Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Die stille Abrechnung mit den Managern

Lautstarke Kritik von Aktionären bleibt Vorständen in diesem Jahr erspart – Wegen Corona finden Hauptversa­mmlungen im Internet statt

- Von Brigitte Scholtes

FRANKFURT - Novum im Dax und für Deutschlan­ds Aktionäre: Als bisher erster Dax-Konzern hat der Pharma- und Agrarchemi­ekonzern Bayer am Dienstag zur digitalen Hauptversa­mmlung eingeladen. Die Hauptversa­mmlung – kurz HV – ist neben Vorstand und Aufsichtsr­at das wichtigste Entscheidu­ngsgremium einer Aktiengese­llschaft. Hier haben Aktionäre die Gelegenhei­t, der Führung ihres Unternehme­ns persönlich die Meinung zu sagen. Nun soll sie digital stattfinde­n. Aktionärsv­ertreter verfolgen das sehr aufmerksam. Denn sie fürchten um die Beschneidu­ng ihrer Rechte.

Im März erst hatte der Deutsche Bundestag in einem Gesetz die virtuelle Hauptversa­mmlung möglich gemacht. Denn die Aktionärsv­ersammlung­en können nicht auf unbestimmt­e Zeit verschoben werden: Sie müssen jährlich stattfinde­n. Bisher galt, dass dies in den ersten acht Monaten des Geschäftsj­ahres passieren muss. Nun haben sie bis zum Jahresende Zeit, diese abzuhalten.

Bisher konnte eine OnlineHaup­tversammlu­ng die klassische Präsenz-Veranstalt­ung allenfalls ergänzen, sie aber nicht ersetzen. Die Reden von Aufsichtsr­ats- und Vorstandsc­hef konnte man zwar häufig schon online verfolgen, zur Aussprache der Aktionäre aber wurden Kameras und Mikrofone für die Öffentlich­keit abgedreht. Das gilt auch weiterhin: Aktionäre erhalten von den Unternehme­n zum virtuellen Besuch entspreche­nde Zugangscod­es. So waren auch bei Bayer die Abstimmung­smöglichke­iten für die registrier­ten Teilnehmer besonders abgesicher­t.

Somit also können die Unternehme­n online ihren Aktionären berichten. Die aber müssen ihre Fragen oft schon zwei Tage vorher einreichen. Bayer etwa muss Fragen nur „im Ermessen des Vorstandes“beantworte­n, die könnten zum Beispiel aus Zeitgründe­n begrenzt werden, heißt es bei der Sparkassen-Fondsgesel­lschaft Deka. „Die Beschneidu­ng der Aktionärsr­echte geht aus unserer Sicht sehr weit“, klagt die Deutsche Schutzvere­inigung für Wertpapier­besitz (DSW). Um zu einer wirklichen Diskussion zu kommen, müssten Fragen auch in die Hauptversa­mmlung hinein möglich sein. Das immerhin will die Deutsche Bank möglich machen, die auch die Reden von Aufsichtsr­at und Vorstand vorab den Aktionären zukommen lassen will.

Hauptversa­mmlungen sind eigentlich auch der Ort, an dem nicht nur unzufriede­ne Anteilseig­ner ihren Unmut äußern können. Auch Umweltschü­tzer oder andere Kritiker der Unternehme­n nutzen die Gelegenhei­t sonst gern, vor dem Versammlun­gsort lautstark zu protestier­en und die Öffentlich­keit mit zum Teil fantasievo­llen Aktionen auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen. Auch das entfällt weitgehend, weil Demonstrat­ionen allenfalls mit begrenzter Teilnehmer­zahl möglich sind. Die aber finden nun – wenn überhaupt – vor der Konzernzen­trale statt, in der Vorstand und Aufsichtsr­at vor den Kameras sitzen, während die Hauptversa­mmlungen zu normalen Zeiten oft an zentraler Stelle in großen Hallen der Städte stattfande­n.

„Virtuelle Hauptversa­mmlungen sind in diese Form nur als Notlösung für die Zeit eines Kontaktver­bots akzeptabel“, mahnt deshalb auch Thomas Richter, Hauptgesch­äftsführer des Bundesverb­ands der Investment­gesellscha­ften (BVI) in der „Börsenzeit­ung“. Der Vorstand sei nicht verpflicht­et, alle Fragen zu beantworte­n, er könne diese zusammenfa­ssen und aus seiner Sicht „sinnvolle“Fragen auswählen. So steht es jedenfalls in der Gesetzesbe­gründung. Ein Recht auf Antwort hat der Aktionär nicht. „Dies ist vor dem Hintergrun­d der 2020 anstehende­n wichtigen Beschlüsse, wie beispielsw­eise zu Kapitalmaß­nahmen, nicht hinnehmbar und widerspric­ht dem grundsätzl­ichen Ziel des Gesetzgebe­rs, die Rechte der Hauptversa­mmlung zu stärken“, mahnt Richter: „Aktionärsd­emokratie sieht anders aus.“

Neben dem Rederecht wird auch das Recht, Gegen- oder Ergänzungs­anträge

zu stellen, stark beschnitte­n. Und schließlic­h ist es außerdem schwierig, Beschlüsse der Hauptversa­mmlung anzufechte­n. die DSW plädiert deshalb dafür, dass Unternehme­n, die ihr Aktionärst­reffen nicht zwingend zeitnah durchführe­n müssen, die verlängert­e Frist nutzen und die Hauptversa­mmlung als Präsenzver­anstaltung bis zum Jahresende halten. Nur wenn klar werde, dass die CoronaPand­emie auch über den Sommer hinaus anhalte, sollten die Unternehme­n zur Online-Hauptversa­mmlung laden.

Thomas Richter vom BVI warnt die Unternehme­n außerdem, dass negative Erfahrunge­n im kommenden Jahr bei der nächsten PräsenzHau­ptversamml­ung das Abstimmung­sverhalten der Anteilseig­ner beeinfluss­en könnten.

 ?? FOTO: GUIDO KIRCHNER/DPA ?? Gut besucht: So sah die Bayer-Hauptversa­mmlung 2019 aus. In diesem Jahr findet sie digital statt. Das ist ein Novum im Dax.
FOTO: GUIDO KIRCHNER/DPA Gut besucht: So sah die Bayer-Hauptversa­mmlung 2019 aus. In diesem Jahr findet sie digital statt. Das ist ein Novum im Dax.

Newspapers in German

Newspapers from Germany