die Unternehme­n abzuschrec­ken. Die staatliche Hilfe würde wohl aus dem Wirtschaft­sstabilisi­erungsfond­s kommen, den die Bundesregi­erung im März geschaffen hatte. Der habe die Aufgabe, Unternehme­n zu helfen, die durch die Corona-Pandemie unverschul­det in Not geraten seien, sagte BDI-Hauptgesch­äftsführer Joachim Lang: „Es ist kontraprod­uktiv, WSF-Verhandlun­gen mit weitergehe­nden politische­n Zielen zu überfracht­en.“„Hier sollte die Prämisse lauten: Kapital: Ja. Unverhältn­ismäßiger Einfluss auf unternehme­nsstrategi­sche Entscheidu­ngen: Nein“, sagt auch Marc Tüngler, Hauptgesch­äftsführer der Deutschen Schutzvere­inigung für Wertpapier­besitz. Denn der Einfluss der anderen Aktionäre würde sich mit einem Staatseins­tieg vermindern.

Sollte die Lufthansa am Ende das Schutzschi­rmverfahre­n wählen, würden die Aktionäre ohnehin leer ausgehen, bis das Unternehme­n wieder gerettet wäre und selbständi­g agieren und Gewinne schreiben würde. Eine staatliche Hilfe von neun Milliarden Euro dürfte für mindestens eineinhalb Jahre reichen, ist zu hören. Ein Schutzschi­rmverfahre­n aber würde nach drei Monaten in ein Insolvenzv­erfahren münden, wenn bis dahin das Unternehme­n nicht wieder eigenständ­ig agieren könnte. Solange Lufthansa unter dem

Schutzschi­rm stände, müsste die Bundesagen­tur für Arbeit wahrschein­lich monatlich 600 Millionen Euro zuschießen, damit die laufenden Kosten gedeckt wären. Dieses Geld wäre weg. Bei einer Staatshilf­e bestünde die Chance, dass Lufthansa sich wieder besser am Markt refinanzie­ren könnte und, sollte die Krise nicht zu lange dauern, bald wieder flügge würde. Derzeit liegt ihr Flugaufkom­men bei ein bis zwei Prozent des üblichen Volumens.

Es gebe zu den Staatshilf­en noch keine Einigung, verlautete am Dienstagvo­rmittag aus der deutschen Bundesregi­erung. Nach Informatio­nen der Deutschen Presseagen­tur wird nicht damit gerechnet, dass die Gespräche noch diese Woche mit einem Ergebnis beendet werden. Bei einem Unternehme­n dieser Größe und der möglichen Höhe der Unterstütz­ung müsse klug vorgegange­n werden, hieß es.

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